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Am Sonntag wird gerastet
Der Standard

Justo Gallego und sein Lebenswerk am Rande von Madrid - Zwischenbilanz nach 42 Jahren. Ein Lokalaugenschein.

24. Dezember 2005 - Wojciech Czaja
Justo Gallego trinkt immer Wasser mit Zucker, jeden Tag, und das schon seit Jahrzehnten. Dies sei gut gegen Muskelkater, meint er. Und wenn man sich den autodidaktischen Baumeister genau ansieht, dann weiß man recht bald, dass Justo schon viele Muskelkater überstanden haben muss, seine stark zerfurchten Hände verraten es. Seit nunmehr 42 Jahren baut er im Alleingang an einer Kathedrale, welche die konservative Tageszeitung El Mundo als eines der bedeutendsten Bauwerke der Gegenwart gerühmt hat. Ort des Geschehens: Mejorada del Campo, ein nettes Städtchen im östlichen Irgendwo von Madrid. Ein Hauptplatz, ein Kreisverkehr, eine Kathedrale - was will man mehr.

Fragt sich nur: Wie kommt man auf die Idee, eine Kirche zu bauen, so ganz allein? Ursprünglich war Justo Gallego glücklicher Mönch im Kloster Santa María de la Huerta gewesen, doch zehn Jahre später erwies sich Santa Maria als scheinheilig und schickte den überzeugten Kleriker aufgrund seiner Tuberkulosekrankheit zurück ins weltliche Exil. Das ist wahre christliche Nächstenliebe - allemal den anderen gegenüber. Genesen und voller Tatendrang, beschloss Gallego kurzerhand, sein gesamtes Hab und Gut zu verkaufen und die Grundstückserbschaft seiner Eltern anzutreten. In der Ära Franco noch durfte jeder bauen, der Grund und Geld hatte. Damit also war die grundlegende Idee geboren, sich sein eigenes Gotteshaus zu erschaffen.

Keine heilige Maria zwar, aber immerhin einen so genannten „Templo consagrado a la madre de Dios Nuestra Senora del Pilar“ hat der heute 80-jährige Gallego innerhalb von 42 Jahren auf die Beine gestellt - in Grundzügen zumindest. Der Rohbau steht, könnte man sagen. Der Rest der Geschichte ist erfinderischer und bodenlos kreativer Baustellenalltag, wenngleich die Bezeichnung „Tag“ für eine Zeitspanne, die an mittelalterliche Bauvorhaben denken lässt, einem ein wenig absurd erscheint. Justo arbeitet sechs Tage in der Woche, bis zu 15 Stunden am Tag. Am siebenten Tag rastet er wie dereinst Der da oben und wärmt sich den ganzen Tag an den vielen Ölkanistern, aus denen sommers wie winters Flammenfeuer emporschnellt.

Ist ja auch nicht verwunderlich, das Blut gefriert einem in den Adern: Bis heute hat Justo Gallego keine Unterstützung von Kirche oder Staat erhalten. Vor Kurzem hat der Bürgermeister den Aufgang in das Obergeschoß expressis verbis untersagt. Nicht nur für die vielen Besucher ist der Aufgang versperrt und plombiert worden, auch der Meister selbst muss sich nun einzig und allein mit den Arbeiten zu ebener Erde begnügen: „Ich wollte oben schon längst die Christusfiguren anbringen, doch ich darf nicht mehr hinauf.“ Das Kreuz auf der Laterne ist zumindest schon angebracht.

Die Stadtverwaltung argumentiert mit fehlenden Baubescheiden und einer unzureichenden Statik. Ein ziviltechnisches Gutachten habe es laut einer Dokumentation in „3sat“ zwar schon gegeben, doch man braucht nicht vom Fach zu sein, um das bedenkliche Resultat zu erahnen. Ein bloßer Blick genügt, und man hält über der verwunderlichen Tatsache inne, dass das Gotteshaus überhaupt noch steht. Doch es steht.

„Ich habe kein Geld, aber mit dem Hammer in der Hand gebe ich ein Beispiel für die Menschen.“ Architekten hätten zwar den Titel, meint der baustellenerprobte Praktiker, aber das reiche bei Weitem nicht aus, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Stattdessen liefert Justo seine eigene kleine Enzyklopädie der Baukunst.

Der Kreativmönch hat es immerhin geschafft, sich ein durchgängig eigenes und ausgefuchstes Bauvokabular zusammenzutragen. Gratismaterialien gibt's nicht allzu viel in der Baubranche, und so begnügt sich die Architektur mit wenigen unterschiedlichen Elementen - davon dann aber reichlich. Was in den vergangenen Jahrzehnten offensichtlich zur Genüge vorhanden war, dürfte so eine Art spiralförmige Bewehrung gewesen sein. In unterschiedlichen Radien verwendet, ergibt das ein schier unerschöpfliches Repertoire an architektonischen Details. Die kleineren Radien werden formgebend für Brüstungen, Fensterteilungen und Stiegen verwendet, aus den etwas größeren gelang es Justo, so manche Säule aufrecht zu stellen, die ganz großen Spiralbewehrungen schließlich fristen ihr Dasein als statische Überspannung des Querschiffes.

Auch das, was man im Architekturjargon gemeinhin so trefflich als Wandaufbau bezeichnen würde, bekommt in Mejorada del Campo eine ganz neue Dimension verliehen. Auf technische Perfektion wird gezwungenermaßen verzichtet, gestapelt wird alles, was stapelbar ist. Hohlblockziegel beispielsweise werden ihrer statischen Vernunft schlichtweg beraubt und werden in die Horizontale gelegt. Die Ziegelreihen sind einmal sehr regelmäßig, dann aber auch wieder nicht. Fest steht hier vor allem die Tatsache, dass ohne die hartnäckige Klebkraft des Mörtels die gesamte Kathedrale wahrscheinlich unter der Last des Irdischen zusammenfallen würde.

Manchmal werde ich mit Antonio Gaudí verglichen", erzählt Gallego in einem Interview, „aber mich deshalb als Künstler zu bezeichnen? Das geht doch nicht.“ Enthaltsamkeit kennt eben keine Grenzen. Schon gar nicht dort, wo sie in das Gebiet des eigenen Stolzes vordringt. Stattdessen konzentriert er seine negative Energie - auch davon hat er genug - auf die grundbösen Journalisten. „Immer diese Journalisten!“ Und für den Rest seiner Verbalattacken reichen die Spanischkenntnisse gerade noch aus, um festzustellen, dass das viele Baustellenmilieu dem Mönch nicht gut getan hat. „Nein, Sie dürfen kein Porträt von mir machen. Sie sehen doch, ich muss arbeiten!“ Viel Zeit bleibe ihm sowieso nicht mehr, da wolle man ihm noch welche wegnehmen?

Man tat es, wie die Fotos unmissverständlich zeigen. Die darauf folgenden Minuten waren reuevoll. Von einem Mann dieses Kalibers, mit blauer Arbeitskluft und roter Kappe des Grundstückes verwiesen zu werden, hat etwas Hässliches an sich. Aber mit einer kleinen Spende kann man sich aus der Verdammnis des publizistischen Fegefeuers wieder freikaufen. Der schrullige Justo steckt es ein und schreitet mit der Arbeit voran.

Im Hintergrund flackert eine Kerze auf dem provisorischen Altar. Einen anderen als diesen wird Justo Gallego in seiner selbst gebastelten Kathedrale - so viel muss man sich eingestehen - wahrscheinlich niemals mehr zu Gesicht bekommen. Der Mönch ist müde und schmerzgeplagt, an manchen Tagen könne er kaum noch seine Arme heben, erklärt er. Doch eines ist sicher: "Ich will weitermachen. Ob ich es je schaffen werde, weiß ich nicht. Doch ich kann nicht aufhören und werde für diese Kathedrale wohl sterben.

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