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Klassenlos? Echt klass!
Der Standard

Ausstellung anschauen ist lustiger als Schulbank drücken. Im Kunsthaus Muerz sieht man, wie Schulbau aussehen könnte, wenn man nur wollte.

21. November 2009 - Wojciech Czaja
Vor einer Woche wurde im Kunsthaus Muerz die Ausstellung Fliegende Klassenzimmer eröffnet. Anders als herkömmliche Architekturausstellungen richtet sich die Schau nicht nur an Architektur- und Kulturinteressierte, sondern ganz dezidiert an Eltern, Kids und Lehrer. „Hier wird Schule auf den Kopf gestellt“, heißt es vielversprechend am Eingang. Und tatsächlich: Es wird mit Klassenzimmern experimentiert, mit Schulmöbeln Kunst gemacht, mit ungewohnten Methoden Platz zum Lernen geschaffen. Besonders anschaulich sind die 1:1-Nachbauten bestimmter räumlicher Situationen, wie man sie in einigen innovativen Schulbauten in Schweden und Dänemark vorfindet.

Das Schlimmste an der Ausstellung ist ihr Ende. Spätestens beim nächsten Ertönen der Schulglocke wird man mit einer schallenden Ohrfeige in die österreichische Gegenwart zurückgeholt. Die Architektur mag zwar hübsch und bunt geworden sein, doch das System Schule ist wie vor hundert Jahren: Schulbank drücken und sprechen, wenn man gefragt wird.

Christian Kühn, Professor an der TU Wien und Kurator der beflügelnden Ausstellung in Mürzzuschlag, erklärt die Gründe für den österreichischen Stillstand. Sein Fazit: Architektur, Politik und Pädagogik funktionieren nur als Dreiergespann. Eine Reform des Schulsystems unter den derzeitigen Umständen ist ausgeschlossen.

Standard: Bis heute misst die Standardklasse neun mal sieben Meter. Hat das einen Grund?

Christian Kühn: Es gibt eine schöne Anekdote dazu. Früher hatte eine Klasse rund 60 Schüler. Man rechnete einen Quadratmeter pro Kopf, anderthalb Quadratmeter für den Lehrer und weitere anderthalb für den Ofen. Macht unterm Strich 63, also neun mal sieben Meter.

Was ist dran an dieser Anekdote?

Kühn: Ob die Geschichte wahr ist, ist schwer überprüfbar. Aber auch abgesehen davon, ist es sehr verwunderlich, dass sich dieser Typus vom Haus des Lehrers über die kasernenartigen Schulburgen der Jahrhundertwende bis heute gehalten hat. Die Standardklasse im Wiener Pflichtschulbau misst laut Planungsrichtlinien nach wie vor exakt 63 Quadratmeter. Immerhin ein quantitativer Fortschritt, denn die Klasse fasst heute nicht mehr 60, sondern nur noch 25 bis 30 Schüler.

Was ist mit all dem Reformgeist der Sechziger- und Siebzigerjahre passiert. Alles verpufft?

Kühn: Es gibt ein Reformtrauma, das sich seit Mitte der Siebzigerjahre in den Behörden ausgebreitet hat und bis heute spürbar ist. Die baulichen Experimente, die man damals gewagt und auf sich genommen hat, hatten natürlich nicht nur Vorteile, sondern auch diverse negative Begleiterscheinungen. Man denke nur an die schlechte Akustik und Wärmedämmung dieser Bauten, über die bis heute immer wieder geklagt wird. Die Rückkehr zu den angeblich so bewährten Bautypen der guten alten Zeit ist den Österreichern halt besonders leicht gefallen.

Wie kann man dieses Reformtrauma überwinden?

Kühn: Es geht nur gemeinsam. Architekten, Pädagogen und Schulverwalter müssen sich gleichzeitig nach vorne bewegen. Wenn nicht alle drei Kräfte an einem Strang ziehen, ist der Stillstand vorprogrammiert.

Welche Rolle spielt dabei die Politik?

Kühn: Es scheint in der Politik noch nicht angekommen zu sein, dass der Raum als sogenannter dritter Pädagoge - also neben den anderen Schülern und den Lehrern - eine essenzielle Rolle spielt. Eines ist klar: Eine Reform des Schulsystems wird nur dann möglich sein, wenn dabei auch die Schularchitektur neu überdacht wird. Erst jetzt beginnt die Vernetzung zwischen denen, die über zeitgemäße Pädagogik nachdenken, und denen, die über den Schulraum nachdenken. Für eine Innovation des Schulbaus gibt es nach wie vor kein klares politisches Leitbild.

Von der Köck-Privatstiftung wurde kürzlich die Arbeitsgruppe Schul-umbau ins Leben gerufen. Welchen Beitrag kann eine solche Plattform leisten?

Kühn: In der Plattform Schulumbau sitzen unter anderem Vertreter der Stadt Wien und aus dem Bildungsministerium. Das allein ist schon ein Zeichen, dass man das Thema verstanden hat und nun handeln will. Was die Plattform wirklich bringt, wird man erst mit der Zeit sehen. Dazu ist sie noch zu jung.

Bis 2018 sollen in den Schulbau 1,7 Milliarden Euro investiert werden. Wird das Geld reichen?

Kühn: Das klingt zunächst nach viel Geld. Aber ob man damit die vielen aktuellen Anforderungen an den Brandschutz, an die thermische Sanierung, an das barrierefreie Bauen bewältigen und gleichzeitig pädagogisch besser nutzbare Räume schaffen kann, weiß niemand. Die Erfahrungen mit laufenden Sanierungen lassen die Vermutung zu, dass die Summe nicht einmal für die konventionellen Maßnahmen reichen wird.

Gibt es bereits Erfahrungswerte, ob ein innovativer Schulbau auch höhere Kosten nach sich zieht?

Kühn: Das muss nicht unbedingt sein. Nur ein Beispiel: Die Hellerup-Schule in Dänemark braucht deutlich weniger Fläche pro Schüler, da sie offen und flexibel ist. Außerdem gibt es keine Klassenzimmer, und somit fallen auch die Gangflächen weg. Dafür kostet die Innovation in der Planung und im Betrieb. Bei der Hellerup-Schule hat die Gemeinde allein 500.000 Euro in die Vorbereitung und Kommunikation investiert. Mit diesem Geld werden Kommunikationsprozesse und Ausbildungsseminare finanziert, damit die Lehrer lernen, die Potenziale der neuen Strukturen effizient zu nutzen.

Das steht leider im Widerspruch zu den Tendenzen in Österreich. Auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs in Wien ist eine Volksschule in Bau, die als Public Private Partnership abgewickelt wird. Demnach liegen Errichtung, Betrieb und Instandhaltung in der Hand privater Investoren. In diesem Fall handelt es sich um das Konsortium Porr Solutions und Bank Austria Realinvest. Welche Gefahr gibt es, wenn öffentlicher Schulbau ausgelagert wird?

Kühn: PPP ist ein sinnvolles Modell, um Risiko abzuwälzen und Verantwortung aus der Hand zu geben. Bei manchen Bauaufgaben mag das durchaus legitim sein. Das Problem an diesem Beispiel ist, dass es kein offener Wettbewerb war und dass die PPP-Auftragnehmer das Recht hatten, die siegreichen Architekten nach der Entwurfs- und Einreichplanung nach Hause zu schicken und selbst weiterzuplanen. Inzwischen hat man dort den Kompromiss gefunden, dass die Architekten die Leitdetails planen.

Stadtrat Rudolf Schicker spricht von einem Optimierungsprogramm.

Kühn: Ob PPP-Projekte in Errichtung und Betrieb wirklich billiger sind, ist umstritten. Die Qualität ist sicher höher, wenn die Architekten für die Planung durchgängig verantwortlich sind.

Es gibt das Gerücht, dass die Stadt Wien manche Schulen und Kindergärten von der MA 19 in Eigenplanung umsetzen will.

Kühn: Ich weiß nicht, ob das noch aktuell ist. Die Stadt Wien hat zwar eine große Tradition der Amtsplanung, aber sie sollte sich heute doch lieber auf ihre Bauherrenrolle konzentrieren und dort Vorbildfunktion erlangen. Bauherr und Architekt in einer juristischen Person zu bündeln halte ich für anachronistisch. Damit nimmt man sich nur die Chance auf Innovation.

Warum muss Österreich, laut Weltbank-Index eines der zehn reichsten Länder der Welt, im Bildungsbereich sparen?

Kühn: Österreich gibt sehr viel für Bildung aus, mehr als skandinavische Länder, aber mit deutlich geringerem Erfolg. Nun versucht man effizienter zu werden, allerdings am falschen Ende. Einsparungen kann man nur am Anfang erzielen, mit intelligenten Konzepten. Ich vergleiche das immer mit einem Bauherrn, der sich von einem Architekten eine Luxusvilla planen lässt und dann bei den Wasserhähnen und Türklinken zu sparen beginnt, weil ihm das Geld ausgeht. Vielleicht muss die Villa ja gar nicht so groß sein.

Die Ausstellung im Kunsthaus Muerz trägt den Titel „Fliegende Klassenzimmer“. Wohin soll die Reise gehen?

Kühn: Wir möchten den Menschen wieder das Träumen beibringen. Dazu bedarf es einer gewissen Aufklärung. Wenn man einem Lehrer heute sagt „Wünsch dir was!“, dann wird er sich das wünschen, was er eh schon hat - plus zwei Räume dazu. Das kann's nicht sein.

[ „Fliegende Klassenzimmer. Eine interaktive Ausstellung über Orte zum Wachsen für alle von 6 bis 99 Jahren“ im Kunsthaus Muerz, Mürzzuschlag. Zu sehen bis 21. Februar 2010. ]

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