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Natur? Eine Frage der Sozialarbeit
Der Standard

Der niederländische Landschaftsarchitekt Bart Brands über Lifestyle, Bürokratie und dreckige Fingernägel

2. Oktober 2010 - Wojciech Czaja
Standard: Wo steht die europäische Garten- und Landschaftsarchitektur im Jahr 2010?

Brands: Für viele Leute ist der Garten eine Art Statussymbol geworden. Je größer der Garten, je teurer die Outdoor-Küche, je blauer der Swimming-Pool, desto besser. Das ist ein richtiger Wettstreit unter Nachbarn. Doch es gibt noch einen ganz anderen Trend, der mir viel besser gefällt: Leute verwenden den Garten als verlängertes Wohnzimmer und gleichzeitig als eine Art grünen Zufluchtsort, an dem sie ihr eigenes Gemüse anpflanzen. Sogar Michelle Obama macht das! Der Garten ist also Symbol für eine Rückbesinnung zur Natur.

Standard: Sie sind ...?

Brands: Ich bin der mit dem Dreck unter den Fingernägeln, der sich nach der Gartenarbeit die Hände nicht gewaschen hat. Der Garten als Designstück - das ist mir zuwider.

Standard: In Ihrem Vortrag meinten Sie, dass Landschaftsarchitekten zusehends zu Dirigenten und Regisseuren werden. Was meinen Sie damit?

Brands: Früher hat man einen Entwurf gemacht, der wurde realisiert, und das war's. Das ist heute anders. Ich beobachte, dass immer mehr Landschaftsarchitekten eine Art interaktives Drehbuch schreiben. Das heißt: Sie realisieren zunächst einmal einen ersten Rohentwurf und schauen sich an, wie der Grünraum von der Bevölkerung angenommen wird. Erst danach reagieren sie darauf und stellen den Entwurf fertig. Man sieht daran, ganz gut, welchen Einfluss ein Garten auf die Menschen hat - aber natürlich auch umgekehrt.

Standard: Woher kommt dieser Wunsch nach Partizipation?

Brands: Es mag eigenartig klingen, aber es ist wahr: Die eigentliche Initiative geht von den Sozialarbeitern aus. Immer wieder sind sie es, die an Gemeinden und Planer herantreten und appellieren, endlich einmal ein Gemeinschaftsprojekt mit der Bevölkerung zu realisieren. Mittlerweile hat sich das Thema verselbstständigt. Wir nennen das Social Engineering - ein furchtbares Wort.

Standard: In der Architektur gab es das System Partizipation schon vor 30 Jahren. Und es ist gescheitert!

Brands: Und wissen Sie, warum? Weil die Architekten damals die Verantwortung komplett an die Bürger abgegeben haben! Und das funktioniert nicht! Teilhabe bedeutet, wie der Name schon sagt, dass die Bevölkerung am Planungsprozess teilhat. Mehr ist es nicht. Der Planer muss die Zügel in der Hand behalten.

Standard: Leidsche Rijn, ein von Ihnen entwickelter und in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung entstandener Park in den Niederlanden, wurde zerstört und umgebaut, noch bevor er überhaupt fertig war. Was ist passiert?

Brands: Wir haben einen Park entworfen, an dem wir mit den Leuten vor Ort kontinuierlich weiterplanen und weiterbauen wollten. Vegeblich. Das Problem war, dass Planungsabteilung, Bauabteilung und Abteilung für Erhaltung und Pflege nicht miteinander kommuniziert haben. Solche Projekte scheitern daran, dass es in den Ämtern schlimmer zugeht als vor hundert Jahren.

Standard: Was passierte danach?

Brands: Die Gemeinde musste das Projekt neu ausschreiben. Das Resultat ist ein klassischer Park nach klassischer Methode - da kennen sich die Beamten aus.

Standard: Die Abteilungen sind in den meisten Städten getrennt. Wie kann man das Problem lösen?

Brands: Ein innovatives Projekt innerhalb einer verkrusteten, altmodischen Struktur zu realisieren ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die einzige Möglichkeit ist, in solchen Fällen beispielsweise eine übergeordnete Ebene zu installieren, die für Planung, Bau und Erhaltung gleichermaßen verantwortlich ist.

Standard: Wo sehen Sie den öffentlichen Raum in 50 Jahren?

Brands: Öffentlicher Grünraum in der Stadt wird immer wichtiger. Die telekommunikativen und virtuellen Räume werden immer größer, gleichzeitig haben die Menschen kaum noch realen Platz für die Pflege ihrer sozialen Beziehungen. Sich auf dem Hauptplatz zu treffen ist schon lange nicht mehr das, was es früher mal war. Überall herrscht Konsumationszwang. Nur ein Beispiel: Auf dem Markusplatz in Venedig wurden vor einiger Zeit alle Parkbänke entfernt. Wer sich heute hier hinsetzen will, muss dafür in Form eines Cappuccinos teuer bezahlen.

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