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Kalte Platte, warmgemacht
Der Standard

Bauen nach dem Mauerfall: Neben ein paar Glanzstücken zeichnet sich die neue ostdeutsche Architektur vor allem durch den Rückbau alter Plattenbauten aus.

26. September 2009 - Wojciech Czaja
Mit der DDR, da starben auch Wartburg und Trabant. Heute sieht man die drolligen Gefährte aus dünnem Blech und baumwollverstärktem Phenoplast auf Deutschlands Straßen nur noch selten. Umso schmucker erscheint daher die Lehrsammlung für historische Fahrzeuge an der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Als wäre die Zeit stehengeblieben, sind darin einige der wildesten Kreationen germanischer Automobilindustrie ausgestellt. Das Schönste daran: Wenn es der Unterricht verlangt, rückt man den zwölf Exponaten, statt ihnen lediglich mit Samthandschuhen und gebührendem Respekt zu begegnen, mit Schraubenschlüssel und Wagenheber zu Leibe.

Die Lehrsammlung Zwickau, ein Projekt des Leipziger Architekturbüros Schulz & Schulz, wurde vor knapp einem Jahr fertiggestellt. Seitdem wurde der 1,1 Millionen Euro teure Bau mit dem Preis des Architekturforums Zwickau 2009 und dem best architects 10 award ausgezeichnet. Kein Wunder. Eingepfercht zwischen gesichtslosen Institutsgebäuden und DDR-Plattenbauten der übelsten Sorte, ist die zweispurige Schatzkammer nicht nur ein überaus angenehmer Zeitgenosse heutiger Tage, sondern auch ein wertschätzendes Loblied auf die Fünfziger und Sechziger. Man werfe nur einen Blick auf den stählernen Schriftzug Forum Mobile. Eleganter können Buchstaben nicht hängen.

„Der Freistaat Sachsen ist in Sachen Baukultur engagiert und setzt die qualitative Latte mittlerweile recht hoch an“, erklärt Architekt Ansgar Schulz, „ich traue mich sogar zu behaupten, dass die öffentlichen Projekte in Sachsen derzeit zu den besten Deutschlands zählen.“ Zu verdanken sei dies nicht nur den Architekten, sondern auch den exakten Ausschreibungsunterlagen und den sorgfältig zusammengesetzten Jurys. „Qualität ist nicht nur eine Frage des Bauens, sondern auch des wirtschaftlichen und politischen Wollens.“

Das klingt nach einem geradezu vorzüglichen Zeugnis, gespickt mit lauter Einsen. Doch sind die vergleichsweise jungen Blüten zeitgenössischen Bauens auf dem Gebiet der ehemaligen DDR tatsächlich so prächtig wie von Insidern dargestellt? „Leuchttürme moderner Architektur und Initiativen, die zu diversen Höchstleistungen anspornen, gibt es in den neuen deutschen Bundesländern zur Genüge“, erklärt Andreas Denk, Chefredakteur der Zeitschrift der architekt, die monatlich erscheint und vom Bund Deutscher Architekten (BDA) herausgegeben wird, und zählt auf: UFA-Kinopalast Dresden (Coop Himmelb(l)au, 1998), Universitätsbibliothek der BTU Cottbus (Herzog & de Meuron, 2005) oder die erst kürzlich fertiggestellte Überdachung für das Dresdner Residenzschloss (Architekt Peter Kulka, 2009).

Was tun mit dem Plattenbau?

„Doch viel wichtiger als die singulären Spitzenbauten erscheint mir der Grundtenor, der in der neuen ostdeutschen Architekturszene herrscht“, sagt Denk, „und der ist angesichts der widrigen Umstände mehr als positiv.“ Die Widrigkeit, von der hier die Rede ist, bezieht sich vor allem auf die demografische Entwicklung jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Denn seit der Wiedervereinigung haben mehr als 1,7 Millionen Einwohner den Bundesländern im Osten den Rücken gekehrt. Das entspricht einem Rückgang um ein knappes Zehntel. Das zentral gelegene Bundesland Sachsen-Anhalt ist um gar 15 Prozent geschrumpft.

In der Regel zeichnet sich der Job des Architekten darin aus, etwas Neues zu schaffen. In einigen, vom Bevölkerungsschwund besonders stark betroffenen Gebieten ist es jedoch umgekehrt. Prominentestes Beispiel ist die 16.000 Einwohner zählende Stadt Leinefelde-Worbis in Thüringen. Da viele Plattenbauten leerstanden und zu hässlichen Hausleichen in der Stadt mutierten, musste die hohe Schule der Architektur mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darauf reagieren: mit Abrissbirne, Bagger und Kalkül.

Leinefelde, amputierte Stadt

Ein solcher Pionier, der sich der Amputation alter Bausubstanz angenommen hat, ist Architekt Stefan Forster aus Frankfurt am Main. „Es ist kein Zufall, dass wir als westdeutsches und somit emotionell distanziertes Büro mit dem Rückbau von Plattenbauten begonnen haben“, erklärt Forster. Die Ostdeutschen hätten damals noch viel zu viele Berührungsängste gehabt. „Als wir unser Vorhaben das erste Mal präsentiert haben, meinten die Stadtpolitiker und Bewohner, das sei unwirtschaftlich und technisch nicht möglich.“ Die Zeit und weit über 20 Preise und Auszeichnungen - darunter auch der World Habitat Award 2007 - belehrten die Einwohner von Leinefelde eines Besseren.

Vorsichtig wurden die ungenutzten Plattenbauten bis auf den Rohbau entkernt und um einige Räume und ganze Stockwerke reduziert. „In manchen Projekten haben wir mehr rückgebaut, in anderen weniger“, sagt Forster, „durch die modulare Bauweise der Platten ist das alles nicht so kompliziert. Man schweißt den Bewehrungsstahl los und löst die Platte aus dem Verband.“

Durch die Metamorphose konnten in den letzten zehn Jahren viele unterschiedliche Bautypologien entwickelt werden. Das bauliche Spektrum reicht von der bunten Häuserzeile über loggienbestückte Reihenhäuser bis hin zu frei stehenden Stadtvillen.

„Entgegen der landläufigen Meinung, dass mühsame Sanierung aufwändiger sei als Abbruch und Neubau, ist es uns gelungen, die alten Plattenbauten um rund 900 Euro pro Quadratmeter zu revitalisieren“, sagt Forster, „Wohnraumbeschaffung um diesen Preis ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sinnvoll, was den Ressourcenverbrauch betrifft.“

Einziges Problem am preisgekrönten Rückbauprogramm: Da die massiven Stahlbetonplatten kaum Eingriffe zulassen, müssen die Bewohner mit all den damit verbundenen Problemen leben. Größtes Manko ist der Schallschutz. Bei einer monatlichen Miete von vier Euro pro Quadratmeter sei ein derartiges Zugeständnis allerdings verkraftbar, meint der Architekt.

Heute ist Leinefelde, das vor 20 Jahren noch im Schatten der nahegelegenen Mauer vor sich hindöste, zu neuem Leben erwacht. Statt graubrauner Plattenbauwüste wie zu Honeckers Zeiten gibt's gesundgeschrumpften Wohnbau im knallig bunten Farbenkleid. Das Konzept trägt Früchte: Erstmals seit 1989 ist der Bevölkerungsschwund in der Gemeinde Leinefelde-Worbis gestoppt. Nach Auskunft des Architekten gibt es sogar erste Anzeichen dafür, dass sich im Laufe des nächsten Jahres gleich eine Handvoll neuer Betriebe ansiedeln wird. „Das Gröbste scheint überstanden“, so Forster.

Bauen mit dem Erbe der DDR

„Hübsche Projekte wie die Lehrsammlung für historische Fahrzeuge in Zwickau sind wichtige Leuchttürme einer Architekturszene“, fasst Andreas Denk zusammen, „doch wie sich herausstellt, besteht die eigentliche und spezifische Bauaufgabe der Post-DDR im behutsamen Rückbau und in der intelligenten Revitalisierung alter und ungenutzter Bausubstanz.“ Es zeuge von gegenseitigem Respekt, das bauliche Erbe der DDR zu erhalten und mit heutigen Mitteln bestmöglich zu transformieren, so Denk. „Der Stadtumbau in Leinefelde ist ein gutes Beispiel dafür.“

Selbst wenn die dunkle Ära der Deutschen Demokratischen Republik zu Ende ist, dürfe man nicht außer Acht lassen, dass diese 40 Jahre trotz all ihrer Schattenseiten für eine ganze Generation identitätsstiftend waren. Dass man den Palast der Republik auf der Berliner Museumsinsel abgerissen hat, ist dem ausgebildeten Architekturhistoriker ein Rätsel.

„20 Jahre später tauchen aus dem Nichts eingebildete Menschen auf, zerstören einen Teil der Geschichte, aus der man wertvolle Lehren für die Zukunft ziehen könnte, und wenden sich wieder alten, preußischen Idealen zu. Ist die Rekonstruktion des Stadtschlosses wertvoller als der Palast der Republik?“ Ein derartiger Umgang mit der Vergangenheit entzieht 15 Millionen Deutschen ihren Boden.

Die Bevölkerung in den neuen Bundesländern schwindet. In einigen Gebieten schaffen die Architekten daher nichts Neues, sondern bauen mit Abrissbirne, Bagger und Kalkül.

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