Akteur

David Chipperfield
David Chipperfield Architects Ltd - London (GB)

Der Raum zwischen Genie und Bastard

Am 29. August startet die Architektur-Biennale in Venedig. Direktor David Chipperfield nutzt die Gelegenheit und will das Starsystem aushebeln.

18. August 2012 - Wojciech Czaja
STANDARD: Sie wurden gebeten, die Direktion der 13. Architektur-Biennale 2012 zu übernehmen. Was war Ihre erste Reaktion?

Chipperfield: Ich war sehr überrascht. Es ist nicht leicht, so eine große Aufgabe in den beruflichen Alltag zu integrieren. Ich glaube, da haben es hauptberufliche Kuratoren schon leichter. Wir haben im Büro lange darüber diskutiert, doch schließlich dachte ich mir, dass das eine schöne Herausforderung wäre. Und so habe ich gesagt: Ja, ich mach's.

STANDARD: Warum gerade David Chipperfield?

Chipperfield: Da kann ich nur raten. Die letzten Ausstellungen in Venedig waren oft recht künstlerisch und kuratorisch geprägt. Vielleicht wollte man einfach wieder mal „back to the roots“, zurück zur Architektur. Da bietet sich ein praktizierender Architekt wie ich durchaus an. Doch vor allem glaube ich, dass ich ein guter Gegenpart zur letzten Biennale-Direktorin Kazuyo Sejima bin. Sie ist die Avantgardistin, ich bin der Bodenständige.

STANDARD: Das von Ihnen gewählte Thema für die Biennale lautet „Common Ground“. Das heißt?

Chipperfield: Common Ground ist für mich der Ort, an dem viele verschiedene Positionen, Charaktere und Ideen aufeinandertreffen. Im Deutschen gibt es dafür einen sehr schönen Begriff: Allmende. Ich würde den Common Ground daher am ehesten als eine Art „mentale Allmende“ übersetzen.

STANDARD: Und was soll auf dieser mentalen Allmende passieren?

Chipperfield: Ich will das Starsystem infrage stellen. Ich will den ewigen Wettbewerb ausblenden. Ich will dem Genie ein bisschen Raum wegnehmen. Und ich will wieder zurück zur Gemeinschaft. Wissen Sie, von den meisten Menschen wird Architektur immer noch missverstanden. Sie stellen sich darunter die auffälligen, kostspieligen Gebäude der sogenannten Stararchitekten vor, die das Image und den optischen Effekt jedem funktionalen Nutzen vorziehen. Und sie halten Architekten für urbane Dekorateure!

STANDARD: Ist genau das nicht oft der Wunsch der Vorstandsebenen und Chefetagen?

Chipperfield: In den großen Unternehmen wird Architektur ganz nach dem Motto abgewickelt: Ein Star muss her! Sollten wir uns einen Frank Gehry leisten? Oder kaufen wir eine Zaha Hadid? Oder bitten wir doch lieber Herzog & de Meuron um einen Entwurf? Und die Lifestyle-Medien unterstützen dieses Bild auch noch. Sie interpretieren die moderne, zeitgenössische Architektur als eine Summe autobiografischer Tendenzen. Ich halte diesen Ansatz für komplett falsch.

STANDARD: Laut Lifestyle-Medien sind Sie doch auch ein Star.

Chipperfield: Immer dieser Medienjargon!

STANDARD: Die meisten Menschen haben Angst vor Architekten. Woher kommt das?

Chipperfield: Sie haben Angst vor ihnen, weil die meisten Architekten arrogant und überheblich sind. Sie erarbeiten sich ihre Position durch Widerstand und Hartnäckigkeit. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen für Beliebtheit und Akzeptanz.

STANDARD: Wo würden Sie sich selbst positionieren?

Chipperfield: Sie meinen auf der Arroganz-Skala? Ich muss jeden Tag kämpfen. Ich kämpfe um Aufträge, ich kämpfe um Fairness, und ich kämpfe um Qualität. Mag schon sein, dass dieser Kampf gegen Auftraggeber und Behörden arrogant rüberkommt. Mag schon sein, dass ich dadurch manchmal wie ein „fighting bastard“ wirke. Damit kann ich leben.

STANDARD: Auf einer Skala von 0 bis 10?

Chipperfield: Ich würde sagen: 3 im Umgang mit der Öffentlichkeit, 7 im Umgang mit Investoren.

STANDARD: Wie wollen Sie erreichen, dass sich die Architekten an Ihre Vorgabe „Common Ground“ halten und nicht wieder ihre eigene Show abziehen wie so oft?

Chipperfield: Mit Optimismus. Die Vorgabe ist ganz klar.

STANDARD: Konkret: Was werden wir sehen?

Chipperfield: Ich möchte noch keine Details verraten. Bis zur Eröffnung sind es noch zehn Tage. So viel Geduld muss schon sein.

STANDARD: Inwiefern tragen Sie als Architekt selbst dazu bei, einen Common Ground in der Bevölkerung zu schaffen?

Chipperfield: Ich bin ein Verfechter einer Architektur für Menschen. Ich versuche, in all meinen Projekten die soziale Komponente mitzudenken. Aber vielleicht bin ich ja Idealist.

STANDARD: Sind Sie das?

Chipperfield: Die Art und Weise, wie wir heute Städte bauen, ist eine Ansammlung von vielen einzelnen Beiträgen. Und den meisten Beiträgen sieht man an, dass sie aus einem Impetus an Gewinnproduktion und Geldgier heraus entstanden sind. Die meisten Bauwerke in der Stadt sind nichts anderes als Geldmaschinen. Jedes Mal, wenn ich mich in meiner Heimatstadt London umschaue, bin ich zutiefst schockiert. So kann Stadt jedenfalls nicht funktionieren. Das muss sich ändern.

STANDARD: Was schlagen Sie vor?

Chipperfield: Wir brauchen einen intellektuellen Überbau. Wir brauchen Protagonisten, die das große Ganze im Blickfeld behalten. Und wir müssen es endlich schaffen, die Stadt zwischen den Häusern mitzudenken - und nicht nur von Grundstücksgrenze zu Grundstücksgrenze. Die Wahrheit ist: Der öffentliche Freiraum, also die Straßen, Plätze, Parks und Gärten - mit einem Wort: die Stadt - sollte jedem gehören. Doch in den meisten Städten hat man das Gefühl, dass sie niemandem gehört.

STANDARD: Können Sie auch ein positives Beispiel nennen?

Chipperfield: Wissen Sie, die Projektentwicklung im angelsächsischen Raum ist stark von Investoren geprägt. Das ist eine Tatsache. Daher bin ich der tiefsten Überzeugung, dass der freie Markt Führung braucht. Man muss den Projektentwicklern und Investoren eine gewisse Verantwortung aufbürden. Es gibt in London seit kurzer Zeit recht strenge Vorgaben für Neubauentwicklungen. Zum Beispiel: Wenn ein Investor ein teures Spekulationsprojekt mit Wohnungen und Büros errichtet, dann müssen 35 Prozent davon dem geförderten Wohnbau zugutekommen. Das sorgt für eine gewisse Durchmischung in der Stadt. Oder noch besser: Berlin! Ein wunderbarer Freiraum, der einfach in Anspruch genommen wurde, ist der ehemalige Flughafen Tempelhof. Das Areal liegt mitten in der Stadt. Und während die Stadt Millionen von Euro ausgibt, um Studien für mögliche Nachnutzungen in Auftrag zu geben, spazieren die Bewohner durch die Büsche und nutzen das Flugfeld und den Rasen als Park. Das gefällt mir.

STANDARD: Das heißt, dass öffentlicher Freiraum nicht erst teuer gestaltet werden muss?

Chipperfield: That's it! Stadt und städtische Qualität - das ist in erster Linie das Erkennen und Nutzen von Potenzialen. In Berlin ist man da relativ cool. Die meisten Städte aber praktizieren lieber eine Kultur des Verbietens als eine des Ermöglichens. Das ist ein mentaler Knoten in den Behörden. Daran kann auch ein Architekt nichts ändern. Bestenfalls nur die Bevölkerung als Gruppe.

STANDARD: Und eine Biennale in Venedig?

Chipperfield: Sie sind ja ein noch größerer Idealist als ich! Nein, das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Dazu ist die Architektur-Biennale per se zu elitär und zu kulturaffin. Aber sie kann immerhin Alternativen aufzeigen.

STANDARD: Ihr größter Wunsch als Direktor?

Chipperfield: Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, ein gewisses Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Ich will keine Selbstbeweihräucherung. Ich will keine Architekten, die durch die Biennale gehen und sich danach denken, wie toll sie sind. Alles - nur nicht schon wieder die Klischees und Ängste der Bevölkerung bestärken! Ich will die Besucher zum Nachdenken anregen und ihnen auf den Weg mitgeben: Common Ground - das sind wir alle.

David Chipperfield (58) ist Architekt in London. Er plante u. a. das Neue Museum in Berlin, das Kaufhaus Tyrol in Innsbruck und das Kaufhaus Peek & Cloppenburg in der Kärntner Straße in Wien. Anfang des Jahres wurde er zum Direktor der 13. Architektur-Biennale in Venedig ernannt.

Die Biennale 2012: Mit Kazuyo Sejima, Direktorin der Architektur-Biennale 2010, hat die regelmäßige venezianische Nabelschau der Stars und Sternchen ein Ende genommen. Der diesjährige Biennale-Direktor David Chipperfield setzt diese Zurückhaltung fort. Unter dem Generalmotto „Common Ground“ nehmen insgesamt 55 Nationen teil. Angola, die Republik Kosovo, Kuwait, Peru und die Türkei feiern in Venedig heuer ihr Debüt. Darüber hinaus präsentiert Chipperfield eine Ausstellung mit 60 Positionen von Architekten, Künstlern und Fotografen. Eröffnung am 29. August. Zu sehen bis 25. November. (woj)

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David Chipperfield, Foto: Nick Knight © David Chipperfield