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Wo ist der Garten Eden?
Der Standard

Der diesjährige Architekturkongress in Münster widmete sich schwerpunktmäßig der Ökologie und der Zukunft unserer Städte. Doch so rasch wird sich nichts ändern, befürchten die großen Protagonisten von Welt.

7. April 2007 - Wojciech Czaja
Wer März sagt, muss auch Münsterland sagen. Für die Dauer von drei Tagen schnellte die Dichte an Architekten und Architekturinteressierten in Münster wieder einmal in exorbitante Höhen. Das kleine, steinerne Städtchen, das in der Regel durch Bockwurst, Bischofskathedrale und abertausende Radfahrer auf sich aufmerksam macht, vereinte heuer zum vierten Male architektonischen Rang und Namen aller Herren Länder. Es referierten David Chipperfield, Moshe Safdie, Ken Yeang, Mark P. Sexton, Zena Malek, Hani Rashid sowie eine stolze Riege an Österreichern, angeführt von Altmeister Hans Hollein.

Die Vorträge und Diskussionen standen unter dem Eindruck des Klimawandels. Ohne tief schürfendes Schuldbekenntnis traut sich kaum mehr ein Architekt auf die Bühne. Der taiwanische Architekt Adam Chen stellt mit Entsetzen fest: „Nachhaltige Architektur hat es 5000 Jahre lang gegeben.“ Erst mit der Hochkonjunktur des Industriezeitalters, also während der vergangenen hundert Jahre, habe man vergessen, was es heißt, nachhaltig zu bauen. „Jeden Fehler, den wir auf dieser Welt gemacht haben, haben wir bisher einige Male wiederholt“, erklärt US-Architekt Moshe Safdie, „und bis heute sind wir nicht klüger geworden.“ Schließlich Ken Yeang, malaysischer Architekt und Wegbereiter des so genannten grünen Bauens: „Wir haben nur noch ein paar Jahre Zeit, um unseren Lebensstil zu ändern und völlig umzusatteln. Andernfalls steht eine wirkliche Klimakatastrophe bevor.“ Die medialen Einschüchterungsmaßnahmen und Hetzkampagnen unserer Tage seien dagegen harmlos.

Schließlich schüttelt Yeang sein Lieblingsthema aus dem Ärmel: grüne Hochhäuser. „Im Grunde ihrer Natur sind sie eine sehr unökologische Art zu bauen. Um ehrlich zu sein, es ist die schlimmste Art überhaupt.“ Doch Yeang möchte das Übel so klein wie möglich halten, er sieht sein so genanntes „green design“ daher als groß angelegtes Reparaturwerkzeug für die bisher durch Menschenhand erfolgten Verwüstungen und Vernichtungen. „Die Menschen wollen Hochhäuser. Irgendjemand Vernünftiger muss sich schließlich dieser Aufgabe annehmen und etwas Vernünftiges daraus machen.“

Seine Antworten sind bereits zuhauf gebaut. Das neueste Projekt, das sich derzeit noch in Geburtsvorbereitung befindet, hört auf den Namen Editt-Tower und räumt der Flora allein ein Drittel des gesamten Hochhauses ein. Die Begrünung wird zur Kühlung und Isolierung genutzt und dient den Mitarbeitern als psychologische Wohlfühloase.

An einem noch größeren Wurf arbeitet derzeit Moshe Safdie. Er nahm sich einer Stadterweiterung in Singapur an. Statt einer einzigen Hochhauswand, wie dies gefordert war, trennte Safdie seine Gebäude. Zwischen den Bollwerken wird man stadtein- und -auswärts hindurchsehen können.

Erst auf dem Dach werden die Gebäude miteinander verbunden - durch ein Gartenplateau mit fast 9000 Quadratmeter Fläche. Moshe Safdie sinniert: „Es ist wie ein Garten Eden im 50. Stock, mit fantastischem Ausblick, mit Wiesen, Bäumen und Swimming-Pools. An den beiden Enden ragt das Gartenplateau um 60 Meter aus.“

„Eigentlich habe ich den Garten auf dem Dach als Vision gesehen. Mir war klar, dass man die Ausmaße auf ein technisch machbares Maß reduzieren müsste. Aber was machen die Asiaten? Sie fangen an zu rechnen, und nach ein paar Wochen kommen sie daher und sagen: Ja, das machen wir.“ Marina Bay Sands befindet sich bereits in Bau, die Fertigstellung ist für 2009 angepeilt.

Doch mit solchen Projekten allein werde man nicht weit kommen, darin sind sich alle Protagonisten der diesjährigen Architec- tureWorld einig. Denn die hohe Schule der ökologischen Architektur kann weniger bewegen, als man denkt. Am Ende des Tages zückt ein Redner ein zerknülltes Papier aus der Jackentasche. Es ist die „Europäische Charta für Solarenergie in Architektur und Stadtplanung“. Sie ist ein Stück vergilbter Geschichte aus dem Jahre 1996, unterzeichnet von Bonzen wie etwa Renzo Piano, Frei Otto, Sir Richard Rogers, Lord Norman Foster, Françoise-Hélène Jourda, Thomas Herzog, Nicholas Grimshaw oder Gustav Peichl.

Kaum ein Mensch hatte von dieser Charta je gehört. So rasch, wie sie gekommen war, verschwand sie auch wieder - und mit ihr all die gut gemeinten Intentionen. Es ist zu befürchten, dass die dramatisch geschwungenen Reden heutiger Tage das gleiche Schicksal ereilen wird wie anno dazumal: Sie werden sich in nichts auflösen. „Wir leben in einer bequemen Welt und sind zutiefst komfortsüchtig“, sagt Ken Yeang, „unter solchen Umständen wird man niemanden finden, der sich freiwillig einem Lifestyle-Wandel unterzieht.“ Fazit der diesjährigen ArchitectureWorld: Alles bleibt beim Alten, denn noch ist Energie zu billig. Nächstes Jahr sehen wir weiter.

Zu Wort gekommen

Makoto Sei Watanabe / Tokio
Es ist nicht zu verantworten, dass sich Architekten vor ihren ökologischen Aufgaben verstecken. Es wird allerdings nicht genügen, grüne Architektur zu propagieren. Wichtig ist es, in den Köpfen der Menschen Architektur als wichtige Gestaltungskomponente ihres Lebens zu verankern. Architektur muss sie in ihrem tiefsten Inneren fesseln. Ich denke, dass diese Entwicklung in Japan bereits sehr fortgeschritten ist. Das liegt an unserer Vergangenheit, an unserer Kultur, an unserer Auseinandersetzung mit Material, mit Raum, mit unserem persönlichen Umraum. In Europa kann ich diesen Prozess nicht so gut einschätzen. Doch ich habe das Gefühl, dass man auf diesem Kontinent noch weite Wege zu gehen hat. Und ich meine nicht in den Erkenntnissen und Entwicklungen der Industrie, sondern in der Überzeugung jedes einzelnen Menschen.

Zena Malek / Libanon, Kuwait und Dubai
Dubai macht mir das Leben nicht leicht. Die Menschen da sind verrückt. Sie bauen wie Wahnsinnige, und das auf so eine unreflektierte Art und Weise, dass es einem manchmal schon den Atem nimmt. Nachhaltigkeit ist kein Thema. Und damit kann ich alle Vorurteile, die gegenüber Dubai herrschen, aus dem Alltag nur bestätigen. Vor einiger Zeit habe ich in einer Tageszeitung ein Projekt entdeckt, das nun direkt neben den neuen Flughafen Jebel Ali gebaut werden soll. Es handelt sich dabei um ein etwa 50-stöckiges Haus in Form eines Scheichs. Arme, Gesicht und Gewand sind deutlich zu erkennen und bis ins Detail ausgearbeitet. Der Scheich soll in Zukunft die ankommenden Flugpassagiere in Dubai begrüßen. Als ich den Artikel in der Zeitung gesehen habe, war mein erster Gedanke: Koffer packen und weg von diesem Ort!

Moshe Safdie / Somerville und Jerusalem
Ökologie ist inzwischen eine Frage des Überlebens. Dass manche Architekten angesichts der Dringlichkeit immer noch nicht zur Vernunft gekommen sind, hängt wohl damit zusammen, dass Architektur einen viel zu hohen Kunststatus genießt: Architektur ist Selbstausdruck, ist Selbstbesessenheit, ist Selbstzweck. Dabei wäre es so leicht umzudenken. Ich habe ein Buch mit dem Titel The City after the Automobile geschrieben. Es wird zwar immer noch Autos geben, aber im Gegensatz zu heute werden wir sie nicht besitzen, sondern mieten. Es ist so ähnlich wie mit den Mietfahrrädern in den Niederlanden. Man schnappt sich gegen Gebühr ein Auto, fährt damit irgendwohin und gibt es dort wieder zurück. Das ist zwar nur eine mögliche Antwort auf die Problematik. Doch es beginnt immer im Kleinen. Durch gezielten Einsatz von menschlichem Verstand wäre schon viel gewonnen.

Ken Yeang / Kuala Lumpur und London
Architekten sind wie Kinder. Sie gehen unbedarft an die Bauaufgabe heran und bauen ihre Träume. Mit so einem kindischen Ansatz kann man sich einer Konfrontation mit dem Klima nicht stellen. Man muss das Hochhaus so grün wie möglich machen. Nur so kann man dazu beitragen, dass unterm Strich die Ökobilanz unserer kapitalistischen Architektur zwar nicht besonders gut, aber immerhin nicht katastrophal ist. Begonnen habe ich damit 1971. Damals waren ökologische Hochhäuser noch im Luxussegment angesiedelt, heute sind sie in einigen Teil der Erde bereits Pflichtsache. Der Hauptkrisenherd der Umweltverschmutzung nennt sich immer noch USA. Die wenigen engagierten Vorzeigestädte wie Portland und Sacramento gehen dort unter. Denn alle orientieren sich daran, was Washington sagt. Doch aus Washington sind nur Lippenbekenntnisse zu hören.

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