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Gläsernes Raumschiff
Neue Zürcher Zeitung

Ein unkonventionelles Bürohaus in Amsterdam

Im Südwesten von Amsterdam wurde jüngst ein unkonventionelles Bürohaus fertiggestellt. Das durch die Architekten Roberto Meyer und Jeroen van Schooten entwickelte Gebäude bietet auf zehn terrassierten Geschossen eine offene Bürolandschaft für 400 Mitarbeiter. Die futuristisch anmutende Aussenhaut aus schimmernden Aluminiumpaneelen und Glas bildet die Grundlage für eine umweltverträgliche Gebäudetechnik.

24. Januar 2003 - Robert Uhde
Der unlängst am Schnittpunkt zwischen Bahn, Autobahn und Amstelveenseweg fertiggestellte Verwaltungssitz der ING-Bank bildet ein neues Eingangstor im Südwesten der Stadt und gleichzeitig den Auftakt zum Büroviertel «Zuidas», das hier bis ins Jahr 2020 entstehen soll. Neben einer Reihe hochgewachsener Bürobauten sieht die Bebauung auch vier flachere Pavillons im Wasser des «Neuen Meeres» vor. Um seiner Rolle als städtebauliches Scharnier gerecht zu werden, bleibt der Neubau zum Wasser hin mit rund 20 Metern eher niedrig, um auf der Stadtseite mit 48 Metern zu voller Höhe aufzusteigen - ein klares und eindeutiges Statement inmitten des extrem inhomogenen urbanistischen Kontextes entlang der Autobahn.


Coole Form

Wurden Banken und Versicherungsgebäude vor wenigen Jahren noch zumeist als geschlossene, massive «Bunker» entworfen, werden Transparenz, Dynamik oder Ganzheitlichkeit im Finanzbereich inzwischen auch durch die architektonische Erscheinung symbolisiert. Wie schon beim Bau ihrer Filialen in Prag von Frank O. Gehry und in Budapest von Erick van Egeraat setzte die weltweit operierende ING-Gruppe auch in Amsterdam auf einen spektakulären und sofort wiedererkennbaren Entwurf. Aus dem unter 17 Architekturfirmen ausgeschriebenen Wettbewerb ging schliesslich das vor 18 Jahren gegründete Büro Meyer en Van Schooten Architecten als Sieger hervor. Der 1959 in Bogotá geborene Roberto Eduard Meyer und sein um ein Jahr jüngerer Partner Jeroen Wouter van Schooten leiten eines der interessantesten jüngeren Architektenteams der Niederlande, dessen Spektrum von Wohn-, Industrie- und Bürogebäuden bis hin zu Sanierungen und Brückenbauten reicht.

Immer wieder sticht dabei die avantgardistische Formgebung heraus. Nicht als vordergründiger Effekt, sondern als spezifische Antwort auf einen jeweiligen Kontext: Trotz dem ungewöhnlichen geometrischen Layout, das eher an einen modernen Hochgeschwindigkeitszug als an ein Bürogebäude erinnert, resultiert auch die Form des neuen ING-Hauptsitzes ausschliesslich aus den städtebaulichen und architektonischen Funktionen. Aus der Entfernung wird die weithin sichtbare Landmarke vor allem durch die biomorph abgerundete Hülle aus Glas und Metall geprägt. Die stromlinienförmige Ausstrahlung suggeriert dabei Schnelligkeit und Bewegung - ein deutlicher Verweis auf den immateriellen Charakter der globalen Kapitalströme.

Beim Näherkommen wird auch der menschliche Massstab des 136 Meter langen und 30 Meter breiten Gebäudes deutlich: Die in den oberen Geschossen durchgängig als zweite Haut realisierte Glasfassade bietet nicht nur einen Einblick in die Vorgänge im Inneren, sondern schafft auch die Grundlage für das luftige und energiesparend erzeugte Binnenklima. Und ähnlich erweist sich die spektakuläre Aufständerung des Gebäudes mit Hilfe von insgesamt 32 V-förmigen Pilotis nicht als Selbstzweck. Vielmehr ermöglicht sie neben einer optimierten Erschliessung vor allem die freie Sicht von der A 10 durch das transparente Eingangsvolumen hindurch auf das Neue Meer. Aluminiumpaneele umschliessen das Auditorium in der 25 Meter weit nach Westen auskragenden «Nase» des Gebäudes und bekleiden weiter den «Unterbauch» sowie die Fassaden der zweiten Etage, hinter denen sich die gesamte Gebäudetechnik verbirgt.

Auf einer Fläche von 20 000 Quadratmetern bietet der Neubau neben hoher Arbeitsplatzqualität auch flexible Innenraumgestaltung, mit der jederzeit auf neue Anforderungen des sich rasant verändernden Finanzmarktes reagiert werden kann. Das Raumprogramm umfasst neben Büros für rund 400 Mitarbeiter und dem 250 Besucher fassenden Auditorium ein grosses Foyer, Besprechungsräume, zwei Restaurants, Archive, Technikräume sowie eine Parkgarage. Kennzeichnend für die Organisation des Innenraumes ist der fliessende Wechsel von offenen Zonen mit weiter Panoramaaussicht - wie bei den Restaurants, dem Konferenzraum, dem Auditorium, den Patios und Gärten - und eher geschlossenen Bereichen.


Patios und Gärten

Grundlage des ökologischen Energiekonzeptes des neuen ING-Hauptsitzes ist die durchgehende zweite Fassadenhaut aus Glas. Diese schafft nicht nur eine optimale Lichtausbeute und damit einen niedrigeren Strombedarf für die tageslichtabhängig gesteuerte Beleuchtung, sondern ermöglicht darüber hinaus auch die passive Nutzung von Solarenergie. Zudem erlaubt die doppelte Fassadenkonstruktion die Öffnung der Innenfenster, ohne dass man dabei den Lärm und die Abgase der Autobahn in Kauf nehmen muss. Über eine Fernbedienung können die Mitarbeiter individuell die mit Elektromotoren ausgestatteten Fenster öffnen, wodurch das jeweilige Büro dann über die Gebäudesteuerung automatisch von der zentralen Klimaanlage abgekoppelt wird. Am Ende des Tages werden die Fenster automatisch wieder geschlossen und die Klimaanlage wieder eingeschaltet. Um zu verhindern, dass während des Öffnens verunreinigte Luft ins Gebäude einfliesst, wird die in den Zwischenraum zwischen den beiden Schichten einströmende Frischluft dabei ausschliesslich auf der zum Neuen Meer hin gelegenen Südseite eingeschleust.

Eine weitere Massnahme zur Unterstützung der natürlichen Klimatisierung der Innenräume bieten die auf verschiedenen Ebenen angelegten Atrien, Patios und Gärten. Jede der Grünzonen hat einen spezifischen, auf den jeweiligen Ort zugeschnittenen Charakter: Bei der Auffahrt mit dem Panoramalift vom ersten bis ins achte Geschoss fällt der Blick unter anderem auf einen Bambusgarten, auf einen Dschungelgarten und die mit Palmen bepflanzte Süd-Loggia in der sechsten Ebene. Den Höhepunkt der botanischen Exkursion bietet jedoch das achte Geschoss - mehr als 40 Meter über der Stadtlandschaft trifft der Besucher hier auf einen nach aussen hin offenen Garten mit üppig wucherndem Königsfarn und Schottischen Fichten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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