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Ein Turm aus Angst und Paranoia
Der Standard

Der Wiederaufbau von Ground Zero hätte ein Projekt mit weltweiter Strahlkraft werden können. Diese Chance ist längst verbaut.

10. September 2011 - Wojciech Czaja
Am 11. September 2001 wurden einige Immobilienobjekte aus dem Grundbesitz der Port Authority of New York and New Jersey unwiederbringlich zerstört. Zwei Tage später saßen die Vorstandsvorsitzenden der Port Authority mit dem Investor Larry Silverstein, der wenige Wochen zuvor einen 99-jährigen Pachtvertrag für das World Trade Center unterzeichnet hatte, und dem Architekten David Childs, Seniorpartner der Architekturfabrik Skidmore, Owings & Merrill (SOM), an einem Tisch und brüteten bereits über den Plänen für den Wiederaufbau.

Ein Grundstück wie Ground Zero zu bebauen ist ein Jahrhundertereignis. Zehn Jahre nach den Anschlägen ist klar, dass diese Chance jämmerlich vertan wurde. Was ein Zeichen für Konfliktbekämpfung und Neuorganisation hätte werden können, ist nun ein mittelmäßiger Haufen von bombensicheren Bürohochhäusern, eine betonierte Anti-Terror-Festung aus der Ära Bush. Die Metapher ist unmissverständlich.

Die Entwicklung auf Ground Zero verhieß von Anfang an nichts Gutes. Im April 2002 schrieb die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC) einen Wettbewerb aus und bat 24 Architekturbüros aus ganz Manhattan um deren Entwürfe. Noch bevor die ersten Zeichnungen auf dem Tisch lagen, zog die LMDC die Einladung zurück und übertrug den Auftrag an das New Yorker Büro Beyer Blinder Belle (BBB). Die sechs Masterplan-Varianten von BBB sahen monströse, übereinandergestapelte und ästhetisch austauschbare Bürovolumina mit gewohnt amerikanischer Schönfärberei vor: Memorial Plaza, Memorial Garden, Memorial Square. Die internationale Architektenschaft tobte - und forderte einen internationalen Architekturwettbewerb.

Doch auch das darauffolgende Wettbewerbsverfahren, aus dem unter anderem Daniel Libeskind mit seinem begrünten Turm namens „Gardens of the World“ als Sieger hervorging, sollte sich bald als gescheitert erweisen. „Gärten sind eine konstante Bestätigung des Lebens“, sagte der Architekt. Sie seien der Inbegriff für Freiheit und Schönheit.

Libeskinds Worte waren die perfekte Metapher für ein medial so angeschlagenes Projekt. Allein, mit Gärten in einem halben Kilometer Höhe kann man kein Geld machen. Schon bald darauf wurde Libeskind aus dem Projekt gemobbt. Sein Turm ist längst Geschichte.

Nein: Kulturzentrum

Auch das geplante International Freedom Center (IFC) des norwegischen Büros Snøhetta, das auf Ground Zero einen „Ort der lebendigen Diskussion über den Kampf aller Kulturen für die Freiheit und die Menschenrechte“ mit Ausstellungen über chinesische und tibetanische Freiheitskämpfer schaffen wollte, fiel dem Veto zum Opfer. „Wir wollen hier keine Politik“, erklärte Debra Burlingame, Sprecherin der Opferorganisation Take back the Memorial. „Künstlerische Freiheit und Redefreiheit müssen sein, überall sonst, nur bitte nicht auf Ground Zero.“

Und die beiden Hochhäuser von Norman Foster und Richard Rogers, einst ebenso Wettbewerbsgewinner wie Daniel Libes-kind und Snøhetta, wurden von ursprünglich 71 und 79 Stockwerken auf mickrige Office-Zwerge mit fünf und sechs Etagen (!) geschrumpft. „Man könne die Türme zu einem späteren Zeitpunkt ja immer noch aufstocken“, lautet der zynische Kommentar der Investoren.

Wenig verwunderlich: Am Ende aller Tage landete das Gesamtprojekt Ground Zero wieder dort, wo alles seinen Lauf nahm, beim Verbündeten der Port Au-thority, beim besten Freund des Investors. Bei einer Pressekonferenz im Jahr 2003 trat Architekt David Childs, Seniorpartner von SOM, vor die Journalisten und schnaufte selbstsicher ins Mikrofon: „Der ganze Plan ist dummes Geschwätz. Libeskind hat keine Erfahrung mit großen Projekten. Ein Museum hat er gebaut, aber das kann jeder. Der Mann hat doch keine Ahnung, wovon er spricht.“

Acht Jahre später befindet sich der neue Turmbau von SOM bereits im 82. Stock und hat eine Höhe von 309 Metern erreicht. Ein nichtssagender Phallus aus Glas mit einer 124 Meter hohen Antenne auf der Spitze. Die Gesamthöhe von 1776 Fuß (541 Meter) - eine Anspielung auf das Jahr, in dem Amerikas Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet wurde - ist das letzte symbolische Überbleibsel von Libeskinds Entwurf.

„Herr Libeskind hat ohne Zweifel eine großartige Zeichnung vorgelegt, aber dieses Projekt war immer nur als Masterplan und Stoßrichtung angedacht“, sagt T. J. Gottesdiener, Managing Partner bei SOM New York, im Interview mit dem STANDARD. „Eines Tages hat der Investor Larry Silverstein eben beschlossen, das Areal lieber von anderen Architekten zu bebauen. Das Projekt muss sich rechnen. Das ist die Story.“

Mit der Übertragung der Architekturplanung an SOM, das pro Jahr rund 50 großmaßstäbliche Projekte auf der ganzen Welt abwickelt, ging der Wiederaufbau von Ground Zero endgültig den Bach runter. Der Sockel des 3,1-Milliarden-Dollar-Gebäudes (ca. 2,2 Milliarden Euro) gibt sich heute noch als leichte, transparente Stahlkonstruktion. Doch bei Fertigstellung im Jahr 2013 wird der Tower von einer zwei Meter dicken, 60 Meter hohen Betonmauer umgeben sein. Sie soll einem 20-Tonnen-Truck voller Dynamit standhalten können.

„Der Auftraggeber ist um maximale Sicherheit bemüht“, sagt Gottesdiener, „aber schauen Sie sich nur einmal die Geschlechtertürme der Medici in Florenz an! Die haben im unteren Bereich auch kaum Öffnungen, und trotzdem finden wir diese Gebäude atemberaubend schön.“

Ja: Shoppingcenter

Und sonst? Der Turm wurde um 20 Meter von der Straße abgerückt, ein Sicherheitsabstand. Das Panorama-Restaurant im obersten Geschoß wird nicht realisiert - logistische Probleme. Doch dafür gibt es ein gigantisches unterirdisches Einkaufszentrum mit 46.000 Quadratmetern Verkaufsfläche - keine logistischen Probleme.

Und der einst pathetische Name „Freedom Tower“ musste der pragmatischen Bezeichnung „One World Trade Center“ weichen. Der Großmieter Vantone Industrial Co. aus Peking, der in den Etagen 64 bis 69 ein „China Center“ errichten will, konnte sich mit dem Namen nicht identifizieren und wünschte sich die Umbenennung des Turms.

Ground Zero (kolportierte Gesamtinvestitionskosten zehn bis 14 Milliarden US-Dollar, ca. 7,1 bis 9,9 Milliarden Euro) droht zu einem kulturellen Fiasko zu werden, zu einem kommerziellen und fragwürdig politischen Aushängeschild der USA, zu einem Symbol für Angst und Paranoia. „Hört auf zu bauen!“, forderte der deutsche Journalist Florian Heilmeyer vor einigen Jahren in einem Artikel. „Vielleicht kann eine kommende Generation diesen Ort würdiger und sinnvoller bespielen.“ Dafür ist es nun zu spät.

Ground Zero ist nicht nur die Rekonstruktion eines zerstörten Machtsymbols, sondern zugleich auch Sinnbild einer perfiden und uninspirierten Architektur. Oder, wie der Berliner Architekturtheoretiker und Schriftsteller Friedrich von Borries schreibt: ein „Architekturporno für die Weltherrschaft des Kapitals“.

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