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Jeder Raum braucht einen Plan
Der Standard

Grundlage allen Planens und Bauens ist die Raumordnung. Was sich hinter dem Begriff verbirgt, erklärt Adolf Andel, Direktor des Österreichischen Instituts für Raumplanung.

13. September 2008 - Wojciech Czaja
Vor zwei Wochen gingen in Alpbach die diesjährigen Architekturgespräche zu Ende. der Standard berichtete. Und zwar darüber, dass Österreich zu einem desaströsen Siedlungsteppich ausartet. Darüber, dass Österreich EU-weit die höchste Dichte an Einzelhandelsflächen aufweist. Oder etwa darüber, dass die Alpenrepublik nach Zypern und Luxemburg europaweit das Land mit dem längsten Straßennetz pro Kopf ist.

Die Kritik galt nicht zuletzt der Raumplanung. Es dauerte keinen Tag, schon flatterte uns ein Leserbrief ins Haus. „Wie bitte?“, fragte Adolf Andel, Direktor des Österreichischen Instituts für Raumplanung, ganz empört. Woran genau solle die Raumplanung schuld sein? Am Wachstum der Städte? An den monofunktionalen Siedlungswüsten? Oder gar an den Einkaufszentren und Supermärkten, die am Stadtrand wie Schwammerl aus dem Erdboden sprießen? Mit dem vorliegenden Interview rücken wir den bisweilen nebulosen Begriff der Raumplanung ins richtige Licht.

der Standard: Seit wann gibt es Raumplanung?

Andel: Seit etwa 3000 Jahren.

Ich muss mich klarer fassen: Seit wann gibt es in Österreich Raumplanung als eigene Berufssparte?

Andel: Die Raumplanung als akademische Ausbildung gibt es in Österreich seit den Siebzigerjahren. Raumplanung ist somit eine relativ junge Fachdisziplin. Entstanden ist sie nicht zuletzt als Folge der Nachkriegszeit, in der das Bauen bisweilen sehr unliebsame Formen angenommen hat.

Kann sich ein Laie unter Raumplanung überhaupt etwas vorstellen? Meistens liest man darüber in Zusammenhang mit Begriffen wie Zweitwohnsitz und Minarett.

Andel: Als ich begonnen habe zu studieren, hat das Fach noch Raumplanung und Raumforschung geheißen. Die Einen haben gedacht, ich möchte Innenarchitekt werden. Und die Anderen haben mich gefragt, ob ich denn verrückt sei, in Österreich Raumforschung zu studieren. Da möge ich doch lieber gleich zur Nasa gehen. Bis heute gehört es zum Schicksal der Raumplanung, dass es noch niemandem gelungen ist, ein klares Profil dieser Profession zu zeichnen.

Sind Sie als Raumplaner mit der Situation in Österreich zufrieden?

Andel: Nein, mit dem Zustand der räumlichen Entwicklung bin ich ganz und gar nicht zufrieden. Zwischen dem, was möglich wäre, und dem, was ist, gibt es Differenzen.

Wie kommt es, dass Österreich so ein zerfledderter Siedlungsteppich ist?

Andel: Das Erscheinungsbild der Welt, das uns entgegentritt, ist wie ein Fingerabdruck der Bewusstseinslage und der Machtverhältnisse einer Gesellschaft. Unter Umständen gibt uns die Landschaft Auskunft über die ökonomischen, politischen und soziologischen Strukturen des jeweiligen Landes.

Das würde bedeuten, dass die Peripherie der österreichischen Städte ganz in der Hand von Investoren und Gewerbetreibenden liegt.

Andel: Sie suchen nach einem Schuldigen für den Siedlungsteppich und schon haben Sie einen Kardinalfehler begangen! Einem einzigen Akteur oder einer Branche die Verantwortung für das Erscheinungsbild einer Stadt oder einer Gegend zu geben ist zu einfach. Wir sind am richtigen Weg, wenn wir uns der Komplexität der Materie bewusst werden. Raumplanung ist ein dynamischer Prozess, an dem viele einzelne Personen, Interessen und Disziplinen beteiligt sind. Unter anderem ist Raumplanung eine analytische, kommunikative und kreative Dienstleistung für Wirtschaft und Politik.

Hören Wirtschaft und Politik denn darauf, was Raumplaner zu sagen haben?

Andel: Das ist ein anachronistisches Bild von Autoritätsgläubigkeit. In der heutigen Zeit ist das realitätsfremd. Es hat ja totalitäre Regime gegeben, in denen raumplanerische Masterpläne von der Politik und Wirtschaft umgesetzt wurden. Das war nicht die glorreichste Zeit unserer Geschichte. Von diesen technokratischen Vorstellungen sind wir Gott sei Dank abgekommen.

Österreich hat Bauland-Reserven im Umfang von 50 Prozent der bereits bebauten Fläche. Wie kommt dieses Übermaß zustande?

Andel: Die Ausweisung von Bauland fällt in den Aufgabenbereich der Gemeinden. Leider findet sich kaum eine Landesregierung, der es gelingt, sich den massiv vorgetragenen Entwicklungswünschen einzelner Gemeinden zu widersetzen. Die großen Bauland-Reserven sind unterm Strich nichts anderes als das Aufsummieren einzelner Idealvorstellungen. Zufriedenstellend ist das nicht.

Bis heute gibt es kein einheitliches Raumordnungsgesetz. Warum eigentlich nicht?

Andel: Ein Bundes-Raumordnungsgesetz würde uns nicht weiterhelfen. Da wäre es schon sinnvoller, die neun Bauordnungen zu vereinheitlichen und dafür zu sorgen, dass nicht jedes Bundesland sein eigenes Naturschutzgesetz hat.

Wien ist das einzige Bundesland, das über gar keine verbindliche Raumplanung verfügt.

Andel: Wien hat seit je eine große Tradition der übergeordneten Entwicklungsplanung. Ich denke da nur an die Donauregulierung, an den Grüngürtel oder etwa an den Stadtentwicklungsplan. Besonders innovativ ist der STEP 05. Darin werden strategische Zielgebiete ausgewiesen.

Der STEP ist lediglich eine Empfehlung, verbindlich ist er nicht.

Andel: Wien hat eine sehr umfassende Bauordnung und einen ebenso umfassenden Flächenwidmungsplan. Glauben Sie mir: Das Fehlen eines Raumordnungsgesetzes ist kein Engpass in dieser Stadt. Ganz im Gegenteil: Wäre der STEP 05 verbindlich, würde man der Stadtplanung nichts Gutes tun.

Wie kommt es dann, dass in Wien Stadtteile entstehen, die nicht einmal über einen hochwertigen öffentlichen Anschluss verfügen?

Andel: Vonseiten der Stadtplanung wurden viele richtige Entscheidungen getroffen, aber auch einige weniger richtige, um es mal elegant zu formulieren. Es ist passiert. Überall dort, wo die Raumplanung teilnehmen konnte, hat sie sehr Verdienstvolles für die Stadtentwicklung beigetragen. Auch das Verhindern von Fehlentwicklungen gehört dazu.

Das heißt, dass am Wienerberg und am Monte Laa die Verhinderung nicht gelungen ist?

Andel: Bei diesen beiden Entwicklungszonen könnte man sicherlich unzählige Untersuchungen anstellen, wie sich die Machtverhältnisse der Stadt in diesem konkreten historischen Abschnitt abgespielt haben. Reinhard Seiß hat das in seinem Buch Wer baut Wien? ja bereits gemacht. Lediglich aufzuzeigen, wie es nicht geht, ist auf lange Sicht allerdings zu wenig.

Welche Fehlentwicklungen sind derzeit im Gange?

Andel: Die Erhöhung der Pendlerpauschale wäre so ein Beispiel. Das ist eine sozialpolitisch motivierte Entscheidung, die in höchstem Maße Auswirkungen auf die Raumplanung hat. Eine höhere Pendlerpauschale ist zwar kein Anreiz, in den Speckgürtel hinauszuziehen. Die Mobilität erleichtert sie allemal!

Die Wege werden länger, die Mobilität steigt, der Energiebedarf nimmt zu. Werden wir uns die Stadt der Zukunft noch leisten können?

Andel: Lassen Sie es mich so sagen: Eine lineare Fortsetzung der Entwicklung der letzten 15 Jahre wäre nicht zweckmäßig. Das würde nicht nur die öffentlichen Haushalte überfordern, sondern auch die Budgets der Familien.

Was muss geschehen?

Andel: In der Wirtschaft und Politik muss die Lernkurve steigen. Dazu gehört, dass wir beginnen, in längeren Zeiträumen zu denken. Ein Zukunftsszenario von drei oder vier Jahren ist zu kurz. Privatinvestoren und öffentliche Hand müssen dazu übergehen, in Schritten von 10 oder 20 Jahren zu denken.

Und wenn kein Umdenken eintritt?

Andel: Ich bin kein Weltuntergangs-Prophet. Und das ist gut so, denn nach heutigem Wissensstand sind noch alle Weltuntergangs-Propheten falsch gelegen.

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