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Zeit für einen Tapetenwechsel
Der Standard

Architekt Denis Kosutiæ zeigt vor, wie man mit geringen Mitteln seinen eigenen vier Wänden einen neuen Look verpassen kann. Mit Farben, Tapeten und Möbeln machte er sich in einer Wiener Altbauwohnung ans Werk.

11. Oktober 2008 - Wojciech Czaja
Ein Besuch bei Familie S. kann von großen Erkenntnissen begleitet sein. Beispielsweise könnte man draufkommen, dass man Ängste besitzt, von denen man zuvor gar nicht wusste, dass sie überhaupt existieren. Tapetenphobie würde man so etwas im Fachjargon nennen. Wer also glaubt, in Sachen Wandpapier übersensibel reagieren zu können, der möge sich mit diesem Artikel begnügen. Von einem Besuch vor Ort sei dringend abzuraten.

Nein, Familie S. hatte nicht immer schon ein Faible für Tapeten. Die kam erst mit dem Architekten Denis Kosutiæ. Einige Jahre wohnte man bereits in dieser gründerzeitlichen Wohnung in Wien Alsergrund. Eines Tages gefiel der alte Look nicht mehr. Die Zeit war reif für einen Tapetenwechsel. Kosutiæ nahm die Bauherren beim Wort und lieferte ihnen einen Entwurf, von dem sie sich so rasch nicht erholen sollten.

„Wir hatten uns nicht gekannt, und ich wurde nur wegen der Projekte auf meiner Homepage kontaktiert“, sagt der Architekt rückblickend. „Es gab ein genaues Briefing und einen vorgegebenen Kostenrahmen. Doch als ich die Pläne das erste Mal präsentierte, stand den Bauherren der Mund offen. Ich glaube, sie waren schockiert.“

Der Schock legte sich, es folgte ein klares Bekenntnis zum Risiko. „Ja, wir machen's“, sagten sie, und Kosutiæ machte sich an die Arbeit. Pläne wurden ausgefeilt, Details ausgearbeitet, Möbel ausgesucht, Tapeten bestellt. Das Wichtigste war jedoch, das Vorzimmer zu retten und dem übergroßen und fensterlosen Raum wieder eine Nutzung zuzuführen.

„Ich habe ein zweites Wohnzimmer vorgeschlagen, eine Art persönliche Lounge zum Zurückziehen, zum Lesen und Telefonieren.“ Heute stehen hier zwei große Fauteuils, Fundstücke aus der jahrelangen Sammeltätigkeit der Bauherren. Der durchgewetzte Stoff wurde gegen roten Samt ausgetauscht. Den passenden Hintergrund liefert eine schwarz-weiße Tapete mit ziemlich großem Blättermotiv.

„Die Bauherren haben großartige Möbel im Fundus. Von der Art-déco-Garderobe bis zur Kommode aus den Sechzigern gibt es so manches tolle Stück in dieser Wohnung“, erklärt der Architekt. Besonders reizvoll sei es jedoch, die historischen Möbel in einen neuen Kontext zu stellen. „Ich mag das, wenn man auf den ersten Blick nicht weiß, ob etwas alt oder neu ist.“

Fluoreszierende Wände

Auch im Esszimmer ist das Alter der Möbel nicht so leicht zu bestimmen. Sie entpuppen sich als Neuinterpretationen alter Klassiker. Um einen ovalen Tisch stehen sechs Plastic-Chairs von Charles und Ray Eames. Über alledem thront ein schwarzer Luster des Londoner Designers Jeremy Cole, eine Neuauflage der guten alten Artischocke, die Poul Henningsen im Jahre sich 1957 entworfen hatte. Mystisch bahnt sich das Licht seinen Weg von der Quelle bis zu den Schalen aus hoch glänzendem Kunststoff.

Im Hintergrund fliegen Kolibris über die Wände. Die knallroten Vögel haben einen Trumpf im Flügel: Sie sind mit fluoreszierender Farbe aufgedruckt, womit die dunkelblaue Tapete in der Nacht gänzlich anders aussieht als bei Tageslicht. „Diese konkrete Tapete ist vom britischen Hersteller Osborne & Little“, sagt Kosutiæ, „billig sind solche Produkte natürlich nicht, aber man darf ja nicht vergessen, dass man davon nur ein paar Rollen kaufen muss - und schon hat man es mit einer völlig anderen Wohnung zu tun.“ Und wenn man eines Tages vom raumgewordenen LSD-Tripp die Nase voll hat? Der Architekt, ganz entspannt: „Es ist nur eine Tapete.“

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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