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Ein Hamster hat seinen Preis
Der Standard

Der etwas andere Blick durch die Linse: Gestern, Freitag, wurde in Frankfurt der Europäische Architekturfotografie-Preis verliehen. Anmerkungen zum eingeheimsten Sieg.

25. April 2009 - Wojciech Czaja
Eine Momentaufnahme aus den Gefilden des Gähnens. Rechtwinkelig und totenstill. Gelegentlich schwebt der Hauch einer menschlichen Silhouette durchs Bild. Wieder einmal musste die Assistentin als verwischter Wackelschatten herhalten. So sieht sie aus, die Baukunst aus dem Blickwinkel der Fotografen.

„Aus irgendeinem Grund hat es sich im Laufe der Jahre ergeben, dass die Menschen aus den Bildern verschwunden sind“, erklärt Wilfried Dechau, Vorsitzender des Vereins Architekturbild mit Sitz in Stuttgart. „Den Architekten und Redakteuren von Architekturzeitschriften mag das ja gefallen, aber alle anderen empfinden das als langweilig.“

Dass man aus der Not auch eine Tugend machen kann, beweist der Europäische Architekturfotografie-Preis, der gestern, Freitag, im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main übergeben wurde. Es ist der einzige internationale Preis in dieser Kategorie, der regelmäßig verliehen wird, und das schon seit 14 Jahren. Gefragt waren heuer Arbeiten zum Thema Neue Heimat. Wie zu erwarten war, sucht man auch auf diesen nicht sonderlich heimatlich anmutenden Fotos vergeblich nach lebenden Gestalten. Stattdessen pressten die Fotografen gehörig Kritik und Humor durch die Linse.

So etwa Stephan Sahm. Der Münchner Fotograf heimste mit seiner vierteiligen Bilderserie von knallig bunten Hamsterkäfigen den ersten Preis ein. „Ganz ehrlich, ich habe fix damit gerechnet, dass das eine aalglatte Themenverfehlung sein wird“, sagt Sahm zum Standard. Umso größer die Freude über den Sieg.

Doch warum gerade Hamsterkäfige? „Ich war auf der Suche nach Inspiration. Angesichts des Themas Neue Heimat dachte ich, dass ich in einem Baumarkt ganz gut aufgehoben sein könnte.“ Sofort fiel der Blick des 37-Jährigen auf die Tierecke. „Erst schmunzelt man über die bunten Käfige, die man hier vorfindet. Doch streng genommen ist es absonderlich, was man in einem Baumarkt alles zu Gesicht bekommt. Wenn man sich dann auch noch vorstellt, man wäre selbst ein kleiner pausbäckiger Goldhamster, dann läuft es einem kalt den Rücken hinunter.“

Gemacht seien die Käfige in erster Linie für Kinder. Für Menschenkinder. Dass ein Nagetier Freude dabei empfindet, ein ganzes Hamsterleben lang an irgendwelchen Plastikteilen herumzuknabbern, kann sich Sahm beim besten Willen nicht vorstellen, ganz zu schweigen von der Gesundheit.

„Das klingt doch absurd, oder? Aber in der Menschenarchitektur ist es nicht anders. Die Entscheidungen fällt die Industrie. Robust und billig muss es sein. Dass in diesen Häusern auch noch jemand wohnen und arbeiten muss, wird oft vergessen.“ Auf wie vielen Beinen man sich durchs Leben bewegt, ist letztlich Nebensache.

Beweis gefällig? Der Hamburger Fotograf Frank Meyl machte sich auf nach Schottland. In der Nähe von Pitlochry wurde er eines Campingplatzes fündig, den er - wohlgemerkt mit einiger seelischer Distanz zum Objekt - sodann in den Film bannte.

Die fotografische Dokumentation brachte ihm zwar keinen Preis ein, für einen Niederschlag im Katalog, der anlässlich des Preises erschienen ist, reichte es aber allemal. Wellblechhütten in unterschiedlichen Grüntönen stehen in Reih und Glied. Nicht gerade ein Lobgesang auf Wohlfühlfaktor und Individualität. Die Analogie zum Hamsterhabitat liegt auf der Hand.

Der Reiz der Unbelebtheit

„Einfach nur mit schönen Fotos kommt man bei diesem Preis nicht weit“, sagt der Vereinsvorsitzende Wilfried Dechau, „wir erwarten uns Arbeiten, die vor Ideen sprühen. Und wir wollen in den Einreichungen erkennen, welchen Zugang jeder einzelne Fotograf zu Architektur hat.“ Sinn und Zweck des biennal verliehenen Preises: „Wir möchten die Architekturfotografie innerhalb der Branche als eigenständigen Zweig etablieren. Vor allem wollen wir ihr das etwas schale Image nehmen, denn sie verfügt über viele Reize.“

Und wie sieht die Situation in Österreich aus? „Vor 15 Jahren hat ja noch kein Mensch gewusst, was Architekturfotografie überhaupt ist“, erinnert sich Pez Hejduk, Sprecherin der IG Architekturfotografie. „Wie oft habe ich mir anhören müssen: Ach so, Sie fotografieren Häuser? Mein Gott, wie langweilig!“ Heute sei die Situation eine völlig andere. Mittlerweile verzeichnet Architektur und somit auch die Fotografie derselbigen einen großen medialen Niederschlag. „Architekturfotos geistern bereits in jedem Bezirksjournal umher“, so Hejduk, „das Problem, mit dem wir heute zu tun haben, ist: Jeder will Fotos, doch niemand will dafür zahlen.“

Wie viele ihrer Kollegen und Kolleginnen äußert auch sie sich kritisch zu der Miteinbeziehung von Lebewesen. „Meine ganz persönliche Herangehensweise an die Arbeit ist die fotografische Baubegehung“, sagt Hejduk, „im Vordergrund steht die Dokumentation eines Bauwerks sowie die Darstellung der räumlichen Qualitäten und der damit verbundenen Emotionen.“ Menschen? Die seien doch meist nur störend. „Natürlich schicke ich sie nicht weg, wenn sie mir ins Bild treten. Aber generell bin ich der Meinung, dass Architektur Anspruch darauf hat, in ihrer alleinigen Schönheit dargestellt zu werden.“

Ein Hamsterrad. Wie es scheint, wird der Europäische Architekturfotografie-Preis in den nächsten Jahren noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen.

[ Neue Heimat. European Prize of Architectural Photography 2009, avedition, Ludwigsburg 2009, ISBN 978-3-89986-117-4, € 24,80 ]

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