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Es zuckt, es blitzt, es blinkt
Spectrum

Eine Site, ein Flash, ein Absturz? Die Architektur hat längst den großen Auftritt im World Wide Web entdeckt. Oft fragt sich, für wen und wozu. Ein virtueller Rundgang.

16. April 2005 - Wojciech Czaja
Ein Klammeraffe ist kein Tier, nein. Erinnern Sie sich, als vor wenigen Jahren noch alles so neu war? Ob nun googlen, downloaden oder anschließend copy-pasten, die Generation @ ist jedenfalls mit viel neuem Vokabular aufgewachsen. Mancherorts, abseits von Großstädten ist die Faszination an den vielen C@fés und Meg@stores im Dorfbild noch nicht abgeklungen. Selbst die Kinobranche - eigentlich sollte man meinen, sie sei am Puls der Zeit - macht auf ganz cool, wenn sie sich peinlicherweise an die Youngsters von heute wendet und bonmotet: „ICU @ UCI“. Aber was soll's, das Internet ist eine gute Sache. World-wide ein Web voll von Freude, Wissen und Information. Und wahrscheinlich ist die virtuelle Welt bereits der größte Mistplatz der kapitalistischen Industriegesellschaft. In Zeiten, da sich jeder VIP - längst auch schon jeder vermeintliche IP, man selbst als Architekturpublizist ist ja keinen Deut besser - mit einer ganz eigenen Site rühmen muss, wird es allmählich schwer, im Schlechten das Gute herauszuklauben.

Sie haben es also nicht leicht, die Architekten. In Kooperation mit Grafikern und Webdesignern - mitunter auch im Alleingang - müssen sie beweisen, dass sie nicht nur imstande sind, dreidimensionale Räume zu entwerfen, sondern dass sie auch Herren des Virtuellen sind. Eine Startseite, ein Flash, eine Animation, ein Computerabsturz. Manchmal ist man softwaremäßig gar nicht gerüstet für den einen oder anderen Internetauftritt. Eigentlich wollte man nur die Telefonnummer herausfinden, und schon braucht man die brandaktuellste Variante von irgendwelchen, noch nie gehörten Programmen. Im Jahre 2005, das wird jedenfalls bald klar, hat das Internet seine Funktion als selbstverständliche Informations- und Kommunikationsplattform noch nicht erreicht. Verbissen wird das Medium nach wie vor dazu missbraucht, die eigene Auffassung eines Kunstwerks darin zu postulieren. Es blitzt und blinkt, jedem „Bobo“ seine eigene Lounge-Musik dazu, bei so manchem Intro wird man alt.

Architektur-Homepages, ein weites Thema! Breit gestreut, und konsequenterweise müsste man bei jenen beginnen, die keine haben. Glauben Sie mir, als Schreiberling könnte man an der anti-technischen Sturheit einiger Architekten verzweifeln, wenn man sich dazu genötigt fühlt, eine Bibliothek oder Buchhandlung aufzusuchen, ein einziges Was-glauben-die-eigentlich-wer-sie-sind! Anziehen, reinfahren in die Stadt, recherchieren wieder mal auf die alte Tour. Da ist es doch wirklich eine Freude, dass es auch Architekten gibt, die schon längst im Netz herumstreunen und einem dabei die Arbeit der peniblen Suche abnehmen.

„So wie in der Architektur der Affekt sich auf den Verstand und nicht die Struktur stützt, so tut es auch das Auge“, schreibt Peter Eisenman in seinem Essay „Der Affekt des Autors“ anno 1991, „es ist letztendlich die Idee des Blicks, die den Moment der Leidenschaft für die Architektur bestimmt.“ Weit mehr als ein Jahrzehnt später stellt sich Eisenmans Postulat auch in der virtuellen Architektur als richtig heraus. Ein kurzes Enter nach dem Eintippen der Homepage-Adresse, und auf den ersten Blick bereits macht sich Sympathie breit. Oder aber auch ein nach vorn gereckter Kopf, ein weit geöffnetes Augenpaar, ein Achselzucken.

Absolut beeindruckend die Site von Innocad, sie zuckt und blinkt, allein, man weiß nicht so recht, ob man sich nicht auf die Homepage des neuesten Psychothrillers aus der Traumfabrik Hollywood verirrt hat. Man wird durch Projekte und Ideen geguided - und hat einem etwas ganz besonders gefallen, findet man so leicht nicht wieder dahin zurück. Welcher Sache also wird hier Priorität zugestanden? Ist es die Information oder einzig und allein das visuelle und kognitive Erlebnis des Surfens?

Bleiben wir im Wasser. Aquaphobie ist nichts für Leute, die das Webportal von urbanFish besuchen. Der Cursor wird zum Angelhaken, konzeptionell richtig angebracht, denn die dahinschwimmenden Menübegriffe wollen auch erst einmal gefangen werden. Ab und an ein Hintergrundfischerl im bunten Tropenlook - hier ist eine süße Idee aufgegriffen worden, die trotz der vielen Bubbles (mit Synthesizer-Untermalung wohlgemerkt) so rasch nicht öde wird. Richtig Spaß haben kann man auch bei Rataplan. Die fünf Architekten präsentieren sich mit einem Sujet, mit dem sie - im Wechselspiel von Architektur und wirtschaftsorientierter Akquisition - den Nagel auf den Kopf treffen. Spiele wie „Das Kaufmännische Talent“ (DKT) beziehungsweise „Monopoly“ haben hier Pate gestanden, als Besucher kann man die unterschiedlichen Straßennamen abgrasen und sehen, was sich dahinter verbirgt. Wo kaufe ich ein, wo will ich hin? Rataplan ist ehrlich genug, Ihrem Job jenen wirtschaftlichen Ehrgeiz und jenes aufbauschende Ankaufdelirium zuzugestehen, dem auch die jungen Broker am Spielbrett ständig anheimfallen.

In einem etwas anderen Delirium spukt die einsame Startseite von Neumann und Partner durchs Netz. „Wenn Sie über Architektur sprechen wollen, rufen Sie mich an.“ Und dann ein dreieinhalbminütiges Video zum Downloaden, in dem Neumann höchstpersönlich über Architektur spricht. Man braucht ihn de facto also gar nicht mehr anzurufen, recht praktisch eigentlich. Vorm lodernden Kamin, mit einem Glaserl Wein in der Hand: „Wir müssen mit unserer gebauten Umwelt sehr vorsichtig und sorgfältig umgehen, denn wir, unsere Gesellschaft, unsere heutige Zeit, werden irgendwann einmal nach unseren Bauwerken beurteilt werden.“ Schenkt man den unzähligen Prognosen Glauben, so wird das Virtuelle immer bedeutender und alltäglicher. Treffen die Bedenken des Architekten also nicht auch auf die gebaute Umwelt im Internet zu?

Immer wieder die gleiche schwarzweiße Landschaft im binär verschlüsselten Netz. Vom minimalistisch weißen Nichts mit kleinen bunten Icons zum Anklicken bis hin zum pompösen Trauermarsch im erdrückenden Schwarz reicht die Palette. Und Leute: Hört auf mit dem Schwarz! Die Vorurteile bezüglich gleichfarbigem Rollkragenpulli haben sich in letzter Zeit medial wieder reduziert, stattdessen braucht man nun ein antistatisches Staubtuch am Arbeitsplatz, um hellgraue Fusel von hellgrauen Buchstaben unterscheiden zu können. Nicht selten sind Lupe und Beruhigungsmittel vonnöten, um die Informationsquelle von so manchem Büro auch wirklich anzapfen zu können. Will man auf diese Art und Weise denn wirklich Kunden ansprechen? Oder ist der Aspekt der Dienstleistung in der Architektur ohnehin schon so sehr in den Hintergrund gerutscht, dass sich diese Frage in den 00er-Jahren längst nicht mehr stellt? Fast scheint es, als seien die vielen Homepages nur noch Mittel zum Zweck, mit dem die Idee einer vereinten Architekturszene ins neue Jahrtausend getragen wurde. Der Computer wird heruntergefahren, was bleibt, ist das Bild einer fest eingeschweißten Architektengemeinde. Der User ist willkommen zum Staunen angesichts einer so fremden Sprache, die manchmal nur ein einziges Architekturbüro spricht. Und sonst niemand.

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