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Wenn der Hamamci schrubbt
Wenn der Hamamci schrubbt, Foto: Clemens Fabry
Spectrum

Weltweit sind sie im Rückzug, in Wien wird einer neu gebaut: ein Hamam, ein türkisches Bad. Markus Spiegelfeld und Szolt Wanger haben nicht plump Orientalismus in einen Wiener Keller implantiert, sondern beide Kulturkreise an der Gestaltung teilhaben lassen.

5. Oktober 2002 - Wojciech Czaja
Francesco, ein erfolgreicher römischer Architekt, erbt von seiner Tante, die sich schon vor langer Zeit in Istanbul niedergelassen hat, einen Hamam. Er bricht in die türkische Metropole auf, um seine Erbschaft anzutreten und sie daraufhin zu verkaufen, schließlich kommt doch alles anders. Der vorerst noch kühle und unsympathische Römer beschließt, in Istanbul zu bleiben, um gemeinsam mit Freunden und Bekannten seiner Tante den alten Hamam zu restaurieren. Wie zu erwarten war, verfällt Francesco während seiner Arbeit allmählich den Reizen dieser Stadt . . .

Regisseur Ferzan Ozpetek beschreibt in seinem 1997 erschienenen Film „Hamam“ das türkische Bad (wie auch der aufschlußreiche deutsche Untertitel ausgefallen ist) als einen Ort der Ruhe, der Inspiration, der homoerotischen Erlebnisse, schließlich als einen Ort, der die Liebe zu einer Kultur geweckt hat. Konstruierte Gefühlsduselei auf höchster Stufe? Und dennoch ein Film, der in den österreichischen Köpfen nachhaltige Bilder vom türkischen Baden produziert hat.

Verläßt man das Terrain der städtischen Hallenbäder, so ist in Wien das Saunieren bisher eine eher subkulturelle Angelegenheit für aufgeschlossene Paare. Das öffentliche Baden findet bestenfalls im Tröpferlbad statt, doch auch das ist schon längst zum Relikt vergangener Zeiten verkommen. Statt dessen (und wohl einige Preisklassen darüber) eröffnet dieser Tage (am 18. Oktober) ein Hamam. Christine Ruckendorfer, in Wien lebende Projektentwicklerin und Immobilienmaklerin, die vor vier Jahren das leerstehende Erdgeschoßlokal am Fuße der Mariahilfer Straße entdeckt hat: „Ich war fassungslos, mitten in der Stadt 1600 Quadratmeter zu finden, die so verwahrlost waren.“ Ob von Anfang an ein Hamam geplant war? „Das öffentliche Baden hat mich zwar immer schon fasziniert, doch erst mit dem Ort entstand die Idee.“ „Aux Gazelles“ - der frankophile Name des neuen Hamams in der Rahlgasse verspricht zum arabischen Raum eine größere Affinität als zum kleinasiatischen und signalisiert zudem, daß dieses Bad nicht in erster Linie ein multikultureller Beitrag zum Stadtleben, sondern eher „très chic“ ist.

Dadurch widerspricht der erste Eindruck der ursprünglichen Idee des Hamam-Besuchs, wie sie in dieser Form vor rund 800 Jahren in Anatolien entstanden ist. Damals vermischten sich die Rituale der Türken mit denen der Römer und Byzantiner: öffentliches Baden, nach Geschlechtern getrennt. Wichtiges Element ist das heiße und feuchte, aber ausgewogene Raumklima, das durch hypokaustische Wärme, also durch Beheizung über den Stein an Wand und Boden, erzielt wird. Die Architektur der ersten Hamams war maßgebend für die darauffolgenden Jahrhunderte: Nach einer genau vorgegebenen Raumabfolge betritt man den eigentlichen, achteckigen Waschraum. Das Oktogon - als polygonale Nachempfindung des vollendeten Kreises - ist durch eine Hauptkuppel bedeckt und erschließt kleinere, symmetrisch angeordnete Nischen, in die man sich zur Intimreinigung zurückziehen kann.

Der traditionelle Waschgang dauert einige Stunden, teilweise mit stoischem Daliegen auf den beheizten Marmorplatten, damit sich in der Hitze die Hautporen öffnen können, teilweise mit Selbstwaschung unter Zuhilfenahme von Kupferschalen. Den Höhepunkt eines Hamam-Besuchs bildet der Hamamci, der mit einem grobgewebten Tuch die abgestorbenen Hautzellen abschrubbt und dem westeuropäischen Besucher nach qualvollen Schmerzen lange Zeit in verklärter Erinnerung bleibt.

Einer der berühmtesten Hamams ist der Cemberlitas-Hamam in Istanbul, 1584 erbaut vom bekannten Architekten Mimar Sinan. Doch wer hat nun den Hamam in Wien gebaut? Heidulf Gerngroß erstellte das erste Konzept, wollte sich mit der Idee eines türkischen Bads nicht so recht anfreunden, präsentierte für das alte Gemäuer unter der Rahlstiege schließlich Entwürfe für ein Bierlokal. Ein Hamam in Wien? - Nein, das sei nicht systemimmanent. Der britische Architekt John Pawson kassierte daraufhin rund 30.000 Euro, um seine Bauherrin mit unbezahlbaren plätschernden Flüssen und Bächen für sich zu gewinnen. Der Grazer Architekt Hannes Lackner war ebenfalls bald aus dem Rennen, blieben letztlich nur noch Markus Spiegelfeld und Szolt Wanger, die das vorportionierte Projekt nun bis zur Umsetzung begleitet haben.

„Ich habe mir anfangs einfach immer die falschen Architekten ausgesucht“, blickt Christine Ruckendorfer zurück, „in vier Jahren fünf Architekten und 27 Mitarbeiter zu verschleißen war kein Vergnügen für mich.“ Viele Köche verderben den Brei, könnte man auf Anhieb meinen.

Und auf Anhieb könnte das auf „Aux Gazelles“ auch zutreffen. Doch bei genauerer Betrachtung haben Spiegelfeld und Wanger sensibel auf die Bauaufgabe reagiert. Nicht auf plumpe Art und Weise implantierten sie ein türkisches Bad in einen Wiener Keller, sondern ließen beide Kulturkreise gleichwertig an der Gestaltung teilhaben. Die unverputzten Spuren der Tonnengewölbe sind genauso ablesbar wie die sanften Pastelltöne auf ed-len Materialien; ein überdachter Gründerzeit-Innenhof als Bindeglied zwischen den beiden marmorverkleideten Hamams für Männer und Frauen.

Das beinahe Orientalische - will man der vorgefundenen Atmosphäre überhaupt einen Namen geben - ist in der architektonischen Umsetzung der vielen kleinen Räume als abstrahierte und zeitgenössische Metapher zu verstehen und nicht als sinnentleerter, disneyfizierter Orientalismus, der über alles Vorgefundene gestülpt wird, wovon beispielsweise viele österreichische Thermenhotels zeugen.

Während in Wien eines gebaut wird, sind die türkischen Bäder weltweit im Rückzug.

Vor 30 Jahren schon klagte Dogan Kuban, einst Direktor der TU Istanbul, über das Aussterben der Hamams: „Das Erhitzen von Wasser, die zahlreichen Reparaturen und die hohen Erhaltungskosten werden immer teurer.“ Die Errichtung eines Hamams in Wien wirkt Kubans frühen Zweifeln nicht entgegen, sondern verstärkt sie. Eine exotische und technisch unkonventionelle Bauaufgabe bringt hohe Errichtungs- und Erhaltungskosten mit sich, diese wiederum wirken sich auf den Eintrittspreis aus. Genau darin - da behält Heidulf Gerngroß recht, wenn er von Systemimmanenz spricht - besteht die langfristige Gefahr, Konzept und Publikum zu verfehlen.

Mit der Zeit und mit den Besuchern wird sich also weisen, ob „Aux Gazelles“ eine kulturelle Bereicherung für diese Stadt sein wird oder ob die 50.000 in Wien lebenden Türken und Araber nur ein Vorwand dafür sind, einen weiteren Lifestyle-Tempel für eine zahlungswillige gehobene Klientel zu eröffnen.

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