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Die Macht des Gummihandschuhs
Der Standard

Gegen Krisen ist kein Kraut gewachsen? Doch! Eine Ausstellung im Architekturzentrum Wien widmet sich dem grünen Städtebau von unten.

17. März 2012 - Wojciech Czaja
Das Gärtnerische war immer schon ein seismografischer Indikator für Krise. In Drucksituationen widmen sich die Menschen dem Grünraum und beginnen, Obst und Gemüse anzubauen.

Chi-Ho Chung ist Mitte 30, trägt Mittelscheitel und Hemd. Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein Manager in der Wirtschaftsmetropole Hongkong. Doch der Schein trügt. Chi-Ho ist Designer, Aktivist und Nebenerwerbsbauer. In den New Territories, am nördlichen Stadtrand Hongkongs und direkt an der Grenze zu Shenzhen und Mainland China, steckt er täglich die Hände in die Erde, sät Samen, wühlt nach Gemüse und lehrt die lokale Bevölkerung, sich selbst zu versorgen.

„Wir leben in einer künstlichen Konsumwelt, werden mit jedem Tag abhängiger von der Nahrungsmittelindustrie und werden uns unser Leben in dieser Stadt bald nicht mehr leisten können“, sagt Chi-Ho. Die Ma Po Po Community Farm, ein wildromantisches Fleckchen Erde inmitten 40-stöckiger Wohnhochhäuser, soll Abhilfe schaffen. Bewohner aus der Umgebung lernen die Grundprinzipien des Ackerbaus kennen, können an der Farmschule einen Lehrgang absolvieren und treffen sich regelmäßig zur gemeinsamen Feldarbeit. Das geerntete Obst und Gemüse ist sowohl für den Eigenbedarf als auch für den Verkauf bestimmt.

Vor allem aber leisten die angehenden Hobbybauern einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung unserer Städte. Es ist genau diese Kraft an der Basis, die dem Turbokapitalismus und Neoliberalismus die lange Nase zeigt und sich den widrigen Machenschaften von Wirtschaft und Politik entzieht - oder es zumindest versucht. Diesen Menschen, diesen Initiativen und diesen Bottom-up-Bewegungen widmet das Architekturzentrum Wien (AZW) seit Mittwoch eine eigene Ausstellung. Hands-on Urbanism 1850-2012. Vom Recht auf Grün ist aber mehr als nur eine Ausstellung. Es ist eine inhaltlich dicht gespickte Forschungsreise durch Zeit und Raum, die beweist, dass die grüne Rebellion im Untergrund nicht erst eine Erfindung im Zeitalter der Globalisierung ist. Sie beweist, dass es informelle Stadtentwicklung schon seit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts gibt, dass sie immer wieder da war, immer wieder aufkeimte wie ein junges Pflänzchen und immer wieder verendete und verschwand.

Wo eine Krise, da ein Garten

„Das Gärtnerische ist ein weltweites Phänomen, das sich nicht nur in Hongkong oder New York manifestiert, sondern überall auf der Welt“, sagt die Kuratorin Elke Krasny. Gemeinsam mit der Szenografin Alexandra Maringer ist sie für die inhaltliche und optische Gestaltung der Ausstellung zuständig. „Am meisten fasziniert mich, dass das Gärtnerische immer ein seismografischer Indikator für Krise ist. In politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Drucksituationen widmen sich die Menschen vermehrt dem Grünraum und beginnen, eigenhändig Obst und Gemüse anzubauen.“

Die Ma Po Po Farm in Hongkong ist so ein Beispiel. Einst waren die New Territories eine wichtige Landwirtschaftsregion, die die Bewohner der Megalopole mit Nahrungsmitteln versorgte. Mitte der Neunzigerjahre ging die lokale Produktion zurück. Investoren erkannten den Wert der Grundstücke und begannen, sie durch Bebauung, Vermietung und Verkauf lukrativer zu verwerten. Und die Hongkonger Regierung rechnete sich aus, dass die Auslagerung der Agrarproduktion und der Nahrungsmittelimport aus China wesentlich billiger ist als Eigenproduktion in der teuren Sonderwirtschaftszone.

Kampf mit Sense und Hacke

„Ja, man braucht heute viel Vorstellungskraft, um mit der Metropole Hongkong Landwirtschaft zu assoziieren“, sagt Chi-Ho Chung. „Traditionelle Symbole wie Fischteiche und Reisfelder geraten nach und nach aus dem Blickfeld und werden zu Erinnerungen.“ Stattdessen gibt es Parkplätze, Lagerhallen und Schrotthändler. Die Entwicklung ist nicht zu stoppen.

Doch gerade jetzt, da der kanadische Baugigant Henderson Development der ansässigen Bevölkerung auf die Pelle rückt und Pläne für eine Neubebauung der letzten grünen Reserven präsentiert, gerade jetzt, da die Regierung mit Zwangsabsiedelung droht, formiert sich Widerstand. Im Juli 2010 wurde die Ma Po Po Farm gegründet, schon ein Jahr später standen die ersten Absolventen der Farmschule in Gummistiefeln auf dem Feld und wurden als Biobauern aktiv. Doch die Stunden von Ma Po Po sind gezählt.

„Es scheint eine allgemein verbreitete Strategie der privaten Developer zu sein, landwirtschaftlich genutzte Flächen zuerst brachliegen und verkommen zu lassen und dann bei der Regierung eine Umwidmung der Flächen zu beantragen“, meint Chi-Ho. „Wir bauen Salat, Kartoffeln, Bohnen und Karfiol an, und wir zeigen vor, wie nachhaltiges Wohnen aussehen kann, wie man auch mit wenig Einkommen ein schönes und hochwertiges Leben führen kann. Die ersten Zwangsabsiedelungen durch Henderson wurden bereits angedroht. Ich hoffe, dass wir das Blatt noch wenden können.“

Auch andernorts auf der Welt spornen Krisensituationen zu grünen Meisterleistungen an. Eine gängige Methode des informellen Städtebaus sind die sogenannten Gecekondus in Istanbul. Die meist mehrstöckigen Häuser werden ohne Baubescheid errichtet. Die Menschen leben in großer Dichte, betreiben ein bisschen Landwirtschaft rund ums Haus und halten Hennen für den täglichen Bedarf.

„Ganze Stadtteile in der Türkei wurden auf diese Weise errichtet, so gesehen ist das informelle Bauen ein wichtiger Faktor für die Entwicklung des Landes“, sagt Stephan Schwarz, Architekt und Forscher bei ISSS Research. „Doch seit 2004 ist die Errichtung von Gecekondus illegal. Vor allem im innerstädtischen Bereich Istanbuls sind viele Gecekondu-Viertel heute von Abriss und Neubebauung bedroht. Ich fürchte, dass damit Lebensqualität, aber auch ein Stück regionaler Baukultur verlorengehen wird.“

Die Reise zu den erkämpften Zonen einer sich immer stärker emanzipierenden Gesellschaft ließe sich ohne Ende fortsetzen. In Kuba entstand im Zuge des Zusammenbruchs des europäischen Kommunismus ein Engpass an Chemikalien und Treibstoffen; durch die Auflösung der UdSSR verlor das Land einen wichtigen Handelspartner und damit auch den Zugang zu wichtigen Ressourcen. Das Handelsembargo der USA setzte der Regierung in Havanna zusätzlich zu. Das war das Ende der großen Landwirtschaft - aber auch der Beginn der sogenannten Organoponicos. Auf den unbebauten Restflächen in der Stadt begannen die Menschen damals Ackerbau zu betreiben. Derzeit gibt es in Havanna rund 160 Kommunen für Agrikultur. Ein genaues Mapping der Gemeinschaftsgärten existiert bis heute nicht.

Die Oase, ein schuldiger Ort

„Das ist nichts anderes als der Beginn der Wiener Siedlerbewegung und der ersten Schrebergartensiedlungen in Österreich“, sagt Kuratorin Elke Krasny, die in der Ausstellung vor einem der Bauzäune Platz genommen hat, umgeben von Gänseblümchen, Veitschi und Lavendel. „Das kollektive Anbauen ist eine Möglichkeit, der Krise zu entkommen und Menschen zu begegnen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.“ Auch die Schrebergartenparzellen auf der Schmelz wurden einst als Kriegsgemüsegärten angelegt. Heute befindet sich hier eine der größten Kleingartensiedlungen Mitteleuropas.

„Der Garten ist kein unschuldiger Ort. Der Garten ist ein Topos, an dem sich Krisen manifestieren und an dem Menschen auf diese Krisensituationen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren.“ Hier wird Stadt von unten gemacht. Oder wie Krasny sagt: „Das Gärtnern bringt Handlungsmacht hervor.“

Die Ausstellung „Hands-on Urbanism 1850-2012. Vom Recht auf Grün“ ist bis 25. Juni zu sehen. Reichhaltiges Begleitprogramm in Form von Vorträgen, Workshops und Exkursionen. Architekturzentrum Wien. www.azw.at

Zur Ausstellung ist das Buch „Hands-on Urbanism“ im Verlag Turia + Kant erschienen. Zwei Ausgaben Deutsch und Englisch. Der 356-seitige, schön gestaltete Schmöker präsentiert Beispiele aus aller Welt.

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