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Die Kunst der Nichtarchitektur
Der Standard

Nun ist es offiziell: Der spanische Architekt Santiago Calatrava wird in Wien bauen - eine Brücke im Süden und eine U-Bahn-Station im Norden der Stadt. Planungsstadtrat Rudolf Schicker spricht von Kunst - und umschifft damit einen EU-weiten offenen Wettbewerb.

2. Februar 2008 - Wojciech Czaja
Zugegeben: Zeichnen kann er. Als hätte er sich darauf vorbereitet, zückt er aus seiner Sakkotasche einen Bleistift und skizziert in wenigen pointierten Strichen eine posierende Dame, die mit zart geöffneten Händen eine Friedenstaube gen Himmel entsendet, oder auch einen nackten Männertorso samt Gemächt. Dann sagt er: „Die Statik der Architektur leitet sich aus der Statik der menschlichen Anatomie ab.“ Applaus.

So geschehen vergangenen Montag, als der spanische Architekt Santiago Calatrava auf Einladung des Wiener Planungsstadtrats Rudolf Schicker im Rathaus einen Vortrag hielt. Der Festsaal war zum Bersten voll. Ein Projekt nach dem anderen wurde gezeigt, gebannt starrte die Menge auf kunstvoll verdrehte Hochhäuser, auf Bahnhöfe und U-Bahn-Stationen - allesamt in Weiß. Schließlich schauen alle auf Calatravas bisher größtes Bauprojekt: die Ciudad de las Artes y las Ciencas in Valencia, in der der Spanier ein gigantisches Kulturareal mitsamt Imax-Kino, Opernhaus und Ausstellungsgebäuden aus dem Boden gestampft hat.

Nachholbedarf für Signale

„Ich empfinde keinen Unterschied zwischen Ingenieurskunst und Architektur, wie es im 19. Jahrhundert noch der Fall war“, sagt Calatrava, „bei sämtlichen meiner Bauten bin ich Architekt und Ingenieur zugleich.“ Und vergleicht seine Arbeitsweise mit der eines Schriftstellers, Schauspielers oder Malers.

Das Wiener Publikum war begeistert, das bewiesen vielfach die Wortmeldungen nach dem Ende von Calatravas Vortrag: „Wenn in dieser Stadt Leute wie Sie gebaut hätten, dann wäre Wien heute mit Sicherheit viel schöner“, formulierten es Bewunderer seiner Arbeit.

Das war das Stichwort. Denn während sich die einen am Ende des Abends wieder auf den Weg nach Hause machten, blieb bei anderen ein schaler Nachgeschmack: Santiago Calatrava in Wien? Ein purer Zufall? Oder sollte dieser Vortrag die Wiener Bevölkerung bereits für die expressive Architektursprache des gebürtigen Spaniers begeistern?

Bereits der nächste Tag lichtete den Spekulationsnebel bei einem Standard-Interview mit dem spanischen Architekten und dem Wiener Planungsstadtrat. „Wenn man sich genau umsieht, dann merkt man, dass es in Wien durchaus noch Nachholbedarf für Signale und Wahrzeichen gibt“, betont Rudolf Schicker gleich zu Beginn des Gesprächs. Nur der Stephansdom werde auf Dauer nicht reichen.

Und er sinniert schon sehr konkret weiter: „Beispielsweise würde sich die Triester Straße dazu eignen, mit einer Fußgängerbrücke überspannt zu werden. Sie wäre ein signifikantes Zeichen für Wien, eine Art Einfahrt in die Stadt für diejenigen, die aus dem Süden kommen.“

Schicker ist begeistert, auch von Calatravas Vorführung beim Mittagessen, wie er Brücken entwirft: „Ein dicker Bleistift, ein paar Striche auf dem Papier, schon ist das Gedankenkonstrukt einer Brücke fertig.“

Das heißt also, dass es eine Fußgängerbrücke über die Triester Straße geben wird? Die zunächst noch schwammige Aussage gewinnt an Kontur: „Es ist bereits alles vorbereitet. Veränderungen, was die Flächenwidmung betrifft, sind im Bereich des Wienerbergs nicht mehr notwendig“, erklärt der Planungsstadtrat sehr konkret, „man kann davon ausgehen, dass die Arbeiten sofort beginnen könnten. Ich denke, dass wir für die Entstehung etwa zwei Jahre brauchen werden.“

Ein Entwurf des Architekten Santiago Calatrava hätte Wiedererkennungswert, das ist unumstritten. Nicht nur der immerwährende Einsatz von weißer Farbe, sondern auch die mittlerweile unverwechselbare Formensprache seiner Bauten spannt über Europas Städte ein engmaschiges Netzwerk aus verwechselbaren Aha-Erlebnissen. Kritiker sprechen davon, dass seine frühen Brückenkonstruktionen noch zart und elegant gewesen seien, wohingegen seine heutigen Bauten bisweilen wuchtig und manieriert wirkten.

„Das glaube ich nicht“, wehrt sich Calatrava gegen die Vorwürfe, „manche Aufgaben sind komplexer und nur noch schwer nachvollziehbar. Bei großen Bauaufgaben ist nicht mehr alles so klar wie bei einer Brücke.“ In einem gewissen Alter und mit einer gewissen Erfahrung müsse man sich nicht mehr so stark auf das konzentrieren, was essenziell ist. Manchmal wolle man das Essenzielle eben etwas tarnen.

„Ein kleines Menuett“

Doch von Tarnung kann bei Calatravas Bauten keine Rede sein. Sabine Gretner, grüne Gemeinderätin in Wien, stellte kürzlich fest, dass man in der Stadt Wien in den letzten Jahren zunehmend mit Branding arbeite. Der Verdacht liegt nahe, dass eine potenzielle Zusammenarbeit mit einem Manne großen Ranges, der Santiago Calatrava ohne Zweifel ist, eben diesem Zwecke dienlich sei.

Der Architekt selbst weist derartige Bedenken zurück: „Nehmen wir das Beispiel, es handelt sich um eine bescheidene Aufgabe. Nehmen wir an, es handelt sich um eine kleine Brücke in einem Vorort von Wien. Wäre ich einfach nur der bekannte Name, dann würde ich sagen: ,Nein, das mache ich nicht.' Aber die Wahrheit ist: Ich mache es doch. Eine kleine Brücke in Wien - das ist wie ein kleines Menuett.“

Und Rudolf Schicker bekräftigte gegenüber dem Standard das gemeinsame Vorhaben und sagt: „Vor allem die großen Stadterweiterungsgebiete im Norden kommen dafür infrage, von Santiago Calatrava eine Handschrift verpasst zu bekommen.“ Mit dem Flugfeld Aspern eröffnet sich ein riesiges Betätigungsfeld. 240 Hektar Land wollen bebaut werden. Schicker weiter: „Um diesen Stadtteil stärker in die Wahrnehmung zu rücken, macht es Sinn, in Aspern ein besonderes Zeichen zu setzen.“

Quintessenz der Stippvisite: Santiago Calatrava wird in Wien bauen. Die Überraschung kann als durchaus gelungen bezeichnet werden. Während sich die einen freuen und die anderen ärgern, muss an dieser Stelle auf den nicht unwesentlichen Umstand hingewiesen werden, dass öffentliche Projekte, deren Baubudget den Schwellenwert von 206.000 Euro überschreiten, laut Bundesvergabe-Gesetz aus dem Jahr 2006 EU-weit offen ausgeschrieben werden müssen. „Mit diesen Rahmenbedingungen versuchen wir umzugehen“, kontert Schicker. Er werde versuchen, bei der Brücke den künstlerischen Bestandteil der Arbeit des Ingenieurs Calatrava hervorzukehren. „Wie es uns beim Bahnhof in Aspern“ - nun ist es ausgesprochen! - „gelingen wird, den Leuten zu erklären, dass es sich dabei nicht um ein öffentliches Gebäude, sondern um ein künstlerisches Projekt handelt, wissen wir vorerst noch nicht.“

Konkreter Fall

Zu den weißen Knochengerüsten von Calatrava kann man stehen, wie man will. Ein Architekturimpuls aus dem Ausland kann eine Stadt wie Wien nur aufwerten. Inakzeptabel ist es jedoch, wenn die Stadt Wien ihre Vorbildwirkung nicht wahrnimmt. Darf ein öffentlicher Auftraggeber das Bundesvergabegesetz umschiffen, wenn ihm gerade danach ist?

Stadtrat Schicker sagt dazu: „Wir wollen das Bundesvergabegesetz nicht nach allen Möglichkeiten umschiffen, sondern nur in diesem einen, ganz konkreten Fall. Und in diesem konkreten Fall geht es um eine künstlerische Gestaltungsmöglichkeit für eine Brücke. Diese Kombination aus Ingenieurskunst und Architektur ist nichts Alltägliches. Ich gehe davon aus, dass die österreichische Konkurrenz dafür Verständnis haben wird.“

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