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Der missverstandene Unversöhnliche
Der Standard

Teil 28 der Serie: Adolf Loos war nicht nur Architekt, sondern auch ein genialer „Sprachmensch“

9. November 2002 - Friedrich Achleitner
Adolf Loos, der wortgewaltige Verkünder, Kritiker und Moralist, Satiriker, Verehrer der Brüder Grimm, Freund Karl Kraus' und Peter Altenbergs, Förderer von Oskar Kokoschka und Kämpfer für den Neutöner Schönberg, Kitschsammler, Reformer von Bekleidung und Küche, siedlerbewegter Bonvivant und Antikunstgewerbler etc. etc. ist wahrscheinlich dafür mitverantwortlich, dass heute oft mehr gelesen wird, was Architekten schrieben, statt bei ihren Bauten nachzuschauen. Loos zu lesen ist immer ein Vergnügen, obwohl man sich weniger um seine „Wahrheiten“ kümmern sollte als um die Art, über Stadt, Kultur, Gesellschaft, Kunst und Architektur nachzudenken. Etwa sein Aufsatz Der Sattlermeister ist nicht nur eine Satire von Nestroyschem Format, sondern auch ein faszinierendes Modell für die Darstellung kultureller Probleme.

1870 in Brünn als Sohn eines Steinmetzen geboren und neben (oder in?) der Werkstatt seines Vaters aufgewachsen, gehörte zwar der Generation der Erben der Gründergeneration an, aber er verfügte nicht wie viele seiner Zeitgenossen der Wiener Gesellschaft (etwa Karl Kraus) über ein Vermögen, das er nach seinem Gutdünken ausgeben oder verbrauchen konnte. Im Gegenteil, er wurde nach einem Konflikt mit seiner Mutter (er war Halbwaise) praktisch enterbt und ging so als 23-Jähriger zu einem Onkel nach Amerika, um sich dort drei Jahre lang mit allen möglichen Beschäftigungen (vom Tellerwäscher und Komparsen bis zum Journalisten) durchzuschlagen.

Mehr als die Bauten der im Zenit stehenden „Schule von Chicago“ beeindruckte ihn offenbar die amerikanische Kultur - europäisch ausgedrückt, der Standard der Zivilisation - sodass er nach seiner Rückkehr nach Österreich in Wien eine Art fundamentaler Kulturkritik auf breitester Basis eröffnete. Er kritisierte nicht nur das damals neu aufblühende Kunstgewerbe, sondern auch die Tischsitten, die Wiener Küche, das Schuhwerk, die Bekleidung und vor allem das Vordringen der Kunst in den Alltag einer Großstadt. In Wien wurde er schockartig mit einer „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ konfrontiert, die kulturellen Zustände der Klassen und Stände trennten nach seiner Anschauung oft Jahrhunderte, sodass er sich bald genötigt sah, DAS ANDERE. Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich (1903) herauszugeben, das allerdings nur zwei Ausgaben erlebte. Er wandte sich vor allem gegen die oberflächliche Ästhetisierung des Lebens, die ihm in allen Bereichen die „Wiener Secession“, später die „Wiener Werkstätte“ und der „Werkbund“ zu verkörpern schien. Maßstab war ihm einerseits das zum Teil von diesen Strömungen unberührte oder gefährdete Handwerk, andererseits aber auch der vorurteilslose Gebrauch der Güter des Fortschritts im amerikanischen Alltag.

Karl Kraus eröffnete zu dieser Zeit seinen „Feldzug“ gegen den Missbrauch der Sprache durch den Journalismus mit einer ähnlich moralisierenden Position und vor allem mit einer unerbittlichen und unnachahmlichen satirischen Schärfe. Karl Kraus war auch gerade dabei, den Großmeister des Wiener Volkstheaters, den abgründigen satirischen Dialektiker der Metternich-Ära, Johann Nepomuk Nestroy, wiederzuentdecken, sodass Adolf Loos, auch von seinen Anlagen her ein genialer Sprachmensch, sicher in diesem Milieu die Instrumente für seinen privaten, aber öffentlich geführten Kulturkampf finden konnte.

Dass Adolf Loos nicht nur ein anerkannter, wenn auch sehr umstrittener Architekt, sondern eine zentrale Figur des Wiener Kulturlebens war, beweisen die Absender der zahlreichen Grußadressen zu seinem 60. Geburtstag mehr als ein langer Beschreibungsversuch seiner gesellschaftlichen Position: Neben den wenigen Architekten Josef Frank, Bohuslav Markalous, Jacobus Johannes Pieter Oud, Gustav Adolf Platz und Bruno Taut findet man vor allem aus Literatur, Musik und Kunst die Namen Hermann Bahr, Anna Bahr-Mildenburg, Alban Berg, Max Brod, Max Eisler, Ludwig Ficker, Gustav Glück, Johannes Itten, Julius Klinger, Karl Kraus, Else Lasker-Schüler, Mechthilde Lichnowsky, Maurice Maeterlinck, Karin Michaelis, Alfred Polgar, Ezra Pound, Marcel Ray, Richard von Schaukal, Robert Scheu, Helene Scheu-Riesz, Arnold Schönberg, Rudolf Serkin, Otto Stoessl, Max Thun-Hohenstein, Tristan Tzara, Anton Webern und Stefan Zweig.

Wer Adolf Loos gelesen hat und von seinen Aufsätzen immer wieder in einen gebannten Zwiespalt von Bewunderung und Irritation versetzt wird, trägt zumindest die Erinnerung an erbarmungslose Satiren, ja an einen unversöhnlichen Sarkasmus, aber auch an Verkündungspathos und wenig Selbstironie mit sich, sodass sein architektonisches Werk scheinbar in den Hintergrund tritt. Und wenn sein legendäres Haus am Michaelerplatz nicht in einer faktischen Opposition zur Neuen Hofburg errichtet worden wäre, hätte er vermutlich gar nicht so viel darüber geschrieben, als ihm von der empörten Öffentlichkeit abgenötigt wurde.

Adolf Loos, der nie behauptet hat, dass Ornament Verbrechen sei (man sehe sich seine Arbeiten an), ist vielleicht der missverstandenste Architekt der Wiener Architektur. Geschieht ihm schon recht, könnte man wienerisch höhnen, warum hat er so viel geschrieben. Sogar sein Hauptwerk, das „Looshaus“ am Michaelerplatz, ist vielleicht gar nicht sein Hauptwerk und sollte nicht nur im Kontext des „Fortschritts der Moderne“ gelesen werden. Es ist in erster Linie ein gewichtiger Kommentar zur Wiener Kultur der Jahrhundertwende, ein Monument des Schweigens und Andeutens, der verschlüsselten Botschaften, ein Dialog mit der Geschichte der Stadt, politisch und kulturell, soweit man beides trennen kann. Adolf Loos' architektonisches Vermächtnis bleibt vermutlich der Raumplan, ein Thema der Raumkunst, das er in das Bewusstsein des 20. Jahrhundert hineingetragen hat. Ein archaisches Thema, schon in Knossos oder beim Erechteion hoch entwickelt, das zu seiner Zeit einen gewaltigen Fortschritt in der räumlichen Organisation des modernen Hauses darstellte und das über die Werkbundsiedlung ein Thema im engagierteren Wiener Wohnbau geblieben ist. Oder sein zu seiner Lebensführung konträr stehendes soziales Engagement in der Siedlerbewegung mit dem Ziel, über ein extrem ökonomisches Raumdenken dem Arbeiter den Luxus bürgerlichen Wohnens zugänglich zu machen. Oder die Rolle des Architekten als praktischer Berater, Architektur als Dienstleistung; das klingt eigentlich alles sehr heutig. Vorausgesetzt, man versteht nicht alles, was Bauen ist, ja was gebaut wird, als Architektur.

Adolf Loos hat bis zu seinem Tode 1933 von der Tschechoslowakischen Republik eine Ehrenpension erhalten. Sein Haus Müller in Prag ist vorbildlich restauriert und zugänglich. So wie es die österreichische Zweite Republik nicht schaffte, das Wittgensteinhaus zu erwerben, wurde auch das Haus des Tristan Tzara in Paris für unsere Diplomatie als ungeeignet erklärt. Das Wiener Looshaus ist sensibel renoviert und in einem guten Zustand, schade dass der Schriftzug auf der Stirnseite nicht mehr auf die Erbauer, sondern auf die heutigen Eigentümer verweist. Und der geradezu spießige Blumenschmuck ist ein Treppenwitz der Geschichte: Die magistratische Auflage, dass in den verordneten Blumenkistln auch Blumen sein sollen, wurde von Goldman & Salatsch in Solidarität mit dem Autor und mit Architekturverständnis nobel ignoriert, dann vergessen. Jetzt wird die amtliche Verschandelung des Hauses brav befolgt. Wagrein triumphiert. Und Adolf Loos sorgt immer noch für Missverständnisse. []

Friedrich Achleitner ist Architekturtheoretiker, Autor und Mitglied der legendären Wiener Gruppe.

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