Akteur

Hermann Czech
Wien (A)

Meis­ter der Ir­ri­ta­ti­on

Her­mann Czech ist ein welt­be­kann­ter Na­me. Zu­min­dest in der Ar­chi­tek­tur­welt. Im brei­ten Pu­bli­kum je­doch, meint er, ken­ne ihn fast nie­mand. Dem wol­len wir zum 80. Ge­burts­tag ab­hel­fen.

12. November 2016 - Wojciech Czaja
Stan­dard: Sie ha­ben sich ge­wünscht, vor un­se­rem Ge­spräch ei­nen Blick auf mei­ne Fra­gen zu wer­fen. Jetzt sind Sie un­glü­cklich.

Czech: Auf vie­le die­ser Fra­gen fin­de ich kei­nen Ein­stieg. Ich bin et­was rat­los.

Stan­dard: Sie ha­ben Ge­burts­tag. Wün­schen Sie sich ei­ne Ein­stiegs­fra­ge!

Czech: In ei­ner Ih­rer Fra­gen ist von der Ir­ri­ta­ti­on in mei­ner Ar­beit die Re­de. Da­rü­ber wür­de ich ger­ne spre­chen.

Stan­dard: Bit­te!

Czech: Ich hö­re oft, dass man­che Men­schen von mei­ner Ar­chi­tek­tur ir­ri­tiert sind. Das ist ei­ne be­grün­de­te Be­ob­ach­tung. Das ist aber kein Selbst­zweck. Die Ir­ri­ta­ti­on kommt ja nicht da­her, dass ich da­rü­ber nach­den­ke, wo­mit ich ir­ri­tie­ren könn­te. Sie ist viel­mehr ei­ne un­aus­weich­li­che Ne­ben­wir­kung mei­nes Ent­wurfs­an­sat­zes, mei­ner Ver­fol­gung von ver­schie­de­nen Ge­dan­ken­gän­gen auf ver­schie­de­nen Ebe­nen.

Stan­dard: Zum Bei­spiel?

Czech: Das kön­nen ganz prag­ma­ti­sche Über­le­gun­gen sein – sa­gen wir auf­grund des Ge­brauchs oder der Kos­ten­er­spar­nis. Das kön­nen aber auch be­ab­sich­tig­te Raum­wir­kun­gen oder As­so­zia­tio­nen sein. Manch­mal sind das auch Zi­ta­te aus der Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te oder aus der tri­via­len All­tags­welt.

Stan­dard: Als ich das er­ste Mal das von Ih­nen ge­plan­te Klei­ne Ca­fé am Fran­zis­ka­ner­platz be­tre­ten ha­be, ha­be ich mir den Kopf da­rü­ber zer­bro­chen, aus wel­cher Epo­che das Lo­kal stam­men mag.

Czech: Das hö­re ich im­mer wie­der.

Stan­dard: Sie spie­len ger­ne mit der Zeit. Sie zi­tie­ren, ver­fäl­schen und füh­ren den Be­trach­ter mit Ih­ren Räu­men und Häus­ern an der Na­se he­rum.

Czech: Die Zeit ist ei­ne Di­men­si­on, die man in der Ar­chi­tek­tur an­spie­len kann. Ich ar­bei­te ger­ne mit Mö­beln, mit Bau­tei­len, mit Räu­men, bei de­nen man nicht weiß oder bei de­nen es zu­min­dest nicht ganz klar ist, ob sie schon vor­her oder erst nach­her da wa­ren. Die­se Wir­kun­gen bie­ten sich oft ganz von selbst an. Man muss sie sich nur be­wusst ma­chen.

Stan­dard: Sie ha­ben so­gar schon ein­mal den LC2-Stuhl von Le Cor­bu­sier zi­tiert und wei­ter­ent­wi­ckelt.

Czech: Das war im Aus­tria Trend Ho­tel im Pra­ter. Der Mö­bel­her­stel­ler Cas­si­na hat mich da­rauf­hin ver­klagt, weil Rechts­an­wäl­te das rou­ti­ne­mä­ßig für ei­nen Pla­gi­ats­fall ge­hal­ten ha­ben. Da­von war kei­ne Re­de! Der Fau­teu­il war als LC2 er­kenn­bar, aber mit höl­zer­nen Hand­grif­fen zum leich­te­ren Auf­ste­hen ver­se­hen. In Ih­rer Ar­chi­tek­tur­kri­tik ha­ben Sie das da­mals iro­ni­scher­wei­se als „klit­zek­lei­nes De­tail­chen“ be­zeich­net.

Stan­dard: Wie ging die Ge­schich­te aus?

Czech: In der drit­ten In­stanz sind die fi­nanz­iel­len Klags­for­de­run­gen ab­ge­wie­sen wor­den. Die Fra­ge der Pa­ro­die, der künst­le­ri­schen Über­ar­bei­tung ist in un­se­rer Recht­spre­chung nicht aus­rei­chend er­fasst. Doch die Stüh­le sind jetzt ein­ge­la­gert.

Stan­dard: Was ist das Reiz­vol­le an die­sem Spiel mit der His­to­rie?

Czech: Al­les, was wir heu­te ma­chen, war schon ein­mal da. Ich weiß gar nicht, ob es un­be­dingt so reiz­voll ist, mit der Ge­schich­te zu ar­bei­ten. Es ist ganz ein­fach un­um­gäng­lich. Es ist wich­tig, dass kei­ne De­tails un­ter den Tep­pich ge­kehrt wer­den, dass Wi­der­sprü­che so lan­ge be­ar­bei­tet wer­den, bis al­les passt.

Stan­dard: Ich er­in­ne­re mich an das aus­ge­tüf­tel­te De­tail ei­nes Hand­laufs, bei dem Sie im Wand­putz ei­ne Mul­de aus­ge­spart ha­ben.

Czech: Ja, das war im Ur­ba­ni­haus Am Hof in Wien. Hät­te man den Hand­lauf so weit von der Wand ent­fernt, dass die Fin­ger­knö­chel nicht den rau­en Putz strei­fen, dann wä­re das auf Kos­ten der Stie­gen­brei­te ge­gan­gen. Das woll­te ich nicht. Al­so ha­be ich klei­ne Aus­neh­mun­gen in den Putz ma­chen las­sen. Es funk­tio­niert.

Stan­dard: Sehr Czech!

Czech: Sol­che De­tails gibt es seit vie­len Hun­dert Jah­ren. Aber ja, man freut sich über ei­nen in­tel­li­gen­ten Ein­fall.

Stan­dard: Ein be­freun­de­ter Ar­chi­tekt mein­te ein­mal: Je­des Mal, wenn er in ei­nem Haus von Her­mann Czech steht, füh­le er sich be­ob­ach­tet, denn ir­gend­wo laue­re si­cher ei­ne ver­steck­te Ka­me­ra, durch die der Czech die Be­su­cher be­ob­ach­tet.

Czech: Das lässt sich in­stal­lie­ren! Ich wür­de den Men­schen ger­ne beim Zu­schau­en zu­schau­en. Das wä­re sehr amü­sant.

Stan­dard: An wie vie­len Punk­ten wür­de so ei­ne Ka­me­ra Sinn ma­chen?

Czech: Ich den­ke, ein bis zwei Ka­me­ras pro Pro­jekt wer­den es schon sein.

Stan­dard: Der „Fal­ter“ be­zeich­net Sie als heim­li­chen Sta­rar­chi­tek­ten, den kei­ner kennt. Wie geht es Ih­nen da­mit?

Czech: Da ist was dran. Der deut­sche Kunst­ver­mitt­ler Ka­sper Kö­nig hat kürz­lich über den Be­griff „Ar­tists’ Ar­tists“ ge­schrie­ben, al­so von Künst­lern, die nur Künst­lern be­kannt sind. Und er mein­te, ich sei ein „Ar­chi­tects’ Ar­chi­tect“. Ar­chi­tek­ten ken­nen mich, auch in­ter­na­tio­nal, aber für Me­dien und Pu­bli­kum ist der Czech un­be­kannt.

Stan­dard: Ar­chi­tek­ten ver­ge­ben kei­ne Auf­trä­ge.

Czech: Eben! Aber mit Ar­chi­tek­tur kann man eh nicht wirk­lich reich wer­den. Phi­lip John­son mein­te ein­mal, als Ar­chi­tekt müs­se man von vorn­her­ein reich sein oder ei­ne rei­che Frau ha­ben.

Stan­dard: Und?

Czech: We­der noch.

Stan­dard: Wie hat sich der Job des Ar­chi­tek­ten ver­än­dert? Ist er leich­ter oder schwe­rer ge­wor­den?

Czech: Schwe­rer. Und vor al­lem läs­ti­ger. Manch­mal sind Bau­vor­schrif­ten und Nor­men un­nö­tig läs­tig.

Stan­dard: Sind es nicht die Zwän­ge, die ...

Czech: ... doch, doch, Zwän­ge sind in­spi­rie­rend und kön­nen zu in­no­va­ti­ven Lö­sun­gen füh­ren. Aber wenn man nur mehr ge­ra­de Trep­pen und 80 Zen­ti­me­ter brei­te WC-Tü­ren bau­en darf, dann hört sich die Ar­chi­tek­tur auf. Dann be­ginnt die räum­li­che Ver­ar­mung.

Stan­dard: Wo ist die Ar­chi­tek­tur heu­te?

Czech: Die heu­ti­ge Ar­chi­tek­tur ist zu ei­nem er­heb­li­chen Teil ver­recht­licht. Man kann kaum noch et­was ent­schei­den, oh­ne an Haf­tung und recht­li­che Kon­se­quen­zen zu den­ken. Das lähmt na­tür­lich auch sinn­vol­le In­no­va­ti­on.

Stan­dard: Und wie ist es um die Stadt be­stellt?

Czech: Der Pla­nungs­theo­re­ti­ker Georg Franck for­dert, die neue Stadt sol­le ei­ne gu­te Adres­se pro­du­zie­ren. Ich wä­re schon zu­frie­den, wenn sie ei­ne auf­find­ba­re Adres­se fer­tig­bräch­te! Wenn Sie heu­te ei­nen Be­kann­ten in ei­nem Neu­bau­ge­biet be­su­chen wol­len, dann müs­sen Sie 20 Mi­nu­ten drauf­schla­gen, bis Sie die rich­ti­ge Haus­tür fin­den. Ich fin­de das be­denk­lich. Oder schau­en Sie sich die Ma­ria­hil­fer Stra­ße an! Ich kann aus ei­nem Ver­kehrs­netz ei­nen Fa­den raus­neh­men. Ich kann so­gar je­den zwei­ten Fa­den raus­neh­men. Auch das wä­re kein Pro­blem. Aber ich kann nicht auch noch die kreu­zen­den Quer­fä­den durch­schnei­den, denn dann ha­be ich plötz­lich zwei Tüchln. Das ist wie Ber­lin nach dem Mau­er­bau. Es gibt kei­ne Vor­stel­lung mehr von Stadt­struk­tur.

Stan­dard: Kann man das noch kor­ri­gie­ren? Oder ist es eh schon zu spät?

Czech: Es ist nie zu spät. An­de­rer­seits: Wenn Feh­ler groß ge­nug sind, nennt man sie ei­nes Ta­ges Stadt­ent­wi­cklung.

Stan­dard: Ei­ne Ih­rer be­rühmt­es­ten und wohl auch meist­zi­tier­ten Aus­sa­gen lau­tet, Ar­chi­tek­tur sol­le nur spre­chen, wenn sie ge­fragt wer­de.

Czech: Das ist die For­mel der schwar­zen Pä­da­go­gik. Wolf Prix hat das ge­nau ver­stan­den und hat da­rauf­hin ge­sagt: „Un­se­re Kin­der spre­chen auch un­ge­fragt!“ Kin­der sind aber et­was an­de­res.

Stan­dard: Wa­rum soll Ar­chi­tek­tur die Klap­pe hal­ten?

Czech: Weil nicht im­mer et­was zu sa­gen ist. Au­ßer­dem kann ei­ne Ar­chi­tek­tur, die mit ei­nem Pau­ken­schlag auf­tre­ten will, von da ab nur schwä­cher wer­den. Soll je­mand glau­ben, so et­was noch nie ge­se­hen zu ha­ben? Oder will ich das Be­ste, das mög­lich ist? Das sind zwei ver­schie­de­ne Din­ge.

Stan­dard: Sie sind vor­ge­stern 80 Jah­re alt ge­wor­den. Wo­rauf bli­cken Sie zu­rück?

Czech: Auf vie­le Feh­ler stra­te­gi­scher Art. Hans Hol­lein hat Stra­te­gien be­herrscht, aber um das zu ler­nen, muss man ver­an­lagt sein.

Stan­dard: Gibt es ei­nen Ge­burts­tags­wunsch?

Czech: Kei­ne Bü­cher!

Stan­dard: Weil?

Czech: Das hat mir der Sta­ti­ker ver­bo­ten. Ich ha­be schon an die 15.000 Bän­de im Bü­ro. Zwar wur­de das Haus frü­her als Staats­druck­erei ge­nutzt, und die Stahl­trä­ger hal­ten schon was aus, aber ir­gend­wann ist Schluss.

Stan­dard: Was wün­schen Sie sich statt­des­sen?

Czech: Noch ein­mal 80 Jah­re.
Her­mann Czech ist 1936 in Wien ge­bo­ren. Sein ar­chi­tek­to­ni­sches Werk um­fasst Lo­ka­le, Wohn­bau, Aus­stel­lungs­ge­stal­tung und Stadt­pla­nung. Er un­ter­rich­te­te in Wien, an der ETH Zü­rich so­wie an der Har­vard Uni­ver­si­ty in Cam­brid­ge, USA. Am 5. De­zem­ber hält er auf Ein­la­dung der ÖG­FA ei­nen Vor­trag im Haus Witt­gens­tein in Wien. Be­ginn 19 Uhr.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Kontakt

Singerstraße 26A
1010 Wien
Österreich

Tel +43 1 5133188
architekt[at]hermann-czech.at