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Hüttenzauber
Der Standard

Hale County in Alabama hat andere Sorgen als die Muse der Architektur. Und doch ist es gelungen, selbst in der sozial schwachen Unterschicht charmante Baukunst walten zu lassen. Obdach einmal anders, Einblick in die Tätigkeit des Rural Studio

11. November 2005 - Wojciech Czaja
Sweet Home Alabama. Ein Hollywood-Schinken aus dem Jahr 2002. Ein - wiewohl zynischer - Titel, dahinter aber eine aalglatte Story über eine in New York lebende Modedesignerin, gespielt von Reese Witherspoon, aus der eines Tages die südstaatliche Vergangenheit herauszubröckeln beginnt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein euphemistischer Bilderreigen aus der Traumstadt labyrinthisch an den eigentlichen Facts einer Region vorbeiführt.

Und diese wären: einer der ärmsten Staaten der USA, eine offizielle Armutsrate - wie auch immer sich diese definiert - von fast 40 Prozent, damit eine der höchsten Arbeitslosenzahlen in den Südstaaten. Hinzu kommt neben der Problematik fortwährenden Rassismus auch die Tatsache, dass viele ländliche Gebiete in Alabama an einem regen Abzug der Mittel- und Oberschicht leiden, was eine Besserung der Umstände in weite Ferne rückt.

Grund zu handeln, dachte sich die Auburn University schon vor gut zehn Jahren und schickte ihre Studenten vor Ort. Damit war das so genannte Rural Studio geboren, jene mehr oder weniger autonome On-the-Road-Meisterklasse, die heute von Andrew Freear geleitet wird und quer durch Hale County vagabundiert. Hier werden keine feschen Pläne geschmiedet, hier werden mit den Brocken der Realität tatsächlich Häuser gebaut.

Für die Dauer von ein bis zwei Semestern werden die Studenten als Arbeitskräfte tätig. Nein, das ist kein Arbeitslager, sondern ein Entwurfsseminar - ein Studio eben -, an dem man teilnehmen kann, um Wochenstunden zu ergattern und um statt der üblichen, gähnenden Theorie auch einmal Landluft und Mörtelduft einzuatmen.

Auf den ersten Blick sieht das alles ein wenig nach aggressiver Architekturpolitik auf dem Land aus, vor allem aber klingt das nach neureichen Dandys, die gemeinsam einen Ausflug in den Sozial-Zoo unternehmen. „Was für ein erzieherisches Statement soll das sein, wenn ein Haufen junger, weißer Mittelstands-Kids eine unterprivilegierte Familie aussucht, der wir dann ein Haus hinstellen?“

Freears Ansatz hingegen: „Der eigentliche Weg, an Klienten zu kommen, ist hinzufahren und zu warten, bis die Leute von selbst zu uns kommen, weil sie von uns gehört haben.“ Das Echo scheint groß zu sein, in den rund zwölf Jahren, in denen das Rural Studio in Hale County nun tätig gewesen ist, konnte es bereits rund 50 realisierte Projekte verbuchen. „Das Rural Studio erarbeitet Projekte, die ein stinknormales Architekturbüro prestigemäßig wahrscheinlich nicht annehmen würde und die sich für ein herkömmliches Büro auch gar nicht rechnen könnten. Wenn wir keine Studenten als kostenlose Arbeitskräfte hätten, könnten wir das Programm vergessen.“

Doch auch in Hale County hat Architektur ihren Preis, um den der Kunde nicht umhinkommt. Die Bauherren müssen einen Vertrag unterzeichnen und beweisen, dass sie die rechtmäßigen Grundstücksbesitzer sind und dass sie am Hausbau auch mit anpacken werden. „Man muss schon damit rechnen, dass sich so ein Bau über viele Monate hinzieht“, schildert Freear die Umstände auf der Baustelle, „ohne Bagger und schnell aufgestellte Stahlbetonwände können wir natürlich nur langsam arbeiten, aber dafür warten wir mit einem verlockenden Endergebnis auf.“ Es geht nicht nur um eine funktionelle Alternative zu den teilweise desolaten Mobile Homes, in denen die Menschen oftmals wohnen, sondern um ein unverwechselbares Haus, das in der Form wahrscheinlich kein zweites Mal zu finden ist. Die Architektur, um die es hier geht, konzentriert sich auf Recycling und auf die unorthodoxe Wiederverwertung von Baustoffen und Produkten, je nach Sammlertrieb und Sachspenden aus der Industrie. Verwendet werden etwa Windschutzscheiben von ausrangierten Taxis, kurz bevor sie in der Schrottpresse zerquetscht werden, die Wände beispielsweise bestehen aus übereinander gestapelten Autoreifen, die anschließend mit Lehm beworfen werden. Doch auch mit gepresster Pappe oder mit alten Teppichfliesen, wie man sie aus Großraumbüros kennt, hat man schon einige Erfahrungen gemacht.

Fazit: Home sweet home einmal anders, jenseits speckiger Hochglanzästhetik und weit entfernt von den üblichen normativen Mustern der freien Marktwirtschaft. Doch am beeindruckendsten ist der erbrachte Beweis, dass Recycling-Architektur nicht gezwungenermaßen trashig sein muss. Ganz im Gegenteil, sie ist sogar im Stande, ein neidvolles Lächeln zu entlocken. Womöglich auch Reese Witherspoon.

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