Akteur

Friedrich Kurrent
* 1931 Salzburg 2022 Wien

Ich hätte gerne mehr gebaut

Anstatt zu bauen, hat er mehr gedacht, gerettet und geschrieben: Friedrich Kurrent, einer der wenigen der alten Schule. Ein Gespräch aus Anlass des 75. Geburtstages.

9. September 2006 - Wojciech Czaja
Es gibt türkischen Kaffee. Friedrich Kurrent sitzt in seinem Garten in Sommerein und trägt sommerlichen Arbeitslook: einen Strohhut und einen eingeklemmten Bleistift hinterm Ohr. Dass er zeit seines Lebens leidenschaftlicher Kritiker und Opponent war, sieht man ihm heute kaum noch an. Aber man hört es heraus.

Dabei ist es unter anderem ihm zu verdanken, dass das famose Wittgenstein-Haus in Wien Landstraße heute überhaupt noch steht - die Stadt Wien hatte bereits die Baubewilligung für ein Hotel-Hochhaus erteilt. Dabei ist es gerade seiner Initiative zu verdanken, dass der barocke Wiener Spittelberg nicht demoliert und geschliffen wurde - auch da hatte die Stadt Wien bereits die Baubewilligung für eine völlige Neubebauung erteilt. Und die Existenz der Österreichischen Gesellschaft für Architektur geht ebenfalls auf ihn zurück. Gemeinsam mit ein paar Freunden - darunter auch sein ehemaliger Schulfreund Friedrich Achleitner - hat er das Kind 1965 aus der Taufe gehoben.

Kurrents jüngster Protest galt den Bürotürmen in Wien Mitte. Mit einigen Kollegen - und unter dem großen Deckmäntelchen des Unesco-Weltkulturerbes - brachte er auch dieses Projekt zu Fall. Spätestens mit diesem Vorpreschen spaltet der selten bauende, wenngleich viel schreibende und politisch agierende Architekt die jüngeren Generationen in Fans und Feinde.

Standard: Warum durfte Wien Mitte nicht gebaut werden?

Friedrich Kurrent: In dieser Massivität, in dieser Größenordnung und in dieser Höhe waren die Türme zu nah an der inneren Stadt. Das ist der Punkt. Selbst wenn sie schön gewesen wären, selbst wenn man sie aus Gold gebaut hätte, wären sie an dieser Stelle schlichtweg falsch. Ein paar Architekturkollegen und ich - allesamt sind wir keine Stararchitekten, aber schon über 70 und mit reichlich Erfahrung gesegnet - haben einen Brief an den Bürgermeister und an den Planungsstadtrat Schicker geschrieben. Ein wichtiger Satz darin war: „Ob mit oder ohne Weltkulturerbe: Wien Mitte ist in dieser Form falsch.“ Das hat überhaupt nichts mit einer absoluten Ablehnung von Hochhäusern zu tun, nur kann man in Wien mit hohen Häusern einfach nicht richtig umgehen.

Standard: In Ihrer Biografie haben Sie sich allerdings noch nie für Hochhäuser begeistern können.

Kurrent: Ja, das stimmt. Über den Ringturm habe ich immer geschrieben, er sei ein Grenzfall. Alle anderen Hochhäuser im Einflussbereich der inneren Stadt haben wir immer stark kritisiert.

Standard: 1958 bis 1963 wollten Sie den Wiener Flaktürmen Hochhäuser aufsetzen, die bis zu hundert Meter Höhe erreichen sollten. Also doch Hochhaus?

Kurrent: Ja, der Schicker hat auch schon versucht, mich auszutricksen. Er hat mir das Flakturm-Projekt ebenfalls unter die Nase gerieben. Natürlich wollten wir den Flaktürmen Hochhäuser aufsetzen, nur in einem Punkt hat mich Schicker nicht drangekriegt: Fünf der sechs Flaktürme wären in die Höhe gewachsen, nur der Gefechtsturm in der Stiftskaserne wäre niedrig geblieben, denn er ist viel zu nahe an der Wiener Innenstadt. Diesen einen wollten wir damals als hoch gelegenen Hubschrauber-Landeplatz für Mittelstrecken nutzen. Ein bissl laut wäre das für die Stadt gewesen, die Hubschrauber hätten halt still sein müssen.

Standard: Mit der Entfernung wird ein Hochhaus also wientauglich?

Kurrent: Was haben der Johannes Spalt und ich nicht alles gezeichnet und nachgedacht über das Wien der Zukunft! Wien jenseits der Donau, das war unser Thema! Für uns war es wichtig, auf dem anderen Donauufer in erster Linie den Gürtel zu schließen - dort sollten dann unsere Hochhäuser stehen. Und im Endeffekt sind wir wahrscheinlich die einzigen Architekten geblieben, die dort kein einziges Hütterl gebaut haben.

Standard: Sie sind Schreiber, Denker und Architekt. Ein älteres Buch beschließen Sie mit dem Satz: „Viel ist es nicht, was ich (bisher) bauen konnte. Nur einige Häuser, Kirchen und dergleichen.“ Bereuen Sie's?

Kurrent: Ich hätte gerne mehr gebaut. Vor allem in Wien ist nur sehr wenig entstanden. Mit Johannes Spalt habe ich die Sparkasse am Floridsdorfer Spitz gebaut, hoffentlich wird sie noch lange stehen. Das letzte große Projekt war die Umnutzung des alten AKH zum Universitätscampus. Selbst in München, wo ich als Lehrer 25 Jahre meines Lebens verbracht habe, steht kaum ein Haus von mir. Die Lehre und das permanente Nachdenken nimmt einem bauenden Architekten Zeit und Kraft weg. Wie gern hätte ich Wohnhäuser gebaut! Wie gern hätte ich Schulen gebaut! Wie gern hätte ich ein Museum gebaut! Immerhin habe ich für meine verstorbene Frau Maria Biljan-Bilger in Sommerein ein Ausstellungsgebäude bauen können. Das Einzige, was ich jetzt noch unbedingt bauen möchte, ist eine Synagoge für Wien.

Standard: Einige Ihrer Gebäude sind im Rahmen der arbeitsgruppe 4 entstanden. Besteht mit Ihren ehemaligen Kollegen Johannes Spalt und Wilhelm Holzbauer heute noch eine Verbundenheit?

Kurrent: Mit Johannes Spalt pflege ich nach wie vor eine Freundschaft, leider ist er seit zwei Jahren schwer krank. Was den Holzbauer betrifft, ist dies eine traurige Geschichte. Die Freundschaft zu Holzbauer würde bestehen, wenn er nicht das Salzburger Festspielhaus verhaut hätte. Das muss man klipp und klar sagen. Die Architektur ist in dem Fall so wichtig, dass die Freundschaft dadurch einen enormen Schaden erleidet. Das Festspielhaus hätte in seiner heutigen Form niemals passieren dürfen. Die gesamte Front von Clemens Holzmeister wurde schamlos abgerissen, ein Zeitdokument wurde vernichtet. Und man bedenke: Der alte Holzmeister war nicht nur mein Lehrer, sondern auch Holzbauers Lehrer. Hinzu kommt, dass sich Holzbauer diesen Auftrag von den ursprünglich erstplatzierten Wettbewerbssiegern juristisch erstritten hat - das ist schlimm. Mit diesem Projekt hat sich Wilhelm Holzbauer seinen Namen selbst ruiniert.

Standard: In Ihrem neuen Buch schreiben Sie von der „Wiener Krankheit“. Damit man von ihr nicht befallen wird, müsse man entweder flüchten oder sie an Ort und Stelle bekämpfen. Ist diese Krankheit denn gefährlich?

Kurrent: Gefährlich ist sie schon. Und ein bissl ansteckend auch. Die Wiener Krankheit ist eine, die die schöne Oberfläche, sozusagen die Haut der Architektur, sehr stark ins Rampenlicht rückt. Architekten, die der Wiener Krankheit anheim gefallen sind, produzieren einfach nur noch schöne Häuser. Und das Außergewöhnliche an der Wiener Krankheit ist, dass nichts dahinter steckt.

Standard: Macht die Wiener Krankheit einen gar zum Star?

Kurrent: Schrecklich dieses Wort! Stararchitektentum ist etwas Mafioses. Und das Unerträglichste an Stararchitekten sind ihre unentwegten Aussprüche, Werbung in Worten. Wenn ich das schon höre! In der Fernsehsendung „Treffpunkt Kultur“ hat Wolf Prix einmal den Spruch losgelassen: „Die Verpflichtung des Architekten ist es, am Turm von Babel weiterzubauen - sonst ist man kein Architekt.“ Das ist doch lächerlich. Ich habe weder am Turm von Babel weitergebaut, noch habe ich überhaupt Türme gebaut, und schon gar nicht habe ich viel gebaut. Aber ich bin Architekt.

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