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Es flasht nur kurz und illegal
Der Standard

Charlie Todd hat schon etliche Flashmobs organisiert. Doch wie öffentlich ist die Öffentlichkeit wirklich? Wojciech Czaja hat seine Gedanken gehackt.

12. September 2009 - Wojciech Czaja
Wem gehört der öffentliche Raum?

Charlie Todd: Uns allen! Der öffentliche Raum ist das Wohnzimmer der Gesellschaft. Hier treffen wir uns, hier lernen wir einander kennen, hier gibt's Komik und Klamauk. Verbotstafeln, die darauf hinweisen, dass Gehen, Stehen, Liegen, Trinken, Essen oder Musizieren verboten sind, erscheinen mir suspekt. Menschen, die sich daran halten, ebenso.

Juristisch betrachtet, hat jede Straße, jeder Platz einen Grundstückseigentümer. Gibt es so etwas wie öffentlichen Raum denn überhaupt?

Todd: In New York gibt es eine Vorschrift, dass mit jedem neu zu errichtenden Hochhaus ein Teil des Grundstücks als öffentliche Fläche angelegt werden muss. Das ist eine sehr sinnvolle Maßnahme. Doch Hand aufs Herz: Die wirklichen Fädenzieher im öffentlichen Raum sind die Konzerne. New York ist mit Werbung und Filmankündigungen regelrecht zugepflastert. Wenn die Stadtregierung Werbung duldet, dann muss sie meines Erachtens auch die Inbesitznahme durch Privatpersonen akzeptieren.

Sie haben schon etliche Flashmobs organisiert. Erreicht werden damit nur die Jungen und Vernetzten. Was ist mit all den anderen?

Todd: Flashmobs gibt es heute schon auf der ganzen Welt. Die Leute organisieren sich über Facebook und Twitter. Ich halte es allerdings für ein Vorurteil, dass diese Medien nur die Jugend erreichen. Zu den ersten Flashmobs 2003, da kamen nur Leute wie du und ich. Männlich, weiß und keine 30 Jahre alt. Doch die Situation hat sich geändert. Zu den Mobs, die wir heute organisieren, kommen Rechtsanwälte, Künstler und Studenten, aber auch Großmütter mit ihren Enkelkindern.

Urban Hacking ist niemals von Dauer. Flashmobs dauern in der Regel nur ein paar Minuten. Heißt das, dass die langfristige Aneignung des öffentlichen Raumes zum Scheitern verurteilt ist?

Todd: In den meisten Fällen handelt es sich um unbewilligte, ja sogar um illegale Projekte. Sie müssen temporär sein, sie können gar nicht ewig dauern. Ich denke, dass genau in diesem Umstand der Reiz des Hackens liegt. Nichts ist für die Ewigkeit bestimmt, schon wenige Stunden später kann jemand anderer auf seine eigene, ganz persönliche Weise den Raum in Anspruch nehmen.

Wenn Sie die Gesellschaft im Wandel der Zeit betrachten: Leben wir heutzutage eher offen oder eher zurückgezogen?

Todd: Dank Facebook und Twitter leben wir öffentlicher als je zuvor - zumindest in sozialer Hinsicht. Jeder weiß, ob wir in der Nase bohren oder nicht.

Und räumlich?

Todd: Oft das absolute Gegenteil! Die neuen Technologien haben die Face-to-Face-Interactions auf ein Minimum reduziert. Oft leben wir die soziale Komponente nur noch digital aus. Umso wichtiger ist das Handeln in der Realität.

Ein persönlicher Abschluss: Wo verbringen Sie Ihre Freizeit lieber? Zu Hause oder im Park?

Todd: Ich bin süchtig nach Interaktion. In meiner Freizeit sitze ich am liebsten irgendwo in einer Bar. Oder ich fahre U-Bahn und höre den Leuten zu, wie sie mit ihren Liebsten telefonieren. Willst du Steak oder Sushi? Du, ich komme später. Ja, ich dich auch. Aber was soll ich sagen? Ich habe wenig Freizeit. Ich arbeite so viel am Computer, dass ich in nichtdigitaler Hinsicht längst schon zum Nesthocker mutiert bin.

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