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Und oben drauf einen Hut!
Spectrum

Es scheint der Mode zu entsprechen, bei Dachaufbauten die vorhandene Substanz als reine Erhöhung für das neu zu Errichtende zu benutzen. So kommt das Neue schön zur Geltung.

11. Januar 2003 - Wojciech Czaja
Was haben wir da nur geerbt vergangenes Jahr? Einen Haufen Schwierigkeiten, eine Quelle des Zwiespalts, lauter brisante Fragen. Wien im neuen Kleidchen, adrett herausgeputzt für den frischgedruckten Tourismusfolder - und im Rucksack eine aufgebürdete Portion Weltkultur. Da wird die neue Verleihung plötzlich zur Waffe gegen Fortschritt, zum omnipotenten Vorwand für alles mögliche, allem voran für die Beibehaltung der Schandflecke und Sauhaufen in dieser Stadt.

Das totgeredete Projekt Wien-Mitte stellt indessen andere Themen in den Schatten: Wie kann es sein, daß man sich über das eine Projekt die Köpfe einschlägt, auf der anderen Straßenseite aber deutlich weniger Hähne nach dem Unesco-Prädikat krähen? Da steht es also: das hübsche Hotel Hilton, bemühter Versuch, Bauhaus mit Jugendstil zu verweben. Der 18stöckige Bau galt schon zu seiner Eröffnung im Sommer 1975 als fragwürdig: „Als einziger Zierat Balkongitter, die so aussehen, als hätte sich ein nordafrikanischer Gastarbeiter den Scherz erlaubt, vierhundertmal das Wort Kitsch in arabischer Schrift schmiedeeisern zu verewigen“, schrieb ein politisch unkorrekter Rudolf John damals im „Kurier“.

Seit einem Vierteljahrhundert macht es schon ein bißchen auf Skyline, ließ sich irgendwann den fünften Stern wieder nehmen und galt seither als schwarzes Schaf unter den Luxushotels. „Wien kann auf sein Hilton stolz sein, denn es gleicht schier in nichts den anderen Hiltons überall auf dieser Welt“, schrieb „Die Presse“ am 7. Juni 1975. 27 Jahre darauf wurde das Wiener Hilton verkauft und wird nun umgebaut und aufgestockt. Geschätzte Baukosten: 175 Millionen Euro.

Während es in Österreich Brauch geworden ist, daß kleinformatige Zeitungen großformatige Projekte durch den Schlamm ziehen, bis sie zu Fall gebracht sind, verliert man dortselbst über das rege Treiben im dritten Wiener Gemeindebezirk kein Sterbenswörtchen. Der Grund liegt auf der Hand: Die Käufer sind Hanno Soravia - und Christoph Dichand, der sich im Schatten seines Vaters offenkundig sicher fühlen kann; planender Architekt wiederum ist Hans Hollein. Die Mischung könnte kaum besser sein: Macht und Marie haben sie alle.

Der erste Schritt ist getan, der letzte Gast ausgecheckt, in wenigen Tagen wird das gesamte Inventar des Hotels versteigert werden. Wenn es nach Plan geht, rollen in Kürze die ersten Bagger und Kräne an. „Die Fassade soll in den Grundelementen erhalten werden“, erklärt der Architekt.

Ein wenig holleinisiert wird sie wahrscheinlich aber doch werden. Das letzte Geschoß, das sich durch den Fassadenrücksprung von den anderen 17 Geschoßen abhebt, wird abgetragen; an seine Stelle tritt ein markanter dreigeschoßiger Aufbau. Die Stahl-Glas-Konstruktion schwebt deutlich über der vorhandenen Bausubstanz und verwendet diese nun als Podest. Der Architekt klopft sich auf die Schulter: „Fast wie eine dahinflimmernde Wolke!“

Hollein, jahrzehntelang Wiener Verkörperung der Postmoderne, entdeckt eine neue Formensprache: Was sich beim „News“-Tower als Schuhschachtel-Erker über der Taborstraße angekündigt hat, kulminiert in den aktuellen Projekten Monte Laa und Hilton als kristallines Schuhschachtel-Geschwür, als ob es in der x- und y-Achse horizontal explodieren würde. Selbstzitat und Schöpfer scheinen großen Gefallen aneinander gefunden zu haben. Doch zugegeben: Effekt und Ästhetik sind überzeugend.

Und auffällig. Auch für die Behörden. Zunächst einmal muß alles dem Flächenwidmungsplan entsprechen, bei der Baupolizei eingereicht und vom Fachbeirat für Stadtgestaltung abgesegnet werden. Und dann könnten auch noch der Kunstsenat und die Zentralvereinigung der Architekten ihren Senf dazugeben. Viele Entwürfe von vielen Architekten schaffen diese Hürden gar nicht erst. Da gehört nämlich auch eine gehörige Portion Glück dazu. Zum Beispiel das Glück, Hans Hollein zu sein. Und als solcher nicht nur das Projekt zu planen, sondern auch Präsident von besagtem Kunstsenat zu sein. Und auch von der Zentralvereinigung der Architekten. Und natürlich auch vom Fachbeirat für Stadtgestaltung. Nun, da hat man es freilich schon ein wenig leichter, wenn man gleichsam Partei und Richter in einem ist. Wenigstens kann man Hollein keine Freunderlwirtschaft vorwerfen, dazu sind bekanntlich mindestens zwei notwendig.

Auch was Wien an Aufstockungen sonst noch zu bieten hat, ist zumindest qualitativ mit einem Wort erklärt: Mix Max. Von den Spielen aus unserer Kindheit sicherlich eines der besten. Lustige Figuren, plakativ Berufe verkörpernd, sind der Lustigkeit halber horizontal geviertelt: unten Füße, darauf der dicke Bauch, dann der Kopf, als Abschluß ein Hut. Was man damit macht, muß an dieser Stelle nicht erläutert werden, jedenfalls haben am Ende alle großen Spaß gehabt und gelacht. Auf den Hochbau übertragen: Man mixt alles mögliche zusammen, um maximalen Nutzen zu erzielen.

Nicht selten entstehen dabei Gebäude, deren unterschiedliche Bestandteile scheinbar keinen Bezug mehr zueinander haben. Es scheint der aktuellen Mode zu entsprechen, dem Paradebeispiel Holleins zu folgen und im Zuge des Umbaus die vorhandene Substanz als reine Erhöhung für das neu zu Errichtende zu benutzen. So kommt das Neue schön zur Geltung.

Mit den Bauklötzen ausgetobt hat man sich in jüngster Zeit beispielsweise auch im zweiten Wiener Gemeindebezirk, einen Katzensprung vom Donaukanal entfernt. Hier thront „Galaxy 21“, ein altbekannter Freund, den einst die Fellners behausten. Martin Kohlbauer hat den Galaxy-Tower bis auf seine statische Struktur abgetragen, ihm eine neue, weiße Hülle verpaßt und einen sechsstöckigen Zylinder - sowohl in geometrischer als auch in kleidungstechnischer Hinsicht - aufgesetzt. Bei Kohlbauers Projekt ist ein geübter Architektenblick ratsam. Denn der Zylindergrundriß ist nicht kreisrund, sondern elliptisch, was angeblich der Schlankheit des Gebäudes zugute kommt.

Kohlbauer war auf Grund statischer Gegebenheiten im Umgang mit der Kubatur zwar stark eingeschränkt - für die 4100 Tonnen auf dem Dach mußte eine eigene Stützenkonstruktion bis zum Fundament durchgesteckt werden -, dafür folgt das Resultat aber auch dem Baukasten-Prinzip. Wie dem auch sei, Galaxy 21 ist „das Bürogebäude für die hohen Ansprüche des 21. Jahrhunderts“, versichert uns der Bauherr.

Mix Max inspiriert also rundum. So wie das Spiel seinen Reiz erst erhält, indem man sich nicht an den bereits vorhandenen Figurfragmenten orientiert, hat auch die Architektur ihre neuen Vokabeln entwickelt. Klar, Kontraste sind spannend. Und sie gehören mittlerweile zum guten Ton, unspannende Übergänge hingegen zum alten Eisen. So bringen die Beine des einen besser den Bauch des anderen zum Vorschein, dieser wiederum unterstreicht den Kopf des Künstlers. Ehe man sich's versieht, tüftelt man lieber an ausgefuchsten technischen Details des Aufbaus herum statt an einer ausgewogenen Gesamtkonzeption. Und so stülpt jeder seine feschen Denkmäler überall dort über, wo es unten noch recht mittelmäßig und oben schon ziemlich hoch ist.

Die vertikale Gliederung der Gebäude, wie sie in Wien zur Zeit überhand nimmt, ist an sich kein neues Phänomen. Die klassische Komposition Basis / Schaft / Kapitell beziehungsweise Sockelgeschoß / Regelgeschoß / Attikageschoß ist schon aus der griechischen Antike und aus dem Klassizismus des vergangenen Jahrhunderts bekannt. Doch unterschiedliche Motive bringen unterschiedliche Resultate zustande. Damals war es das Bestreben, die Elemente implizit zueinanderzufügen, heute ist es das Bestreben, eines davon explizit hervorzuheben.

Die Kritik gilt aber nicht allein den Architekten, sondern in erster Linie den kollegialen, familiären und sich auf die Schulter klopfenden Kontrollapparaten und Absegnungsinstanzen, in denen die besten Freunde zu Hause sind. Wird sich in den Gremien, Ausschüssen und Beiräten in Zukunft also etwas ändern? Wahrscheinlich nicht. Denn wer würde schon ernsthaft Macht und Marie abschlagen? Vor allem aber: In 70, 80 Jahren werden die heute ach so starken Kontraste längst verwischt sein, alles Moderne und Störende wird sich in Luft aufgelöst haben. Wer wird die Aufstockung des Hilton dann noch als Aufstockung wahrnehmen? Wer wird 2080 noch den Unterschied zwischen Siebziger- und Neunziger-Architektur des vorigen Jahrhunderts wahrnehmen können? Oder wem ist schon einmal die Naht aufgefallen, an der das herrschaftliche Ringstraßenhotel Imperial in den zwanziger Jahren aufgestockt wurde?

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