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„Öffentliche Räume sind gut für die Gesellschaft“
Der Standard
11. November 2010 - Wojciech Czaja
Standard: Gehen Sie gern in der Stadt spazieren?

Tagliabue: Ja, es gibt kaum etwas Schöneres, als durch eine Stadt zu wandern und zu sehen, dass sie von den Menschen angenommen und benützt wird. Es kommt natürlich darauf an, von welcher Stadt wir hier sprechen.

Standard: Von welcher würden Sie denn gern sprechen?

Tagliabue: New York ist ein wunderbares Beispiel. In jeder Epoche dieser Stadt hat die Freiraumgestaltung eine große und wichtige Rolle gespielt. Schauen Sie sich nur einmal den Central Park an! Das letzte großartige Projekt ist die Green Line, wo eine stillgelegte Bahnstrecke in Hochlage zu einem begrünten Spazierweg ausgebaut wurde.

Standard: Und in Europa?

Tagliabue: In den letzten Jahren sind Dänemark und Holland sehr engagiert. Auch Deutschland. In der Hafencity Hamburg haben wir 2001 den Wettbewerb für die Freianlagen gewonnen. Das ist ein langwieriges und umfangreiches Projekt, an dem wir bis heute bauen. Doch das Epizentrum der städtischen Öffentlichkeit ist immer noch Barcelona. Diese Stadt leistet seit Jahrzehnten Pionierarbeit - und dafür hat sie sich eindeutig die Goldmedaille verdient. Ich denke, Politiker und Städteplaner können von Barcelona einiges lernen.

Standard: Was macht einen gut funktionierenden öffentlichen Freiraum aus?

Tagliabue: Möglichkeiten und Potenziale. Als Planerin, als Planer muss man die Absicht haben, einen Ort zu schaffen, den die Menschen lieben werden. Wenn man will, dass ein Platz von der Öffentlichkeit benützt wird, dann muss er praktisch und gemütlich sein und gewisse Vertrautheiten in uns wecken. Doch ein Restrisiko bleibt immer. Entweder es klappt, oder es klappt nicht.

Standard: Was macht man, wenn's nicht klappt?

Tagliabue: Ich habe mich kürzlich mit Planern aus Disney-Land unterhalten. Wenn dort etwas geplant und gebaut wird, das dann wider Erwarten von den Leuten nicht angenommen wird, dann wird das ganze Ding abgerissen und neu konzipiert. So etwas geht natürlich nur in Disney-Land. Im wirklichen Leben muss man sehr sorgfältig planen.

Standard: Ist die Freiraumkultur in Nordeuropa eine andere als im Süden?

Tagliabue: Das Auffälligste ist, dass Freiraumgestaltung in Südeuropa ein ganz zentrales Aufgabengebiet von uns Architektinnen ist, während es in den nord- und mitteleuropäischen Ländern dafür einen eigenen Beruf gibt. Da gibt es den sogenannten Landschaftsarchitekten. Ich sehe eigentlich keinen Grund, warum man das trennen sollte. Da wie dort geht es um Gestaltung von Lebensräumen.

Standard: Was ist mit den klimatischen Unterschieden?

Tagliabue: Natürlich werden Plätze in unterschiedlichen Klimazonen unterschiedlich genutzt. Doch die größten Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern in Europa sind nicht klimatisch, sondern kulturell bedingt.

Standard: Soziale Kontakte verlagern sich immer weiter ins Internet. Welche Auswirkungen hat diese Verlagerung auf die reale Öffentlichkeit?

Tagliabue: Diese sozialen Netzwerke sind eine Revolution. Menschen können grenzüberschreitend, mit riesigen Kapazitäten und meist sogar ohne Geld in Kontakt miteinander treten. Doch man darf nicht vergessen, dass die meisten virtuellen Kontakte immer noch dazu da sind, um sich am Ende des Tages in der Wirklichkeit zu treffen. Außerdem halten wir uns zwar mehr in der virtuellen Welt auf als früher, doch dafür sind wir auch mobiler. Wenn wir chatten und posten, dann machen wir das nicht hinter verschlossenen Türen im Schlafzimmer, sondern meist in der Öffentlichkeit - im Café oder auf der Parkbank.

Standard: Wie werden sich die öffentlichen Räume in den nächsten Jahren verändern?

Tagliabue: In den Städten steigt schon jetzt das Bewusstsein dafür. Man hat erkannt, dass öffentliche Räume der Garant für eine ruhige, tolerante und gut funktionierende Gesellschaft sind.

Standard: Beim Architektur-Kongress am 19. November werden Sie den Eröffnungsvortrag halten. Worüber werden Sie sprechen?

Tagliabue: Ich werde einen feurigen Vortrag darüber halten, dass schöne Architektur die Menschen glücklich machen kann. Und dass schlechte Architektur Menschen unglücklich machen kann. So einfach ist das.

Benedetta Tagliabue (47) ist Architektin in Barcelona und betreibt mit ihrem Partner Enric Miralles seit 1991 das Büro EMBT. Foto: Vicens Giménez Juvé

Auf öffentlichen Plätzen kann sich Gesellschaft entwickeln, sagt die spanische Architektin Benedetta Tagliabue. Im Gespräch mit Wojciech Czaja spricht sie über die Voraussetzungen für moderne Städteplanung.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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