Akteur

Margherita Spiluttini
* 1947 Schwarzach 2023 Wien

Die Ar­chi­va­rin der Räu­me

Vor­ge­stern, Don­ners­tag, wur­de Marg­her­ita Spi­lut­ti­ni mit dem Ös­ter­rei­chi­schen Staats­preis für künst­le­ri­sche Fo­to­gra­fie aus­ge­zeich­net. Wir ha­ben sie zum In­ter­view ge­trof­fen. Ein Ge­spräch über schwar­ze Tü­cher, dep­per­te Äng­ste und das We­sen gu­ter Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie.

1. Oktober 2016 - Wojciech Czaja
Stan­dard: Die meis­ten sa­gen: „Na end­lich!“ Was sa­gen Sie?

Spi­lut­ti­ni: Da­mit hät­te ich nie ge­rech­net. Als ich die Nach­richt be­kom­men ha­be, bin ich fast raus­ge­fal­len aus mei­nem Roll­stuhl.

Stan­dard: Wie ka­men Sie zur Fo­to­gra­fie?

Spi­lut­ti­ni: Ich ha­be frü­her als me­di­zi­nisch-tech­ni­sche As­sis­ten­tin ge­ar­bei­tet. Ich sa­ge im­mer: Mei­ne er­sten Fo­tos wa­ren ra­dio­ak­ti­ve und ra­dio­lo­gi­sche In­nen­raum­fo­to­gra­fien vom Kör­per! Nach der Ge­burt mei­ner Toch­ter 1972 ha­be ich den Job auf­ge­ge­ben. Nach und nach ha­be ich dann auch au­ßer­halb des Kran­ken­hau­ses zu fo­to­gra­fie­ren be­gon­nen. Das wa­ren ganz ei­ge­ne, per­sön­li­che Sa­chen, wo ich mich beim Ko­chen und Auf­räu­men selbst do­ku­men­tiert ha­be. Bei den er­sten Ar­bei­ten han­del­te es sich um Se­rien – um Ver­su­che, die Welt in ge­wis­sen Zeit­ab­stän­den zu be­grei­fen. Nie­mals hat­te ich da­ran ge­dacht, das je­mals pro­fes­sio­nell zu ma­chen.

Stan­dard: Da­mals gab es in Ös­ter­reich ge­ra­de mal Re­por­ta­ge- und Ge­wer­be­fo­to­gra­fie. Wie ha­ben Sie in die­sem Mi­lieu be­stan­den?

Spi­lut­ti­ni: Die Bran­che war tra­di­tio­nell und ver­krus­tet. Fo­to­gra­fie als zeit­ge­nös­si­sche Kunst­form war ein Fremd­wort. Und die Mag­num-Fo­to­gra­fie, die al­le be­wun­dert ha­ben, war mir zu an­ek­do­tisch. Es gab kei­ner­lei Vor­bil­der. Al­les war mög­lich. Doch ge­nau des­halb war das ei­ne span­nen­de Zeit! Wich­tig wa­ren die Fo­to­kur­se, Sym­po­sien und Works­hops der Ca­me­ra Aus­tria im Fo­rum Stadt­park in Graz. Die ha­ben mich sehr ge­prägt. Zu­nächst ha­be ich mich in mei­nen Fo­tos mit der Ge­sell­schaft be­schäf­tigt, mit der Frau­en­be­we­gung, mit der Ver­gäng­lich­keit des Au­gen­blicks. Ich ha­be Men­schen, Mo­men­te und Land­schaf­ten fo­to­gra­fiert.

Stan­dard: Die Land­schafts­fo­tos ha­ben et­was Kal­tes, et­was Her­bes. Wie kam es da­zu?

Spi­lut­ti­ni: Das war bei Gott kei­ne Tou­ris­mus­fo­to­gra­fie! Ich den­ke, das hat nicht nur, aber auch bio­gra­fi­sche An­tei­le. Ich bin im Pon­gau auf­ge­wach­sen, mit­ten in den Al­pen. Mein Va­ter war Baum­eis­ter, und in mei­ner Er­in­ne­rung ist er im­mer wie­der vor Roh­bau­ten, Brü­cken, Tun­neln und tech­ni­schen Bau­ten ge­stan­den und hat sie be­wun­dert. Mei­ne gan­ze Kind­heit war ge­prägt von die­sen be­droh­li­chen Ber­gen und die­sen tech­ni­schen Ein­grif­fen, mit de­nen die Men­schen das Gi­gan­ti­sche und Un­wegs­ame der Al­pen über­win­den wol­len. Das war ei­ne Art Hass­lie­be. Das Dis­tan­zier­te hat sich ge­hal­ten.

Stan­dard: Sind Sie ein­fach her­um­ge­fah­ren und ste­hen­ge­blie­ben, wo es ge­ra­de gut war? Oder wur­den die Fo­tos ge­plant und kon­zi­piert?

Spi­lut­ti­ni: Nein, ge­plant war das nicht. Das meis­te ist im Vor­bei­fah­ren pas­siert. Aber von Schnapp­schüs­sen kann man auch nicht wirk­lich spre­chen. Ich ha­be meist mit ei­ner Plat­ten­ka­me­ra fo­to­gra­fiert. Das ist ein Rie­sen­trumm mit ei­nem schwar­zen Tuch oben­drü­ber, das Bild auf der Matt­schei­be stand auf dem Kopf und war sei­ten­ver­kehrt, ein je­des Fo­to hat in der Ein­stel­lung Ewig­kei­ten ge­dau­ert. Die tech­ni­sche Rou­ti­ne ist erst im Lau­fe der Zeit ent­stan­den.

Stan­dard: Ei­nes Ta­ges kam auch die Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie da­zu.

Spi­lut­ti­ni: Ei­nes Ta­ges wur­de ich ge­be­ten, für die Ös­ter­rei­chi­sche Ge­sell­schaft für Ar­chi­tek­tur (ÖG­FA) Fo­tos für ei­nen Wie­ner Ar­chi­tek­tur­füh­rer zu ma­chen. Spä­ter ha­be ich dann mit Lei­den­schaft Häuslb­au­er-Aus­for­mu­lie­run­gen so­wie Häu­ser mit Eter­nit­schin­deln fo­to­gra­fiert. Das Schö­ne und das Poe­ti­sche, das Häss­li­che und Kit­schi­ge. Al­les war gleich viel wert. Mit der Zeit ent­wi­ckelt sich ein Fai­ble für das De­tail, für das Ge­stal­te­te, für das Kom­po­nier­te und das Zu­fäl­li­ge. Und plötz­lich ist man Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fin.

Stan­dard: Ab den Neun­zi­ger­jah­ren wa­ren Sie Haus-und-Hof-Fo­to­gra­fin für die Schwei­zer Ar­chi­tek­ten Her­zog & de Meu­ron.

Spi­lut­ti­ni: Der reins­te Zu­fall! Ich war mit dem Au­to nach Rom un­ter­wegs, ha­be ei­nen Zwi­schen­stopp in Ba­sel ge­macht, wo Her­zog & de Meu­ron ge­ra­de ei­nen Vor­trag ge­hal­ten ha­ben, und nach dem Vor­trag ha­ben mich die bei­den ge­fragt, ob sie mir nicht schnell die neue Ri­co­la-La­ger­hal­le in Lau­fen zei­gen kön­nen. Ich ha­be ein paar Fo­tos mit der Klein­bild­ka­me­ra ge­macht. Die dürf­ten ih­nen so gut ge­fal­len ha­ben, dass da­raus ei­ne Zu­sam­men­ar­beit über vie­le Jah­re ent­stan­den ist.

Stan­dard: Was macht gu­te Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie aus?

Spi­lut­ti­ni: Das ist ei­ne der Fra­gen, die man nie in ei­nem Satz be­ant­wor­ten kann. Da gibt es vie­le un­ter­schied­li­che Glau­bens­sät­ze. Aber für mich ist Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie nichts an­de­res als ei­ne auf­merk­sa­me Kennt­nis­nah­me der Welt. Ich neh­me Ar­chi­tek­tur so­zio­lo­gisch als Re­prä­sen­ta­ti­on der Mensch­heit wahr. Das kann ei­ne Baum­eis­ter­vil­la im tos­ka­ni­schen Stil sein, ein preis­ge­krön­tes Ein­fa­mi­li­en­haus, ein spek­ta­ku­lä­res Macht­sym­bol ei­nes Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­mens. Das zwei­di­men­sio­nal ab­zu­bil­den fin­de ich span­nend.

Stan­dard: Was ist das Span­nen­de da­ran?

Spi­lut­ti­ni: Es fehlt nicht nur die drit­te Di­men­si­on, es feh­len auch al­le an­de­ren Sin­nes­wahr­neh­mun­gen wie Tas­ten, Rie­chen, Schme­cken, Hö­ren. Aber das Schö­ne ist: Weil das al­les fehlt, kann man es nach frei­em Er­mes­sen hin­ei­nin­ter­pre­tie­ren.

Stan­dard: Ab wann kann man bei Fo­to­gra­fie von Kunst spre­chen?

Spi­lut­ti­ni: Ab dann, wenn sie in ei­nem Mu­se­um oder ei­ner Ga­le­rie hängt und man da­für viel Geld ver­lan­gen kann.

Stan­dard: Vor 20 Jah­ren wur­de bei Ih­nen mul­ti­ple Skle­ro­se dia­gno­sti­ziert. Seit 2006 sind Sie auf den Roll­stuhl an­ge­wie­sen. Wie kön­nen wir uns Ih­ren Ar­beits­all­tag vor­stel­len?

Spi­lut­ti­ni: Mei­nen letz­ten Fo­to­auf­trag ha­be ich vor zwei Jah­ren ge­macht. Ich hat­te groß­ar­ti­ge As­sis­ten­tin­nen, und das Fo­to­gra­fie­ren war ei­ne Mi­schung aus Ein­stel­lung wäh­len, An­wei­sun­gen ge­ben, über­prü­fen, wie­der An­wei­sun­gen ge­ben, wie­der über­prü­fen und ab­drü­cken. Wir wa­ren ein ein­ge­spiel­tes Te­am – auch wenn das manch­mal skur­ril aus­ge­se­hen ha­ben muss. Stel­len Sie sich ein­mal ei­ne Fo­to­gra­fin im elek­tri­schen Roll­stuhl mit in­te­grier­ter Steh­funk­ti­on, ei­nem Ka­me­rast­ativ und über al­lem drü­ber ein gro­ßes schwar­zes Tuch vor. Wir ha­ben oft lus­ti­ge Bli­cke ge­ern­tet.

Stan­dard: In­wie­fern hat sich die Fo­to­gra­fie durch die Krank­heit ver­än­dert?

Spi­lut­ti­ni: Mein gan­zes Le­ben hat sich da­durch ver­än­dert. So ei­ne Krank­heit ist ei­ne gro­ße Zä­sur, aber ir­gend­wann ak­zep­tiert man sei­ne ei­ge­ne End­lich­keit, und die­ses Be­wusst­sein bringt auch viel Ru­he. Man übt sich in Ge­las­sen­heit, in ei­nem Neu­sor­tie­ren der ei­ge­nen Wich­tig­kei­ten. Man sieht al­les ru­hi­ger, dis­tan­zier­ter, ana­ly­ti­scher. Ich den­ke, das spiegelt sich auch in den Fo­tos wi­der.

Stan­dard: Wo­ran ar­bei­ten Sie heu­te?

Spi­lut­ti­ni: Fo­to­gra­fie­ren geht gar nicht mehr. Da­zu kann ich die Fin­ger zu we­nig be­we­gen. Aber durch die Krank­heit ha­be ich er­kannt, dass ich mich mit mei­nem Ar­chiv be­schäf­ti­gen muss – in­halt­lich und auch bio­gra­fisch. Das ist ei­ne Er­kennt­nis, die mir als ge­sun­der Mensch wohl vor­ent­hal­ten ge­blie­ben wä­re. Es hat al­so auch was Gu­tes.

Stan­dard: Wie schaut die­se bio­gra­fi­sche Be­schäf­ti­gung aus?

Spi­lut­ti­ni: Ich schaue mir die al­ten Fo­tos an und wun­de­re mich aus der his­to­ri­schen Dis­tanz her­aus da­rü­ber, wie dep­pert ich da­mals war. Ich kann mich an vie­le Äng­ste er­in­nern. Und ich se­he, wie sich mei­ne Fo­to­gra­fie im Lau­fe der vie­len Jah­re ver­än­dert hat. Tat­säch­lich aber ar­bei­te ich das Ar­chiv durch und er­gän­ze es durch das Er­ken­nen von neu­en in­halt­li­chen Zu­sam­men­hän­gen und um feh­len­de Da­ten und Fak­ten.

Stan­dard: Wie groß ist Ihr Ar­chiv?

Spi­lut­ti­ni: Cir­ca 120.000 Dia­po­si­ti­ve und Ne­ga­ti­ve. Mitt­ler­wei­le ha­ben wir das meis­te auch schon di­gi­ta­li­siert. Ich bin sehr froh da­rü­ber, dass das Ar­chi­tek­tur­zen­trum Wien mei­nen Vor­lass über­nom­men hat. Das ist ei­ne gro­ße Er­leich­te­rung.

Stan­dard: Der Staats­preis ist mit 22.000 Eu­ro do­tiert. Gibt es schon Plä­ne, was da­mit pas­sie­ren soll?

Spi­lut­ti­ni: Pelz­män­tel kau­fen! Ach was. Ich ha­be mir aus­ge­rech­net, dass das Geld in et­wa aus­reicht, um mit al­lem Drum und Dran ein Jahr lang über die Run­den zu kom­men. Der Staats­preis schenkt mir ein Jahr schö­ne Le­bens­zeit.

Marg­her­ita Spi­lut­ti­ni , ge­bo­ren 1947 in Schwarz­ach im Pon­gau, mach­te ei­ne Aus­bil­dung als me­di­zi­nisch-tech­ni­sche und ra­dio­lo­gi­sche As­sis­ten­tin und ar­beit­ete zu­nächst im Wie­ner AKH. Da­nach mach­te sie sich als Fo­to­gra­fin selbst­stän­dig. Sie un­ter­rich­te­te an der Kunst­uni­ver­si­tät Linz und an der Uni­ver­si­tät für an­ge­wand­te Kunst in Wien und war bis 2011 Vor­stands­mit­glied in der Wie­ner Se­ces­si­on. 2015 hat sie ihr Ar­chiv dem AzW ver­macht. Zu­letzt er­schien ihr Buch „Marg­her­ita Spi­lut­ti­ni: Ar­chiv der Räu­me“ (Fo­to­hof Edi­ti­on).

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