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Der Architektenflüsterer
Der Standard

Was haben Wolf Prix, Rem Koolhaas und Ben van Berkel gemeinsam? Sie alle jetten regelmäßig nach Boston, um den Unternehmensberater Paul Nakazawa zu treffen.

25. Januar 2013 - Wojciech Czaja
Er unterrichtet an der Harvard Graduate School of Design, wohnt in einem kleinen Vorort von Boston und berät von seinem kleinen Kabäuschen aus die größten und bekanntesten Architekturbüros der Welt. Die Rede ist vom 62-jährigen Paul W. Nakazawa. Zu seinen jahrelangen Kunden zählen etwa Rem Koolhaas, Moshe Safdie, Ben van Berkel, Rafael Viñoly, Thom Mayne, Martha Schwartz, Snøhetta sowie das Wiener Büro Coop Himmelb(l)au. Worin seine Arbeit genau besteht und was er beim Blick in die Kristallkugel immer wieder zu sehen bekommt, verriet er in einem kostenlosen Gespräch.

STANDARD: Sie arbeiten als Unternehmensberater für Architekten. Was kann man sich darunter vorstellen?

Nakazawa: Meistens ruft mich irgendein Architekt an, der selbst nicht so recht weiß, warum, nur weil ihm irgendein anderer Architekt geraten hat: „Du, ruf einmal den Nakazawa an, der ist echt gut, der kann dir helfen!“

STANDARD: Und dann helfen Sie.

Nakazawa: Ich habe in meinen frühen Jahren schon so viel erlebt und habe selbst schon so viele finanzielle Flugzeugabstürze überlebt, dass ich eines Tages beschlossen habe, mich selbstständig zu machen und meine Expertise einem breiteren Publikum zur Verfügung zu stellen. Konkret ist es so, dass ich mir anschaue, wie das Büro performt, was das genaue Problem ist und wie man da wieder rauskommt.

STANDARD: Und? Was sind die häufigsten Probleme?

Nakazawa: Reagieren auf die Wirtschaftskrise, Panik vor Veränderung, Fehleinschätzung und generelle Fehlentwicklungen.

STANDARD: Wie wird man Unternehmensberater?

Nakazawa: Ich habe begonnen wie viele andere Architekten auch: in einem Architekturbüro. Mein erster Job war in New York City bei Edward Larrabee Barnes. Das war damals eines der größten Architekturbüros der Stadt. Doch nach einem halben Jahr habe ich gemerkt, dass die Arbeit für mich uninteressant ist, weil ich das Gefühl hatte, zum Erfolg dieses Büros nicht mehr beitragen zu können. Es war schon längst etabliert. Also habe ich Edward Larrabee Barnes verlassen und bin ein Mann des Abenteuers geworden.

STANDARD: Welche Abenteuer zum Beispiel?

Nakazawa: Ach, so viele! Ich habe Jungarchitekten bei der Bürogründung geholfen, habe ganze Unternehmen aufgebaut und habe sogar ein Architekturbüro aus Charlotte in North Carolina an die Londoner Börse gebracht. Das war das erste Mal in der Geschichte, dass ein Architekturbüro an die Börse ging. Wir sprechen hier von 1986! Doch der Erfolg währte nicht lange. Das Büro ging bankrott.

STANDARD: Sie sind also ein Experte fürs Auf und Ab.

Nakazawa: Ja. Meine Spezialität ist das Chaos. Ich bin ein Meister für Höhenritte und für abgrundtiefe Stürze. Wenn man das nicht verkraftet, dann ist man falsch in diesem Job.

STANDARD: Wo fühlen Sie sich wohler? Ganz oben oder ganz unten?

Nakazawa: Ganz oben und ganz unten zu sein fühlt sich eigentlich ziemlich gleich an. In beiden Fällen hat man die Kontrolle verloren. In beiden Fällen ist man in Panik, weil es fast keine Konstanten, sondern fast nur noch Variablen gibt. Ich sage meinen Kunden immer: „Wissen Sie, wenn man Erfolg hat, dann fühlt sich das keineswegs wie das Paradies an! Das ist die Hölle!“

STANDARD: Und wo ist das Paradies?

Nakazawa: Im Bereich der Nulllinie. Im ganz normalen Alltag. In der Komfortzone. Nur wissen das die wenigsten. Da schließe ich mich selbst nicht aus.

STANDARD: Wer sind Ihre Kunden?

Nakazawa: Meine Kunden reichen von kleinen Smart-ups über große Corporate-Unternehmen bis hin zu weltbekannten Designern und Architekten.

STANDARD: Wie finden Sie Ihre Kunden?

Nakazawa: Gar nicht. Die Kunden finden mich.

STANDARD: Wie viele Kunden haben Sie?

Nakazawa: Es gibt weltweit rund 80 Architekturbüros, die ich regelmäßig betreue und begleite.

STANDARD: Wie lauten Ihre Spielregeln für eine Zusammenarbeit?

Nakazawa: Erstens: Wenn du kein Talent in diesem Job hat, dann kann ich dir nicht helfen - auch nicht für viel Geld. Das wäre nur unfair, weil ich ja sowieso nicht behilflich sein kann. Zweitens: Wenn du zwar bankrott und finanziell komplett am Ende, aber dafür auch ein bisschen talentiert bist, dann ist das kein Problem. Bankrott zu sein ist ein temporärer Zustand. Das kriegen wir schon hin. Und drittens: Es interessiert mich nicht, im Notfall einzuspringen, wenn gerade der Hut brennt. Das ist keine Basis für eine funktionierende Zusammenarbeit. Ich will Partner und Begleiter sein.

STANDARD: Schon einmal mit Zaha Hadid oder Frank O. Gehry zusammengearbeitet?

Nakazawa: Die beiden sind schon so weit mit ihrer Karriere, was soll ich da noch tun? Frankie und Zaha sind schon im Olymp. Noch höher geht's nicht.

STANDARD: Stehen Sie nie in Konflikt, wenn Sie mehrere Architekturbüros gleichzeitig beraten?

Nakazawa: Prinzipiell nicht. Jedes Büro tickt anders. Da sehe ich keine Konkurrenz - mit einer einzigen Ausnahme: Wenn sich zwei Büros um das gleiche Projekt bewerben, zum Beispiel in Form eines Wettbewerbs oder Verhandlungsverfahrens, dann muss ich mich zurückziehen. Das wäre ein Verstoß gegen mein eigenes Verständnis von Loyalität.

STANDARD: Wie lange dauert es, bis Sie die Eckdaten und Probleme eines Architekturbüros erfasst haben?

Nakazawa: Bei einem kleinen Büro würde ich sagen: drei, vier Stunden. Bei einem großen Unternehmen vielleicht ein, zwei Tage.

STANDARD: Das reicht für eine Diagnose?

Nakazawa: In der Regel ja. Und das Schönste an dieser Arbeit ist: Die Symptome können sehr ähnlich sein, doch die Diagnose ist immer wieder anders. Es ist wie in der Medizin. Man geht zum Arzt, weil man Rückenschmerzen hat und eigentlich nur eine Tablette gegen Rückenschmerzen braucht, und dann erfährt man, dass man die Rückenschmerzen nur deswegen hat, weil die Nieren nicht in Ordnung sind, weil man Plattfüße hat oder weil man zu viel vor dem Computer sitzt. Ich finde das sehr spannend.

STANDARD: Was war Ihr bisher bester Riecher?

Nakazawa: Es muss 2000 oder 2001 gewesen sein, da habe ich Martha Schwartz, Landschaftsarchitektin und eine Kundin von mir, angerufen und ihr gesagt: „Martha, bau vor! Das nächste Jahrzehnt gehört dir! Mach was draus!“

STANDARD: Das heißt?

Nakazawa: In den Neunzigerjahren haben sich die Auftraggeber vor allem auf singuläre Gebäude konzentriert. Viele tolle Bauwerke sind in dieser Zeit entstanden. Die Architekten wurden in den Medien groß abgefeiert. Ich dachte mir damals: Stimmt schon, wir Menschen wohnen zwar in Bauwerken, aber wir wohnen doch auch zwischen den Bauwerken! Wir leben auf der Straße, im Park, in der Haltestelle. Ich war mir damals sicher, dass die Gesellschaft früher oder später die fachgerechte Planung ihrer Städte einfordern wird. Und so kam es dann auch.

STANDARD: Wo stehen wir heute?

Nakazawa: Wir befinden uns heute in einer Epoche, in der die Bedeutung des Gebäudes mehr und mehr zurückgeht. Der Fokus lautet: Freiraumgestaltung und Infrastruktur.

STANDARD: Wessen Verantwortung ist es, das Dazwischen zu planen?

Nakazawa: Das ist die Verantwortung der öffentlichen Hand! Doch bis die Politik sich dieser Verantwortung und somit auch ihrer Aufgabe als Auftraggeberin öffentlicher Lebensräume wirklich bewusst geworden ist, kann ich jedem Architekten auf dieser Welt nur raten: Carpe diem! Schlagen Sie Ihr Kapital daraus!

STANDARD: Sind Sie Kapitalist?

Nakazawa: Natürlich bin ich Kapitalist. Ich lebe davon! Aber ich bin ein großer Gegner dessen, wie Kapitalismus heute in den USA verstanden wird. Das Wirtschaftssystem in diesem Land polarisiert. Und das ist nicht gut.

STANDARD: Wie viel kostet Paul Nakazawas Blick in die Kristallkugel?

Nakazawa: Nicht viel. Ich stelle meinen Kunden einen ähnlichen Betrag in Rechnung, den sie auch ihren eigenen Kunden verrechnen. Ich habe einen Tagsatz von etwa 5000 Dollar. Wenn jemand durch meine Hilfe an einen Auftrag in der Höhe von fünf Millionen Dollar kommt, dann halte ich mein Honorar für durchaus angemessen.

STANDARD: Wie lauten Ihre nächsten Prophezeiungen?

Nakazawa: Der Immobilienmarkt hat sich dramatisch verändert. Es gibt eine Schieflage. Der Bau von Nordamerika und Europa ist weitestgehend abgeschlossen. Die Gesellschaft stagniert oder geht zurück. Der Bedarf an neuer Architektur hält sich in Grenzen. Die Zukunft liegt in anderen Gesellschaften: in Südamerika, im Nahen Osten, in Indien, Indonesien und China.

STANDARD: Was raten Sie also?

Nakazawa: Ich rate Ihnen, mir so eine Antwort nicht gratis abzuverlangen. Das ist mein Job!
[ Paul W. Nakazawa, geboren 1950 in Chicago, studierte Architektur an der Harvard University sowie Kunst und Business-Administration an der University of Chicago. Er ist Associate Professor für Architektur an der Harvard University Graduate School of Design (GSD) in Cambridge und arbeitet als Berater für Architekten. ]

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