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Aus Liebe zur Architektur
Aus Liebe zur Architektur © Luis Ferreira Alves
Der Standard

Seit wenigen Tagen ist es bekannt: Der Pritzker-Preis 2011 geht an den portugiesischen Architekten Eduardo Souto de Moura. Ein Gespräch.

2. April 2011 - Wojciech Czaja
Standard: Vor wenigen Tagen haben Sie erfahren, dass Sie Pritzker-Preis-Träger 2011 sind.

Souto de Moura: Ja, ich habe einen Anruf erhalten. Und man hat mir mitgeteilt, dass man mir den Pritzker-Preis verleihen wird. Ich konnte es kaum glauben!

Standard: Hätten Sie je daran gedacht, eines Tages den Preis zu bekommen?

Souto de Moura: Doch, einmal. 2005 hätte ich beinahe den Mies-van-der-Rohe-Preis für Europäische Architektur bekommen. Ich war einer der Finalisten und habe den Preis nur knapp verfehlt. Damals dachte ich mir: „Verdammt, jetzt hätte ich aber schon gerne gewonnen! Vielleicht wird's ja noch was mit dem Pritzker!“ Doch die Hoffnung währte nicht lange.

Standard: Aber jetzt!

Souto de Moura: Ja, aber fragen Sie mich jetzt bloß nicht, warum ich glaube, dass der Preis ausgerechnet an mich geht. Ich habe keine Ahnung.

Standard: Das britische Webportal e-architect bezeichnet Sie und Álvaro Siza Vieira als „größte portugiesische Architekten des 20. Jahrhunderts“, während Büros wie etwa ARX, Embaixada, Arquitectos Anónimos oder Kaputt als Vorreiter des 21. Jahrhunderts genannt werden.

Souto de Moura: Ich bin entsetzt. Ich bin kein Architekt des vo- rigen Jahrhunderts. Ich bin ein Architekt des nächsten Jahrhunderts!

Standard: Was macht Sie zu einem derart modernen Menschen?

Souto de Moura: Ich arbeite gerne mit neuen Materialien und neuen Erkenntnissen in der Architektur. Ich setze mich gerne mit Räumen auseinander. Und ich genieße es, von einem Projekt zum nächsten neu dazuzulernen. Wissen Sie, ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich ein Architekt des nächsten Jahrhunderts bin. Wahrscheinlich gibt es Menschen, die der Zukunft näherstehen als ich. Aber wer nicht zumindest danach trachtet, in die Zukunft zu blicken, sondern stattdessen lieber in die Vergangenheit schaut, der ist für diesen Beruf nicht geeignet.

Standard: Die Pritzker-Jury bezeichnet Sie als einen Architekten voller Intelligenz und Ernsthaftigkeit. Da sei nichts offensichtlich, nichts frivol und nichts pittoresk.

Souto de Moura: Das klingt gut! Aber ich mag diese Kategorisierungen nicht. Immerzu wird man in eine Box gesteckt. Selbst wenn man zu einem Wettbewerb eingeladen wird, kann es passieren, dass der Auslober einem dann sagt: „Wir erwarten uns, dass Sie mit Stein arbeiten. So wie Sie das immer machen. Auf keinen Fall anders!“ Das kann ich nicht. Da bin ich der Falsche.

Standard: Wie einfach fällt es Ihnen, den ersten Strich zu setzen?

Souto de Moura: Ich entwerfe sehr gerne, aber manchmal brauche ich zehn Anläufe, bis mich ein Entwurf zufriedenstellt. Auf Anhieb klappt das meistens nicht. Ganz im Gegenteil: Ich bin einer, der ewig lang Vorteile und Nachteile gegeneinander abwiegt und relativ lange braucht, um eine Entscheidung zu fällen. Auf der Baustelle kommt es dann eh ganz anders.

Standard: Wie zum Beispiel?

Souto de Moura: Ein Beispiel: Beim U-Bahn-Bau in Porto mussten zwangsläufig einige Bäume gefällt werden. Es ging nicht anders. Daraufhin wurde ich von den Leuten als Baummörder bezeichnet. Bei meinem nächsten Projekt, dachte ich mir, werde ich das auf jeden Fall wiedergutmachen. Und so habe ich das Historische Museum Paula Rego in Cascais so konzipiert, dass durch den Bau des Gebäudes kein einziger Baum gefällt werden musste. Ich war sehr konsequent. Zu konsequent. Denn man hat vor lauter Bäumen vom Museum kaum noch etwas gesehen, und das, obwohl das Gebäude so rot ist! Also habe ich diese zwei charakteristischen Pyramidenstümpfe draufgesetzt. Das sind zwei kaminartige Lichtöffnungen, die wie Zipfelmützen auf dem Haus sitzen.

Standard: Und dann?

Souto de Moura: Nachdem das Projekt fertiggestellt war, kamen die Botaniker und haben befunden, dass all die Bäume, auf die wir mühsam Rücksicht genommen haben, importiert sind und in diesem wunderbaren Garten eigentlich nichts verloren haben. Sie haben gemeint, das sei eine ortsfremde Spezies. Daraufhin haben sie all die Bäume abgesägt. So weit reicht Fremdenhass! Schauen Sie sich einmal an, wie nackt das Haus heute dasteht. Der Entwurfsprozess ist in keinster Weise mehr nachvollziehbar. Unmöglich! Eigentlich ist die Geschichte ja eh ganz lustig.

Standard: Was lernen wir daraus?

Souto de Moura: Konzepte sind das eine, Resultate das andere. Manchmal haben Entwurf und Wirklichkeit nichts miteinander zu tun.

Standard: Sie mögen also keine Konzepte?

Souto de Moura: Nein, ich mag Konzepte ganz und gar nicht. Meinen Studenten auf der Uni sage ich immer: Leute, Konzepte sind zwar wichtig, aber sie interessieren mich nicht. Ich will fix-fertige und umgesetzte Ideen sehen.

Standard: Arbeiten Sie mit dem Computer oder mit Bleistift und Papier?

Souto de Moura: Immer mit Bleistift und Papier. Nein, das stimmt eigentlich gar nicht! Erst kürzlich habe ich mir ein iPad gekauft. Das ist ein wunderbares Ding, das für so Deppen wie mich entwickelt wurde. Ich habe mir eine App installieren lassen, bei der ich direkt auf dem Touchpad freihändig Skizzen machen kann. So kann ich die Zeichnung direkt ans Büro schicken, wo sie meine Mitarbeiter dann gleich umsetzen können.

Standard: Das ist effizient.

Souto de Moura: Effizienz ist ein wichtiges Thema geworden. Leider! Die wirtschaftlichen Zwänge im Bauen sind groß, und sie werden immer größer. Wenn ich mich an meine Anfänge zurückerinnere, da konnte man es sich noch leisten, langsam zu arbeiten und jedes einzelne Detail genau zu planen, da konnte man es sich noch leisten, eine Mauer aus Steinen aufzubauen. Diese Zeiten sind vorbei. Das kann sich heute niemand mehr leisten. In gewisser Weise ist das ein kultureller Verfall.

Standard: Was tun Sie dagegen?

Souto de Moura: Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder Sie bleiben sich selbst treu und lehnen dankend ab, aber dann werden Sie höchstwahrscheinlich verhungern. Oder aber Sie stellen sich der Situation, sind bereit, Kompromisse einzugehen, und machen das Beste daraus. Ich nenne diese Lösung gerne auch: Prostitution aus Liebe zur Architektur.

Standard: Zu welcher Gruppe gehören Sie?

Souto de Moura: Lassen Sie mich diese Frage mit einer Anekdote beantworten. Vor einiger Zeit kam ein Bauherr zu mir. Er wollte ein Grundstück im Norden Portugals bebaut haben. Und dann hat er gesagt: „Aber du musst schnell machen! In einer Woche kommt der Premierminister in diese Gegend, und da brauchen wir schon einen fix-fertigen Entwurf.“ Eine Katastrophe!

Standard: Sie haben zugesagt?

Souto de Moura: Natürlich! Ich liebe die Architektur.

Standard: Abschlussfrage: Wissen Sie schon, was Sie mit den 100.000 Dollar machen werden?

Souto de Moura: Das ist viel Geld. Ich habe noch keine konkrete Idee. Ich weiß nur eines: Ich werde die 100.000 Dollar sicher nicht auf die Bank legen, sondern werde mir dafür etwas Schönes kaufen, am liebsten etwas Physisches, ein Bild oder eine Skulptur. Irgendein Ding, das ich angreifen kann und das mir leise zuflüstern wird: Eduardo, das war das Geld vom Pritzker-Preis.

Eduardo Souto de Moura (58) studierte Architektur an der Escola Superior de Belas Artes do Porto. In seinen jungen Jahren arbeitete er bei Álvaro Siza Vieira. Neben einigen Wohnbauten und Einfamilienhäusern plante er u. a. das Kulturzentrum in Porto (1991), den portugiesischen Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover, das Fußballstadion in Braga (2003) sowie das Museum Paula Rego in Cascais (2009). Souto de Moura, nach Siza Vieira bereits der zweite ausgezeichnete Portugiese, wird am 2. Juni den mit 100.000 Dollar dotierten Pritzker-Preis in Washington, D. C., entgegennehmen.

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