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Totschlag mit Daunenjacke
Der Standard

Innovative Technologie führt nicht zwangsläufig zu guter Architektur. In Graz-Liebenau wurde ein Wohnhaus thermisch saniert - und dabei brutal umgebracht.

12. Dezember 2009 - Wojciech Czaja
Un dos winter-lejbl nem,
Tu es on du schojte,
Ojb du wilst nischt sejn kejn gast
Zwischn ale tojte.

„Nimm die dicke Winterweste, du Narr, oder möchtest du weilen unter den Toten?“, schrieb der jiddische Lyriker Itzik Manger in seiner Ballade Ojfn weg schtejt a bojm. Bis vor Kurzem galt das auch für die rund 500 Bewohner der Puch-Siedlung in Graz-Liebenau. Ungedämmt und weitestgehend unbeheizt wohnten die ehemaligen Bediensteten der Steyr- und Puch-Werke in einer langen Häuserzeile aus dem Jahr 1950. Der städtebauliche Entwurf selbst dürfte älter sein, denn die gekrümmte Bebauungsform weist typische Elemente der damaligen Nazi-Bauten auf.

Ursprünglich in Besitz der GWG Steyr, wurde die heruntergekommene Wohnanlage vor drei Jahren von der ebenfalls oberösterreichischen Gemeinnützigen Industrie- und Wohnungsaktiengesellschaft (Giwog) erworben. Und damit nahm das architektonische Grauen seinen Lauf.

„Der technische Zustand der 204 Wohnungen war eine Misere“, erinnert sich der Giwog-Vorstandsvorsitzende Georg Pilarz, „die eine Hälfte der Bewohner hatte mit Öl und Holzkohle geheizt, die andere Hälfte mit Strom.“ Nicht gerade die klügste Option. Eine durchschnittliche 70-Quadratmeter-Wohnung bescherte ihren Bewohnern auf diese Weise Heizkosten in der Höhe satter 300 bis 400 Euro - pro klirrend kalten Wintermonat wohlgemerkt. Eine ganzheitliche Lösung musste her.

Das Ergebnis der umfassenden thermischen Sanierung: Passivhausstandard und eine immense wirtschaftliche Erleichterung für jeden, der hier wohnt. Dank der ausgetüftelten Fertigteile des österreichischen Fassadenherstellers gap solution konnten die Heizkosten auf ein Zwanzigstel gesenkt werden. Geheizt wird nun um läppische 20 Euro pro Monat. Die integrierten Sonnenkollektoren verschaffen zudem eine Reduktion der Warmwasserkosten um beachtliche 75 Prozent.

Einziger Wermutstropfen an diesem recht cleveren System ist die völlige Zerstörung der Architektur. Vom Charakter der einstigen Werkswohnungen blieb nichts übrig. Statt der charmant gealterten Eternit-Fassade und der klaren Struktur zwischen oben und unten wirkt das Haus nach der Sanierung geradewegs wie ein pausbäckiger Narr mit Winterweste, ach was, wie ein graumelierter Herr, der gegen seinen Willen in einen futuristischen Daunenanorak gepfercht wurde. Die reinste Karikatur.

Das bestätigt auch Friedrich Achleitner: „Die Methode, das Neue vom Alten abzuheben und den Kontrast deutlich sichtbar zu machen, ist an sich ja eine sympathische und begrüßenswerte Sache“, erklärt der Architekturhistoriker. „Ich habe auch nichts gegen die komplette Deformation eines Gebäudes. Aber die Art und Weise, wie die Elemente der unterschiedlichen Epochen hier nebeneinander stehen, halte ich für etwas problematisch.“

Sanierung mit Vorbildwirkung?

Unglücklich, wen wundert's, ist nicht zuletzt der Architekt: „Wir haben viele Möglichkeiten ausgelotet, unter welchen Bedingungen diese Bausubstanz am verträglichsten zu dämmen ist“, sagt Josef Hohensinn, der das Projekt bis zur behördlichen Einreichung begleitete. „Doch irgendwann hat der Auftraggeber seine Entscheidung gefällt und hat uns dieses Fassadensystem vorgeschrieben. Die Alternativen waren damit hinfällig.“

Das größte Manko an der Umsetzung sei die fehlende Konsequenz, sagt Hohensinn. „Durch die Montage der Dämmpaneele ist das Haus nach allen Seiten um 30 Zentimeter gewachsen. Das verändert natürlich das gesamte Erscheinungsbild. Wenn Dach und Giebel ebenfalls modernisiert worden wären, wie das ursprünglich vorgesehen war, wäre das Projekt in Summe wieder stimmig gewesen. Aber so ist das Resultat nicht besonders überzeugend.“ Vor allem befürchtet Hohensinn, dass das Projekt, das in Fachkreisen bereits als vorbildlich angesehen wird, rasch Nachahmer finden könnte.

Die Angst des Architekten ist nicht unbegründet. Aufgrund des technischen Erfolgs wurde das Projekt kürzlich mit dem Energy Globe Award für das Bundesland Steiermark ausgezeichnet. „Am Dieselweg werden mit unserer Unterstützung neue Maßstäbe gesetzt“, erklärt Umwelt-Landesrat Manfred Wegscheider von der Grazer SPÖ. Von „frischem Wind“ und „Vorbildwirkung“ ist die Rede. Das Interesse ist seit Monaten ungebremst. Fachleute aus ganz Europa pilgern busweise nach Liebenau, um die innovative Fertigteilfassade in natura zu beäugen.

„In gewisser Weise ist das System von gap solution bestechend genial“, erklärt der Bauphysik-Spezialist Jochen Käferhaus. „Das Beste daran ist, dass die Baustelle kurz und unkompliziert ist. Die fix und fertigen Dämmmodule aus Mineralwolle, Kartonwaben und Glas werden mitsamt den neuen Fenstern auf die Baustelle geliefert und anschließend in einem Stück auf die Fassade montiert. Sämtliche statischen und thermischen Maßnahmen, die dazu nötig sind, werden von außen vorgenommen, sodass die Mieterinnen und Mieter keinerlei Einbußen im Wohnkomfort hinnehmen müssen. Einen klügeren und effizienteren Bauprozess kann man sich als Techniker nicht wünschen.“

An der hemdsärmeligen Vorgehensweise in Hinblick auf die alte Bausubstanz übt jedoch selbst der euphorische Bauphysiker Kritik: „Bei den benachbarten Wohnhäusern aus den Siebzigerjahren, wo die gleichen Maßnahmen getroffen wurden, gibt es eigentlich nichts zu meckern. Solche Gebäude, bei denen man nichts verschlechtern, sondern nur alles besser machen kann, sind das perfekte Einsatzgebiet dieser Bauweise. Bei einem Altbau, bei dem Proportion und Charakter verlorengehen, ist das meiner Meinung nach allerdings der verkehrte Griff in die Trickkiste.“

Fazit: Selbst wenn dem Bauträger ein grundsätzlich ambitioniertes und innovatives Sanierungsmodell geglückt ist, selbst wenn die Bewohner dieses Hauses jedes Jahr Strom- und Heizkosten in der Höhe von weit mehr als tausend Euro einsparen können, gibt es mit Sicherheit intelligentere Einsatzgebiete dieser Technologie.

Instant-Fassadensysteme gehören auf Instant-Häuser. Auf historischen Bauten, die gemeinhin zu den wertvollsten Ressourcen unseres Lebensraumes zählen, haben sie nichts verloren. Möge der Balanceakt zwischen Bautechnik und Baukultur in Zukunft besser gelingen.

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