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Beton? Stahl? Plastik!
Spectrum

Der „Skylink“ von Schwechat oder der gebaute Beweis, dass auch eine Eintagsfliege Würde haben kann: Wiens Flughafen hat einen neuen Terminal, zumindest für die nächsten drei Jahre.

9. Juli 2005 - Wojciech Czaja
Am 4. Juni 1783 stieg erstmals ein Stück Menschenwerk völlig gravitationswidrig in den Himmel empor. Erhitzte Luft ist leichter, dachten sich die Gebrüder Montgolfier und zeigten der Öffentlichkeit, wie sich so ein Ballon an einem Siemens-Lufthaken mitten im Nichts halten kann. Die ersten Fluggäste waren ein Schaf, ein Hahn und eine Ente, den größten Nervenkitzel an der ganzen Sache darf man dabei wahrscheinlich dem Schaf zuschreiben. Bereits am 21. November desselben Jahres waren es zwei Menschen, die als erste Passagiere (im üblichen Sinne des Wortes) den Luftraum erschlossen. Ob sich die beiden Montgolfiers damals wohl schon ausmalen konnten, wie das mit der Luftfahrt so weitergehen würde?

200 Jahre später: Wo früher noch wochenlange Strapazen zwischen A und B auf sich genommen werden mussten, rücken die Destinationen durch Globalisierung, Vernetzung und Verdichtung heute immer näher zusammen. Nicht zuletzt auch dank des Fliegens. Bis in die 70er-Jahre gab die Aviatik viel Stoff für Cinecittà und Hollywood her, als die Captains und ihre Stewardessen noch die hohe Loge einer exzentrischen Lebensweise für sich beanspruchen konnten. Steven Spielbergs „Catch me if you can“ aus dem Jahre 2002 ist eine kleine Reminiszenz an diese Epoche. Rasch hat sich auch das gelegt, mittlerweile hat der moderne Weltenbürger sogar schon für 29 Euro die Qual der Wahl, ob ihn an sein Ziel etwa Niki oder Lauda befördern soll.

Und während die Welt auf diese Weise zu einem Dorf mutiert, werden die Transiträume immer mehr zu eigenen Städten. Faszination Mikrokosmos zwischen Himmel und Erde? Man darf wohl annehmen, dass Flughäfen zu den schnellst wachsenden Agglomerationen der Welt zählen. Kein Land, das nicht an neuen Terminals oder gar an Landgewinnungen für neue, immer internationalere Airports bastelt. So hat auch Wien vor einigen Jahren sein Potenzial erkannt, definiert sich seitdem als Drehscheibe für den Osten Europas. Wien-Schwechat platzt aus allen Nähten, 1998 schreibt die Flughafen Wien AG einen internationalen zweistufigen Wettbewerb für die städtebauliche Konzeption einer Flughafen-Erweiterung aus. Unter 38 geladenen Teilnehmern geht die schweizerisch-vorarlbergische Arbeitsgemeinschaft Itten + Brechbühl/Baum
schlager & Eberle als Gewinner hervor. Aus dem nüchternen Juryprotokoll: „Insgesamt überzeugt diese Arbeit in ihrer der Aufgabe angemessenen großzügigen Haltung, weil sie versucht, im Kern der zukünftigen Flughafenanlage die notwendige Ausstrahlung und den notwendigen Orientierungskomfort umzusetzen.“

Nun denn, Fertigstellung ist für 2008 vorgesehen. Der neue Skylink - so der offizielle Projekttitel für die Erweiterung - befindet sich bereits in reger Planung, in einem eigens errichteten Gebäude auf dem Flughafenareal hat die Arbeitsgemeinschaft Baumschlager & Eberle, Itten + Brechbühl sogar ihre Wiener Büro-Dependance aufgeschlagen. Doch wie sich herausstellte, kommt die Zukunft rascher, als man sie planen kann - aufgrund des hohen Passagierwachstums musste jetzt schon ein neuer Check-in-Bereich geschaffen werden: Ein temporäres Bauwerk für die Dauer von drei Jahren, wie bei der provisorischen Kunsthalle am Karlsplatz von Adolf Krischanitz ist auch in diesem Fall das Bauwerk von einem absehbaren Ende besiegelt. „Bauen für die Ewigkeit“, heißt es in der Regel so schön, wenn es darum geht, die eigene Eitelkeit durch Technik und materielle Langlebigkeit zu untermauern. Doch in der Würze der zeitlichen Kürze verliert sich so manches architektonische Argument bald einmal. Wie baut man also temporär, ohne dem Gebäude den hässlichen Stempel des Provisorischen aufdrücken zu müssen?

Die Herangehensweise an den neuen Terminal 1A zeugt von Größe. Jeder Entscheidung wohnt ein zukünftiger Gedanke inne, hier wickelt man die Planung von hinten nach vorne ab, Recycling und Wiederverwendung werden zu einem unorthodoxen Designer-Tool. Was dabei entsteht, ist zwar eine Kiste, doch diese huldigt eher dem Vorarlbergischen als dem Geiz des Ökonomischen. Schon die Höhe der Halle ist kein Zufall. Denn eines Tages, wenn der Terminal 1A wieder Geschichte geworden ist, werden die steifen Stahlrahmen eine andere Verwendung finden können - sie sind genau so konzipiert, dass ein Norm-LKW mit einer Höhe von 4,40 Metern hindurchfahren kann. Eine Garage, ein Lagerhaus, eine simple Durchfahrt vielleicht? 120 Tonnen Stahl, die in nur zehn Tagen auf die Beine gestellt wurden, werden für ein Leben nach dem Tod dann zur Verfügung stehen.

Baumschlager & Eberle und Itten + Brechbühl, die inzwischen perfekte Meister der mehrschichtigen Fassade geworden sind, haben auch diesmal bei der Fassade ein richtiges Händchen bewiesen. Kein Glas, kein Beton, kein Stahl, schlicht und einfach nur eine Plastikfassade. Die Polycarbonatplatten mit Mehrkammersystem - immerhin eine drastische Verbesserung der bauphysikalischen Werte - überziehen den gesamten Terminal als eine transluzente Haut. Die Leichtigkeit des Materials, eine ganz klare Metapher der Luftfahrt, macht den gar nicht so kleinen Baukörper zu einem differenzierten Abbild nach außen. Tagsüber dringt das Sonnenlicht in den Innenraum, recht sakral eigentlich, nachts hingegen wird sich die künstliche Beleuchtung an der Außenfassade abzeichnen. Ein paar Silhouetten von eincheckenden Passagieren werden Schatten an die halbdurchsichtige Wand werfen, konterkariert von einem Grafikkonzept des Pariser Büros intégral ruedi baur & associés: Auf der Außenhaut klebt eine stilisierte Vegetation in Form von Grashalmen, dazu gesellen sich abhebende Flugzeug-Piktogramme und eine simple Beschriftung zur Festigung der bildhaften Zeichensprache. Simpel und schön, ein flüchtiges Schmunzeln ist es allemal wert.

Der New Yorker Architekturkritiker Kenneth Frampton hat in der Architektur von Baumschalger & Eberle eine „Absage an die Form“ erkannt. Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrum Wien, spricht sogar von einer „Architektur vom Nullpunkt“. In der Tat, freilich mit Ausstattung und Innenleben auf dem neuesten Stand der Technik zwar, doch mit recht unkonventionellen Materialien ist es gelungen, einen neuartigen Architekturansatz zu vertreten. Mitten im hektischen Treiben des modernen Nomadentums steht der erbaute Beweis, dass auch eine Eintagsfliege (eine Zeitspanne von nur drei Jahren ist in der Architektur ja nichts anderes) Würde ausstrahlen kann. Ein neues Verständnis von Mobilität: Die Reise als Konsumartikel, zumindest bei den Billigfluglinien kann man von keinen finanziellen Strapazen mehr sprechen. „Je edler ein Ding in seiner Vollkommenheit, desto grässlicher in seiner Verwesung“, sagt ein hebräisches Sprichwort. Da es keine Verwesung geben wird, hat der Terminal 1A einen gelungenen Gegenbeweis angetreten.

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