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Der Zucker in meinem Leben
Der Standard

Zeit seines Lebens wollte der Architekt und Designer Ettore Sottsass den Menschen das Leben versüßen: mit Schönheit, mit Ironie, mit Überfluss. Letzten Montag ist er gestorben.

4. Januar 2008 - Wojciech Czaja
„Wenn uns irgendetwas retten kann, dann die Schönheit“, hatte Ettore Sottsass einst gesagt. Mit jahrzehntelang anhaltendem Elan machte sich der gebürtige Innsbrucker bereits in den Fünfzigerjahren an die Arbeit und entwarf in seinem Architektur- und Designstudio ein Ding nach dem anderen: Badezimmerarmaturen, Türklinken, unzählige Kannen, Tassen und Vasen, Bestecke in allen erdenklichen Materialien, Drehstühle, Tischlampen, nicht zu vergessen seine wild gemusterten Bücherregale aus der Ära „Memphis“.

Das hübscheste Objekt aller Zeiten - zumindest aus der Sicht von Sekretärinnen, Journalisten und sonstigen sich tippend über Wasser haltenden Menschen - ist jedoch die knallrote Valentine, Jahrgang 1969. Die schlichte und elegante Schreibmaschine aus dem Hause Olivetti, der Sottsass in Zusammenarbeit mit Perry King erstmals so etwas wie Charakter und Persönlichkeit verliehen hatte, war in einem ebenso roten Kofferetui aus Kunststoff zuhause und gilt bis heute als die Schreibmaschine aller Schreibmaschinen. Sottsass: „Die Valentine ist jene Sorte Gegenstand, die einsame Dichter dazu bringt, an einem Sonntag in ihrem Landhaus Gedichte zu komponieren.“ Heute gehört sie zur Kollektion des MoMA in New York.

Vergangenen Montag verstarb Sottsass 90-jährig in seinem Haus in Mailand. Wenig bekannt ist bis heute, dass sich der Designer und Künstler zeit seines Lebens intensiv mit Architektur beschäftigte. 1935 begann er sein Architekturstudium am Polytechnikum in Turin, nur vier Jahre später schloss er mit Diplom ab. Wie viele seiner Generation ließ er sich niemals in ein berufliches Schema pressen. „Es gibt keine Grenzen zwischen Architektur, Skulptur, Design und Malerei“, lautete seine feste Überzeugung. Nur wenn man die Grenzen zwischen den Disziplinen auflöst und das Leben in seiner Ganzheit betrachtet, könne sich der Prozess des Entwerfens frei entfalten.

Die meisten Architekturprojekte entstanden in den Achtziger- und Neunzigerjahren. In Belgien, Italien, Singapur, in der Schweiz und in den USA baute Sottsass etliche Einfamilienhäuser, bei denen er sich sogar um die Inneneinrichtung und um die Auswahl der Keramik kümmerte, in Moskau schuf er eine Fabrik, in Ravenna ein Museum, in China einen Golfklub.

Als einmaligen Ausrutscher darf man wohl den Flughafen Malpensa in Mailand bezeichnen. „Ich gebe zu, dass ich bei Malpensa manche Sachen einfach vermasselt habe, ich habe die ganze Zeit gearbeitet, als hätte ich einen privaten Bauherren vor mir“, wird Ettore Sottsass später zurückblicken. „Ich wollte einen Ort für jene Menschen schaffen, die ankommen, warten und abfliegen, stattdessen habe ich irgendwann erkannt, dass ein zeitgenössischer Flughafen nichts anderes ist als ein Shoppingcenter.“

Bauen ist eine Metapher

Das lässt den überzeugten Anthropologen nicht in Ruhe. „Es gibt nur wenige Architekten, die erkennen, dass Bauen die Metapher eines Landes und seiner Politik ist“, sagt Sottsass. „Ich habe manchmal sogar das Gefühl, dass ich mit meiner auf den Menschen bedachten Herangehensweise ganz allein dastehe - das macht das Entwerfen anstrengend.“

Von Mailand hat er gelernt. Dem öffentlichen Bauen kehrt Sottsass wieder den Rücken und widmet sich fortan den Privatbauherren. „Ich spreche immer davon, dass ich Häuser für den Menschen baue. Eigenartig ist, dass sich diese Menschen immer nur als Millionäre und Milliardäre herausstellen. Es sind Intellektuelle, Galeristen, Sammler. Die Armen aber, die mich ebenso interessieren würden, kommen einfach nicht zu mir. Sie müssen sich wohl damit zufriedengeben, was ihm Rahmen ihrer Möglichkeiten liegt.“ Andererseits, erklärt er, sei das alles nicht so schlimm, schließlich liege der Reiz darin, das Haus für den Milliardär so mondän und so raffiniert wie möglich zu machen. „Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber er ist so.“

1999 entsteht eines der außergewöhnlichsten jemals realisierten Bauwerke. Im belgischen Lanaken, unweit der niederländischen Grenze, plant Sottsass das sogenannte Birdhouse für seinen Freund Ernest Mourmans, seines Zeichens Architekt und Galerist. Das Gebäude spiegelt das Architekturverständnis von Sottsass wider wie kein anderes. Statt einer klaren homogenen Form, wie es dieser Jahre Mode ist, sprengt Sottsass das Gebäude in mehrere kleine Pavillons, die durch Korridore, Gärten und Atrien wieder ein Ganzes ergeben.

In unterschiedlicher Bauweise und mit ebenso unterschiedlichen Raumstimmungen steht es Mourmans und seiner Familie frei zu entscheiden, wo die beiden Kunstsammlungen und wo die Menschen wohnen. Mittelpunkt des Hauses ist eine Voliere für Mourmans exotische Vögel. Die bunten Tiere sind von überall im Haus zu sehen.

Die architektonischen Grundelemente sind bewusst überdeutlich dargestellt. Oft hat man das Gefühl, dass sich hier jemand über den Sinn für Ästhetik lustig macht, bisweilen kippen die Entwürfe ins Ironische. Sottsass spricht von „radikaler Architektur“ - eine harte Kritik an der zeitgenössischen Baukultur also. Mit seinen Freunden Hans Hollein, Arata Isozaki, Michele de Lucchi, Andrea Branzi und einigen mehr gründet er 1981 die Gruppe Memphis. Mit ihren skulpturalen und knallbunten Objekten erteilt er dem nüchternen Funktionalismus eine Abfuhr. Möbel und Einrichtung sollten nicht mehr nur unauffällig ihren Dienst erfüllen, sondern auch Gefühle auslösen. Billige Materialien werden mit wertvollen kombiniert, grelle Muster werden mit kreischenden Farben gemischt, die Möbel und Häuser kommen plump und klobig daher - Postmoderne in ihrer Hochblüte eben.

Genug des guten Geschmacks

„Ach, Memphis!“, blickt der Mann mit den traurigen Augen in seinen späten Jahren zurück, „Memphis war eine große Verwirrung. Wir dachten weder daran, das Zeug zu verkaufen, noch daran, den anderen den Weg zu ebnen. Wir haben's einfach gemacht und basta. Was passiert ist, ist passiert.“ Der Unbekümmertheit dieser Tage konnte er bis zuletzt etwas abgewinnen: Memphis habe vom puren Überfluss gelebt. Die Möbel, Keramikobjekte und Inneneinrichtungen waren absurd und monumental. In erster Linie waren sie Emotion, nur nebenrangig erfüllten sie auch eine Funktion. „Wenn es wahr ist, dass wir in einer Gesellschaft des Überflusses leben, dann muss sich die Gestaltung dieser Gesellschaft auch anpassen, nur das ist von Dauer“, hatte der große Italiener einst gesagt. Das Überflüssige? „Das ist wie Liebe machen, ohne die Notwendigkeit, dabei auch Kinder machen zu müssen.“ Oder anders: „Für mich ist Obsoleszenz der Zucker in meinem Leben.“

Zum 90. Geburtstag widmete die Stadt Triest dem Jubilar eine Ausstellung unter dem Titel „Ich will wissen warum“. 170 Werke und Projekte sind noch bis 6. März 2008 in der alten Fischhalle im Salone degli Incanti zu sehen. Einige davon werden erstmals öffentlich gezeigt. Man solle die Gegenstände fühlen und nicht nur benutzen. Wenige Tage vor seinem Tod äußerte Ettore Sottsass einen einzigen Wunsch: „Ich möchte, dass die Leute die Ausstellung mit Tränen in den Augen verlassen.“

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