Akteur

Friedrich Achleitner
* 1930 Schalchen, Oberösterreich 2019 Wien

Schöne Lage!

Mit Artmann, Bayer, Rühm war er Mitglied der Wiener Gruppe. Für die „Presse“ erfand er in den Sechzigern die Architekturkritik neu. Am 23. Mai wird er 75: Friedrich Achleitner, Dichter, gelernter Architekt, Architektur-Enzyklopädist. Ein Geburtstagsständchen zu zehn Stimmen.

21. Mai 2005
[Arrangiert von Wolfgang Freitag]

WILHELM HOLZBAUER
Architekt aus Salzburg, Jahrgang 1930.

Herbst 1945. Der Unterricht in der „Gewerbeschule“ in Salzburg ist nicht mehr von Fliegeralarm und „Stollengehen“ unterbrochen. Einer kommt vom Land, einer von der Vorstadt, Bauernkind und Arbeiterkind. Sie treffen sich, erkunden sich, sprechen über Rilke, Nietzsche und Ernst Jünger. Beide sind immer öfter zusammen, entdecken die Musik, das Mozarteum, Edwin Fischer, Clara Haskil, der ständige Dirigent des Orchesters war Meinhard von Zallinger. In der Klasse die beiden in einer Reihe mit Gsteu und Puchhammer. Die Matura. Es ist inzwischen 1949. Auch den weiteren Weg gehen die beiden zusammen. Wien, die Holzmeister-Schule! Doch zuerst muss ein Jahr Geld verdient werden, der eine in einem Architekturbüro, der andere auf der Baustelle (man kann raten, wer wo). Wien, die Aufnahmsprüfung, das gemeinsame Zimmer in der „Russenzone“ (es war dort am billigsten). Zwei Betten, links und rechts, in der Mitte ein Tisch.

Das Diplom: Jetzt beginnen sich die Wege auseinander zu bewegen, graduell, langsam. Zuerst noch für beide in der Architektur: du Fritz mit Hannes Gsteu, ich mit Kurrent und Spalt (am Anfang der Arbeitsgruppe 4 noch mit Leitner):

Aus dieser Zeit habe ich ein kleines, rotes, ledergebundenes Büchlein, das du mir zum Geburtstag geschenkt hast mit deinen Gedichten, auf dünnem Papier, von dir mit deiner alten Schreibmaschine geschrieben. In der Widmung meintest du, das „Dichten“ sei leichter als das „Binden“.

Um diese Zeit begann auch deine erst einmal durchaus radikal gemeinte Loslösung von der Architektur, weg mit allen Architekturbüchern. Ich ging nach Amerika.

Es hat dich dann doch wieder zur Architektur zurückgeführt. Unsere Wege haben sich getrennt und doch immer wieder zusammengeführt und kulminierten in den gemeinsamen Jahren an der „Angewandten“.

Und jetzt bist du 75! Ein halbes Jahr früher als ich! Deine „kleineren“ Arbeiten und Experimente in der Sprache sind nicht klein, sie werden ihren Platz in der österreichischen Literaturgeschichte behalten. Aber dein Hauptwerk, die „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“, wird das einmalige Standardwerk über Generationen hinaus bleiben, einmalig auch darin, dass es weltweit wahrscheinlich nichts Vergleichbares gibt, das die gesamten Werke der Architektur von einiger Qualität in einem Land und einem Jahrhundert katalogisiert und mit eigenen Texten analysiert.

Möge dir die Zeit und die Kraft gegeben sein, jene Bände, deren Erscheinen schon länger zurückliegt, noch zu überarbeiten und das Jahrhundert zu vervollständigen.

FRANZOBEL
Dichter aus Vöcklabruck, Jahrgang 1967.

Ein Achleitner gehört nicht in den Kühlschrank, ein Achleitner wird erst nach dem Ablaufdatum gut. Manche legen ihn aufs Fensterbrett, andere auf die Heizung und warten, bis er patzig wird, zerrinnt. Ein Achleitner muss zerlaufen und in seinem Papierl picken, stinken muss er, zumindest, wenn er Käse ist.

Friedrich Achleitner aber ist kein Käse und macht auch keinen Käse, Friedrich Achleitner hat mit Käse nichts zu tun. Aber heißt er überhaupt Achleitner? Je mehr man das zerdenkt, desto unsicherer wird man, ob er nicht doch Archleitner, Achtleitner oder gar Achtleitern heißt. Denn was wollte das sein, eine Ach-Leiten?

Passen zu diesem Innviertler Genie, zu diesem ewigen Schalchen und Architektur-Enzyklopädisten, nicht acht Leute, acht Leitern oder auch acht Schätze sehr viel besser als alle Achs und Wehs? Oder ist das schon wieder Käse? Falls ja, lässt sich mit ein paar Plotteggs ein wunderbarer Kuchen daraus machen, der zumindest jenseits des Inns als Achleitner Käsekuchen populär werden kann. Hier aber reicht er uns als wunderbarer Fritz und Achi (auch mit R).

HANS HOLLEIN
Architekt aus Wien, Jahrgang 1934.

Ende der Fünfzigerjahre ließ sich Achi - nach einer kurzen Pause als Architekt - den Schädel kahl rasieren, kaufte sich einen Strohhut und erklärte, sich ab nun nur mehr der Literatur zu widmen. „Man muss sich entscheiden“, sagte er, „Architektur oder Literatur - beides zusammen geht nicht.“

In weiterer Folge gelang es ihm jedoch, einen symbiotischen „Cross-over“ zwischen diesen Aktionsfeldern zu finden, und er erlangte in beiden Bedeutung und Wichtigkeit - mit einem kreativen, produktiven und analytischen Werk, das Wesentliches zur Kultur Österreichs beitrug.

HERMANN BEIL
Dramaturg aus Wien, Jahrgang 1941.

In Berlin, in Tübingen oder anderswo Friedrich Achleitners „einschlafgeschichten“ lesend, zusammen mit Vera Sturm oder allein, erleb' ich stets aufs Neue, wie für den Zuhörer, aber auch für mich als Leser, eine imaginäre Topografie des Gehirns entsteht, wie der Autor uns in ein fantastisches Labyrinth der Gedankengänge schickt - oder mit uns wie ein Akrobat auf das Drahtseil steigt und alle nur denkbaren Gedankenkapriolen vollführt. Die „einschlafgeschichten“, die vielmehr inspirierende Aufweckgeschichten sind, malen in ihrer lakonischen Gelassenheit, mit ihrem feinen Humor, mit ihrer verblüffenden Freiheit der Wortspiele einerseits Miniaturen zu einem tatsächlich bizarren Kosmos aus, andererseits lehren sie uns unversehens Genauigkeit für das winzigste Detail. Ein einziger Satz - und alles ist gesagt. Ein einziges Wort - und wir erschrecken erfreut, weil wir alles wissen. Zumindest für einen herrlich endlosen Augen-Blick.

MARGHERITA SPILUTTINI
Architekturfotografin aus Schwarzach, Jahrgang 1947.

Der Fritz Achleitner ist nicht nur ein vertrauter Freund und Nachbar, sondern auch mein wichtigster Architekturlehrer. Das hat schon Anfang der Achtzigerjahre begonnen, als ich seine Filme, die er von seinen Reisen für den Architekturführer mitgebracht hatte, entwickelt und vergrößert habe, was ein beginnendes Einschleifen meiner Wahrnehmungsorgane auf architektonische Wirklichkeiten ausgelöst hat. Die weitere Fritzsche Ausbildung erfolgte bei ausgedehnten gemeinsamen Reisen und den an- und aufregenden Diskussionen im Freundeskreis, die im fabelhaft gastfreundlichen Ambiente der Achleitners stattgefunden haben.

Und was ich auch an ihm bewundere, ist seine Konsequenz selbst dort, wo es sich um seine seit Jahren sorgfältig gepflegte Mockerie über die prächtigen Dekorationen der Stadtgartendirektion im Wiener Stadtpark (ein „von einem beamteten Architekten mit einiger Einfühlung errichtetes Amtsgebäude“, F. A.) handelt.

GÜNTHER DOMENIG
Architekt aus Klagenfurt, Jahrgang 1934.

Friedrich Achleitner stellt in seiner Persönlichkeit für mich eine Einheit von Architektur, Architekturtheorie und Gesamtwissen dar.

Er ist wichtig für Architekten und den Umraum.

FRIEDERIKE MAYRÖCKER
Dichterin aus Wien, Jahrgang 1924.

Ich erinnere mich, dass ein Foto an einer Wand meiner Wohnung hängt, das Friedrich Achleitner (wir nannten ihn „achi“) und mich in den Fünfzigerjahren abbildet. Wir sitzen im Café Hawelka, hinter uns eine Blumentapete. Ich halte eine schneeweisze Wolke in meiner rechten Hand, eine Zigarette in meiner linken. Er stützt seine Wange mit der rechten Hand ab und lächelt während des Lesens: sein volles dunkles Haar. Wir sitzen nebeneinander, beide lesend.

Ich nehme das gerahmte Foto von der Wand, es ist staubbedeckt, und lege es neben die Schreibmaschine, es ist viele Jahre, Jahrzehnte alt, wir waren beide jung. Vermutlich lese ich in einem Manuskript von ihm, er in einem Manuskript von mir. Er schrieb Dialektgedichte, wie wir damals alle es taten.

Die Wurzel dieses Dichters kann kein fester Punkt, sondern musz ein Punkt der Ausstrahlung sein, so dehnen sich die Worte auf der Haut aus.

(Auf die Rückseite des Bildes hatte ich damals eine Widmung für Ernst Jandl geschrieben - nach seinem Tod kam es an mich zurück.)

OTTO KAPFINGER
Architekturtheoretiker aus St. Pölten, Jahrgang 1949.

Seine kürzlich erschienenen Bücher „einschlafgeschichten“ und „wiener linien“ machen es wieder deutlich: Friedrich Achleitner ist primär ein Schriftsteller, ein Poet mit besonderer Begabung, Situationen des Alltags zu sehen und zu reflektieren - in einer Prosa, welche die Abgründe und Hintergründe des durch Sprache geformten Bewusstseins und Handelns mit und gegen alle Regeln konventioneller Sprachkunst zu spiegeln vermag. Es war für die österreichische Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts ein glücklicher Zufall, dass dieser äußerlich so harmlos wirkende, mit Augen, Ohren und Hirn aber hellwache, jede Szenerie messerscharf registrierende Beobachter sein Talent für einige Jahrzehnte an die Architekturpublizistik „vergeudete“ - zuerst als Architekturkritiker, dann als enzyklopädischer Forscher und Lehrer. Es gäbe vielleicht auch ohne Achleitner eine irgendwie achtbare Reflexion der modernen Baukunst in Österreich. Aber nur er war imstande, die komplexen Inhalte und Fragen von Architektur und Planung so „zur Sprache zu bringen“, dass es eben nicht bloß fachlich-akademische Rede blieb.

Sein Vorbild, auch seine Skepsis gegen jeden ideologisierenden Systemzwang, war und ist unendlich wertvoll. So sind etwa seine Bände zum modernen Bauen in Österreich nicht nur eine einzigartige wissenschaftliche, sondern eine ebenso singuläre literarische Leistung. Und das hob diese Dokumentationen über die Beschränktheit des Wissenschaftlichen hinaus, machte sie zu einem international beachteten und gültigen OEuvre. Als „Alterswerk“ hat Achleitner sich nun von der Beschreibung des gebauten Rahmenwerks wieder freigespielt und seziert mit kreativem Witz und analytischer Ironie die Szenen des Lebens selbst.

Auf vielen Exkursionen und in vielen Jurys hatte ich die Gelegenheit, Fritz Achleitner bei der Besichtigung von Bauten zu begleiten. Stets war die Kamera dabei, und jeder lohnende Standpunkt wurde von ihm blitzschnell aufgespürt und ausgenützt. Wenn er am Ausgang dann zur Bauherrschaft, zum Hausherrn oder zur Hausfrau sagte: „Gratuliere! Sie haben hier ja eine schöne Lage und eine wunderbare Aussicht!“, dann wusste ich bald, was eigentlich gemeint war: Er wollte sich von den Leuten in aller Freundlichkeit verabschieden, aber das Haus hatte ihm überhaupt nicht gefallen. So wurde das Kürzel „schöne Lage“ für alle aus Achleitners Umkreis - Schüler, Mitarbeiter, Freunde - zu einem geflügelten Wort, zum Synonym für eine vergebene Chance, für eine oft durchaus bemühte, doch eindeutig misslungene Architektur.

Architekten, Jahrgang 1959, 1963. Friedrich Achleitner oder: Wie die österreichische Architektur zur Sprache kam.

F. A. schreibt kritisch, poetisch, leidenschaftlich, uns anspornend, tiefsinnig, erfahren, famos, intelligent, scharfsinnig, genussvoll, anders, kompetent, ausdauernd, menschlich, konsequent, persönlich, niveauvoll, pointiert über Architektur und das Leben darum herum.

Wir wünschen uns weiterhin mehr davon . . .

„Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“, Band III/1 (Wien, 1. bis 12. Bezirk), 348 S., Ln., € 14,40; Band III/2
(Wien, 13. bis 18. Bezirk), 256 S., Ln., € 14,90 (beide Residenz Verlag, Salzburg)

„Wiener Architektur - Zwischen typologischem Fatalismus und semantischem Schlamassel“, 236 S., geb., € 29,90 (Böhlau Verlag, Wien)

„Die rückwärtsgewandte Utopie: Motor des Fortschritts in der Wiener Architektur?“, 64 S., geb., € 7,90 (Picus Verlag, Wien)

„Region, ein Konstrukt? Regionalismus, eine Pleite?“, 194 S., geb., € 34,50 (Birkhäuser Verlag, Basel)

„einschlafgeschichten“, 104 S., geb., € 13,30 (Zsolnay Verlag, Wien)

„wiener linien“, 104 S., geb., € 15,40 (Zsolnay Verlag, Wien)

„Die Plotteggs kommen - Ein Bericht“, 48 S., Ln., € 10,50 (Sonderzahl Verlag, Wien)

Mit H. C. Artmann und Günter Brus: „Von A bis Zett - Zehn Alphabete“, 40 S., geb., € 10,90 (Residenz Verlag, Salzburg)

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Friedrich Achleitner, Pressebild: Lukas Beck © Paul Zsolnay Verlag