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Marte.Marte Architekten
Feldkirch (A)

Die zwei mit der Zementneurose

Stefan und Bernhard Marte bauen nicht nur, aber vor allem mit Beton. Die radikale Etikette der beiden Vorarlberger Architekten ist nun in einer Ausstellung zu sehen.

28. November 2009 - Wojciech Czaja
Sie schauen aus wie Deutschlehrer und Türsteher. Das gleiche Blut, das in ihren Adern fließt, sieht man den beiden Brüdern beim besten Willen nicht an. Was man ihnen auch nicht anmerkt: Stefan und Bernhard Marte sind weder in der Schule noch im Nachtleben aktiv, sondern zählen zu den ungewöhnlichsten Architekten dieses Landes. Zu den besten noch dazu.

Ab kommenden Dienstag widmet ihnen die Galerie Aedes in Berlin-Pfefferberg eine eigene Ausstellung. Unter dem Titel Concrete Works geht es rasch zur Sache. Gezeigt werden Projekte, die nicht nur konkret im Sinne der Realisierung sind, sondern die auch dem Baustoff Beton, concrete also, alle Ehre erweisen. „Wir haben uns nie auf Beton versteift“, erklärt der minimalistisch frisierte Bernhard, mit 43 Jahren der ältere der beiden Brüder. „Doch irgendwie passiert es, dass wir immer wieder bei Konzepten landen, für die nur ein einziges Material infrage kommt.“ Augenbrauen gehoben: „Beton.“

Offenporig, glatt, geschmeidig grau. „Auf eine bestimmte Art und Weise gibt es nichts Schöneres als eine gegossene Wand aus Sichtbeton“, schwärmt der 42-jährige Stefan. Denn eines, bitte schön, müsse der Beton bei all der Mühe, die der Bau eines derartigen Gebäudes verschlingt, unter allen Umständen sein: unverkleidet und nackig, wie der Baumeister ihn schuf. „Wenn man die schalglatte, fast spiegelnde Oberfläche berührt, kann man die Kraft des tonnenschweren Materials förmlich spüren“, sagt Stefan, „und das ganz ohne Farbe und Oberflächenbehandlung, sondern einfach nur durch seine Grundsubstanzen Wasser, Stein, Zement.“

Neben einer ganzen Reihe an kleineren Bauten wie Einfamilienhäusern, Badehäusern und Kapellen zählt zu den radikalsten und wohl umfangreichsten Projekten des Vorarlberger Büros die Sonderschule mit angeschlossenem Internat in Mariatal, Tirol. Der Einsatz von Sichtbeton, wie könnte es anders sein, verdeutlicht im Umgang mit alter Bausubstanz das unglaubliche Fingerspitzengefühl der beiden streng blickenden Herren.

Irritation statt Ehrfurcht

Gebeutelt von einer bisweilen grässlichen Vergangenheit, zeichnet sich das 1267 gegründete Dominikanerkloster Mariatal vor allem durch seine Architektur der Ehrfurcht aus. Das hässliche Internatsgebäude, das in den Siebzigerjahren gefühllos ins alte Ensemble geschmissen wurde, machte die Sache nicht besser. Es fiel der Abrissbirne zum Opfer und schuf Platz für einen Neubau.

Marte.Marte nahmen den Charakter der historischen Anlage auf, spielten mit den rigoros platzierten Fenster- und Türelementen, als handelte es sich dabei um einen magischen Würfel, und platzierten das fertige Ding schließlich auf die frei gewordene Parzelle.

Das Resultat wurde nicht nur mit dem Österreichischen Bauherrenpreis 2007 ausgezeichnet, sondern leistet auch sämtlichen räumlichen Komfort zur Betreuung der teils verhaltensauffälligen, teils gehandikapten Kids. „Ich denke, dass wir mit diesem Bau eine Architektur zum Wohlfühlen geschaffen haben“, sagt Stefan Marte, „einerseits dringt durch die großen Fenster Ausblick und Freiheit in den Raum, andererseits bieten die dicken, massiven Mauern Wärme und Geborgenheit.“

Mit dem Material selbst habe es nie Schwierigkeiten gegeben, sagt Stefan. „Wenn man den Kindern schöne und offene Räume bietet, die ihrem Alter und ihrer Größe entsprechen, dann nehmen sie das auch spielerisch an - mit oder ohne Sichtbeton. Wenn jemand ein Problem damit hat, dann die Lehrer.“

Bruder Bernhard zieht erstmals die Mundwinkel nach oben. Jawohl, ein Schmunzeln ist ihm entfleucht: „Manche Leute behaupten, wir hätten ein massives psychisches Problem da oben in unserer Kemenate“, sagt er. „Irgendwie meinen sie, dass all unsere Entwürfe an mittelalterliche Burgen erinnern. Ein Fünkchen Wahrheit steckt da sicher drin. Schon seit unserer Kindheit sind wir von der Kraft und Ausstrahlung mittelalterlicher Burganlagen fasziniert.“

Wo eine Burg, da auch eine Brücke: Zwei davon haben die beiden in den vergangenen Jahren bereits realisiert. Nun ist die dritte im Entstehen. „Irgendwie haben wir's mit den Brücken, aber die Bauaufgabe ist einfach faszinierend“, erzählt Bernhard. „Besser als irgendwo sonst kann man hier die plastischen Eigenschaften dieses Baustoffs zur Schau stellen. Damit entsteht eine Architektur, die den Verlauf der inneren Kräfte ohne Kaschierung und Verkleidung nach außen kehrt.“

Beton ist ein poetisches Malheur

Für den Material-Striptease über das Schanerloch im Bezirk Dornbirn erhielten die Marte-Brüder nicht nur den International Architecture Award 2008, sondern auch - quasi dem Lauf der Zeit zuvorkommend - Gold beim Best Architects Award 2010. „Wir haben ein gewisses statisches Vorstellungsvermögen, das nicht so schlecht ist. Die ersten formgebenden Skizzen kommen daher von uns. Aber die Konstruktion ist meist so ausgereizt, die Berechnung so kompliziert, dass wir ohne den fundierten Statiker Josef Galehr an unserer Seite längst verzweifelt wären.“

Das architektonische Wollen in die nötige konstruktive Form zu pressen ist keineswegs einfach, dessen sind sich die Marte-Brüder bewusst. „Wir brauchen uns nichts vorzumachen, Bauen mit Beton ist sicher nicht die effizienteste Methode“, sagen sie. „Man muss sich das einmal vor Augen halten: Zuerst wird ein fix und fertiges Holzhaus auf die Wiese gestellt, dann werden die Hohlräume ausgegossen und gedämmt, und am Ende reißt man die Holzhütte wieder weg und entsorgt sie. Ein betriebswirtschaftliches Malheur!“

Ein Einfamilienhaus in Holz zu bauen, eine Brücke in Stahl, eine Schule als Skelettleichtbau sei nicht nur billiger, sondern auch weitaus ressourcenschonender. „Aber es kann unmöglich das Ziel sein, die nächsten hundert Jahre nur noch von Logik, Pragmatik und Panik vor dem Klimawandel zu leben. Wo bleibt da die poetische Komponente dieser so wunderbaren Kultur?“

Stefan und Bernhard Marte bleiben ihrem Schaffen treu. Der wachsende Erfolg gibt ihnen recht. „Wir können nicht anders, so ist unser Leben. Und selbst wenn wir es könnten, würden wir wahrscheinlich keine Motivation verspüren, in der Früh aufzustehen und unsere Arbeit zu erledigen.“ Tatendrang in jedem Maßstab: Die zehn Modelle in der Ausstellung, kein Wunder, sie sind aus Beton.

[ Die Ausstellung „Concrete Works. Marte.Marte Architekten“ wird kommenden Dienstag, 1. Dezember, in der Galerie Aedes am Pfefferberg eröffnet. Christinenstraße 18-19, 10119 Berlin. Zu sehen bis einschließlich 12. Jänner 2010. www.aedes-arc.de ]

[ Buchtipp: „Marte.Marte Architects“, herausgegeben von Stefan und Bernhard Marte, erschienen im Springer Verlag, 2008, 415 S., EUR 58,80 ]

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Tel +43 5522 35485
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