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Magritte lässt grüßen
Der Standard

Bauen in historischer Umgebung? In der Regel kann man damit niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Doch in Paris ist gelungen, wovon Wien nur träumen kann. Ein Blick hinter die Fassade des Nobelhotels Fouquet's Barrière.

14. April 2007 - Wojciech Czaja
Wien hat seine Lipizzaner, Sachertorten und Pferdeäpfel. Paris hat dafür Haute Couture, Crêpes und Chansons d'Amour. Da wie dort hat man mit einem großen historischen Erbe zu hadern und muss permanent abwägen: Bleibt man wohlbehütete Klischeestadt unter nobler Käseglocke oder lässt man doch lieber die moderne Metropole raushängen? Dass Paris Meisterin der Ambivalenz ist und anderen europäischen Hauptstädten meilenweit davongaloppiert, weiß man schon seit Langem.

Wer in letzter Zeit die emsigen Touristenströme der Avenue des Champs-Élysées verlassen und sich in eine der malerischen Seitenstraßen verirrt hat, der durfte recht staunen. Ein altes Eckpalais ist zu einem steinernen Koloss erstarrt: Surrealismus in höchster Perfektion, René Magritte hätte es nicht besser machen können. Fenster und Türen sind im Angesichte der Zeit erblindet, an ihre Stelle treten Fragmente eines modernen Hauses, das sich wie ein Parasit durch die ausgediente Fassade nagt. Vorbei die Mühsal architektonischer Komposition und geschichtlicher Behutsamkeit, hier macht sich jemand über altbewährte Architekturspielregeln in der Pariser Innenstadt offenkundig lustig.

Dieser Jemand nennt sich Édouard François. Bei seinem jüngsten Wurf im Abseits der Champs-Élysées handelt es sich um einen Erweiterungsbau des Nobelhotels Fouquet's Barrière, das in den Himmel der Pariser Hotellerie emporgestiegen ist: Es darf sich der seltenen Auszeichnung erfreuen, neben Ritz Carlton, Le Meurice und Konsorten das insgesamt sechste Palace-Hotel der Seine-Metropole zu sein. In Zahlen ausgedrückt: Eine Nacht kostet zwischen 700 und 15.000 Euro, gefrühstückt wird gegen Aufpreis.

Die Gretchenfrage: Wie baut man in historischer Umgebung? „Die Bauherren kamen zu mir und wollten quasi direkt auf den Champs- Élysées ein grünes Gebäude, eine absurde Idee“, mokiert sich Architekt François, „die gesamte Straße lebt von einem mondänen Flair und ist von der Architektur Haussmanns geprägt: Stein für Stein.“ Ein ökologisch orientiertes Gebäude mache in diesem historischen Kontext keinen Sinn und sei nichts anderes als reiner Dekor. François wollte sich mit der Problematik des Bauens in hochkultureller Umgebung auf unkonventionellere Weise auseinandersetzen. Über seine Lösung - der Architekt spricht von „moule troué“, also von einer durchlöcherten Schale - waren die Bauherren anfänglich schockiert, heißt es.

Dass sich hinter dem surrealen Gebilde der Kern eines Bürogebäudes aus den Siebzigerjahren verbirgt, lässt sich heute bestenfalls an der niedrigen Geschoßhöhe erahnen. Zu sehr irritiert die schwere Fassade mit ihren betonierten Versatzstücken aus längst vergangenen Tagen. „Sie werden sich jetzt fragen, wie diese Fassade zustande kommt, doch das ist ganz einfach“, sagt François, „ich habe die Optik des bestehenden Hotels kopiert und hier eingefügt. Neusprachlich würde man wohl copy and paste dazu sagen.“

Damit habe der Architekt Édouard François - wie er selbst sagt - die Geschichte auf eine Art und Weise interpretiert, wie dies zuvor von niemandem anderen getan wurde. „Ich wollte die Passanten auf der Straße dazu bringen, eine gewisse Sensibilität zu entwickeln. Sie sollen durch die Gasse gehen und plötzlich vor diesem einen Haus stehen bleiben. An der Störung des Gefüges sollen sie erkennen, wie schön die Haussmann'schen Fassaden eigentlich sind und über welche Schönheit Paris an diesem Ort verfügt.“ Mit dem erdgeschoßgerichteten Blick auf Auslagen von Chanel und Cartier, wie er gerade in dieser Gegend allzu oft angewandt werde, sei dies nicht zu erzielen.

In neuer Interpretation gibt sich übrigens auch das Innenleben des Hotels, das in Zusammenarbeit mit dem Innenraumgestalter Jacques Garcia entstand. Auch Garcia entschied sich für die Arbeitsweise copy and paste, jedoch mit einem noch üppigeren Schuss Karikatur. Lobby und Zimmer scheinen der Ära von Louis XV entfleucht. In goldenem Schwung geben sich Sitzmöbel und Kredenzen, in Samt und Seide gehüllt buhlen die 107 Zimmer und Suiten um die Gunst ihrer zahlungskräftigen Gäste. Dominique Desseigne, Geschäftsführer der Gruppe Barrière erklärt: „Bei aller Liebe zu ausgefallener Architektur muss man letzten Endes doch die Klientel berücksichtigen. Garcia und François haben diese Anforderung verstanden und haben ein ausgewogenes Gebäude auf die Beine gestellt.“

Drängt sich am Ende die brisante Frage auf: Was sagt die öffentliche Stimme zu einem derart waghalsigen Bau, der sich zwischen hochfrequentierten Touristenpfaden mitten in ein intaktes historisches Ensemble setzt? Édouard François: „Baurechtlich ist die Gegend rund um die Avenue des Champs-Élysées total blockiert. Hier zu bauen ist ein Privileg, das in Paris nicht jeder bekommt. Ich gebe es vom ganzen Herzen zu: Es war eine Ehre, die mir hier als Architekt zuteil wurde.“ In Pariser Beamtengefilden gilt François als kulturinteressierter Mann von Welt, der die letzte Dekade kaum etwas gebaut, dafür sehr viel entworfen und sich mit Konzepten aller Art über Wasser gehalten hatte.

„Ich bin Mitglied in der Sammlung des Centre Georges Pompidou und in der Guggenheim-Sammlung, das ist in Frankreich wohl mehr wert als jede Bekanntschaft“, erklärt der Architekt, „ich glaube, dass das ein nicht unwesentliches Kriterium für die Beauftragung an mich war.“ Doch alle Mühe war umsonst, denn das präsentierte Projekt wurde vom Gremium abgeschossen. Nein, das wäre nicht das, was man sich vorgestellt habe. Stadtverschandelung, Provokation und eine Karikatur auf Georges-Eugène Haussmanns Werk rief die aufgehetzte Beamtenmeute. Doch was machte François? „Ich habe meine Sachen zusammengepackt und bin ins Kulturministerium gegangen, um dort vorzusprechen. Dort hat man sich darauf geeinigt, dass es sich bei dem Projekt tatsächlich um zeitgenössische Architektur handelt.“ Die Baubewilligung wurde erteilt.

Ein Bundesministerium, das der zeitgenössischen Architektur eine starke Schulter ist? In Österreich ist so ein Schritt undenkbar. Be- säße ein normal sterblicher Architekt die Dreis-tigkeit, mit seinen Planrollen vor dem Minister höchstpersönlich aufzukreuzen, würde man ihm bestenfalls die kalte, gewiss aber nicht die starke Schulter zeigen. Mit dem Bau des Fouquet's Barrière auf der Nobelmeile Champs-Élysées beweist eine Nation wieder ihre Vorliebe für die Facetten des kulturellen Lebens - und Architektur gehört nun einmal dazu. Das hat man im Land von Haute Couture, Crêpes und Chansons d'Amour bereits begriffen.

Die Baukosten des Hotels belaufen sich auf fünfzig Millionen Euro. Für das Konzept „moule troué“ ist das europäische Patent angemeldet.

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