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Tod und Strichcode
deutsche bauzeitung

Unternehmenszentrale Bestattung in Wien (A)

Seit der Liberalisierung des Bestattungsmarkts müssen auch städtische Unternehmen um ihre Kunden werben. Die neue Unternehmenszentrale der Bestattung & Friedhöfe Wien macht das auf ungewöhnliche Weise. Das Wiener Büro Delugan Meissl Associated Architects (DMAA) hat es geschafft, die Themen Tod und Trauer aus ihrem dunklen, klischeebehafteten Mief zu befreien. Ein Lichtblick. Zumindest für den Kunden.

8. April 2013 - Wojciech Czaja
Wien hatte immer schon einen Hang zum Makabren, zum Morbiden, zum Gänsehautschauer im Ausnahmezustand. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass der Wiener Zentralfriedhof mit seinen 2,5 km² zu den größten, aber auch schönsten Nekropolen Europas zählt. Viele Gräber werden als ultimatives Statussymbol erachtet, in dem so mancher Toter besser »haust« als seine lebenden Zeitgenossen. Die Tore und Portalgebäude sind dramatische Gesten, die einen Sterblichen schon mal das Fürchten vor dem Sensenmann lehren können. Und sogar der österreichische Architekturvater Clemens Holzmeister, der das sakrale Österreich zwischen 1920 und 1980 wie kein anderer prägte, hinterließ mit der 1922 errichteten Feuerhalle seine pompfünebrischen Spuren. (Pompfüneberer = österreichisch für Bestatter, Anm. d. Red.)

Doch plötzlich taucht zwischen all dem Pomp ein modernes, zeitgenössisches Stück Architektur auf. Das Gebäude – 50 x 57 m in seinen Dimensionen – ist neutral und entzieht sich einer funktionalen Zuordenbarkeit durch den Betrachter. Am ehesten würde man hinter dem hellen, umlaufenden Fassaden-Strichcode eine Schule oder ein Museum vermuten. Tatsächlich jedoch handelt es sich um die neue Unternehmenszentrale der Bestattung & Friedhöfe Wien (B&F). Die Planung für diesen außergewöhnlichen, so gar nicht nach Trauer gelaunten Bau stammt vom Wiener Büro Delugan Meissl, das zuletzt das EYE Filmmuseum in Amsterdam und das Tiroler Festspielhaus in Erl plante.

»Früher waren unsere Büros auf zwei in die Jahre gekommene Altbauten in der Stadt verteilt«, erinnert sich Florian Keusch, Pressesprecher der B&F. »Die Lage war zwar gut, aber organisatorisch und atmosphärisch waren die Büros für die Mitarbeiter und v. a. für die Kunden nicht mehr zumutbar.« Seit rund einem Jahr ist die neue B&F-Zentrale am Zentralfriedhof nun in Betrieb. Geschäftiges Treiben hat sich eingestellt. Fast erinnert die große Kundenhalle im EG mit ihren schlichten, eleganten Möbeln an ein nobles, gehobenes Reisebüro, das auf luxuriöse Fernreisen ins Paradies spezialisiert ist. So falsch ist diese Assoziation nicht. »Wir haben uns einen hellen, freundlichen Empfangsraum gewünscht«, meint Keusch. »Ein Trauerfall ist unangenehm und schmerzlich genug. Da muss man die Besucherinnen und Besucher nicht auch noch mit schwerer, düsterer Architektur konfrontieren, wie man sie aus diversen Klischee-Bestattungsinstituten kennt.«

Der Fußboden der Zentrale ist aus hellen, gebleichten und gekalkten Eichendielen, die Möbel aus weiß lackiertem MDF, die Wände weiß verputzt beziehungsweise mit Holz beplankt, und an der Decke gibt es 12 Oberlicht-Schlitze, die den großen Empfangsbereich in diffuses Westlicht tauchen. »Mit dieser luftigen, modernen Gestaltung können wir der Trauer vielleicht etwas entgegensetzen.«

Sich wandelndes Fassadenbild

Doch zurück zum Anfang, hinaus auf die viel befahrene Straße. »Ein zentraler Entwurfsgedanke dieses Projekts war, an diesen sensiblen Ort kein konventionelles Bürogebäude zu stellen, sondern den neuen Baukörper in eine übergeordnete, ruhige Form zu fassen«, erklärt Architekt Martin Josst, Partner bei DMAA. Aus diesem Grund sind die oberen zwei Geschosse von der umlaufenden, segmentierten Fassade umgeben, die der äußeren Erscheinung des Gebäudes Rhythmus und Abstraktion verleiht.

Nicht zuletzt ist die Fassade eine Maßnahme, um den Verkehr der angrenzenden Simmeringer Hauptstraße optisch und akustisch auszublenden. Während es sich beim Haus selbst um einen konventionellen Stahlbetonbau in Ortbeton mit Stützen und aussteifenden Wandscheiben handelt, verbirgt sich hinter der umlaufenden Strichcode-Fassade eine Stahlkonstruktion, die als Fachwerk mit biegesteifen Ecken fungiert und mit hellgrauem Alucobond bekleidet ist.

An einer einzigen Stelle, an der die Fassade weit aus der thermischen Hülle hinauskragt, muss der Stahlbau mit einem horizontalen Balken gestützt werden. Die statische Krücke tut dem visuellen Gesamteindruck aber keinerlei Abbruch. »Alucobond hat den Vorteil, dass man das Material knicken und daher auf unschöne Eckfugen verzichten kann«, erklärt Josst den Umgang mit dem Fassadenbaustoff. »Dadurch entsteht ein plastischer Eindruck.« Durchaus von plastischen Ausmaßen ist auch die Wandstärke dieser scheinbar schwebenden Fassade. 50 cm misst der Vorbau an der dicksten Stelle. Genau dieser Kniff ist es, der dem sonst so statischen Bauwerk beim Vorbeifahren oder Vorbeispazieren eine gewisse Dynamik verleiht. Mit dem sich ändernden Blickwinkel variiert auch der Transparenzgrad. Von der Seite gibt sich das Haus hermetisch und abgeschlossen, von vorne betrachtet ergibt sich eine Luftigkeit und Leichtigkeit. Man will sofort hinein. Der Weg zum Haupteingang führt vorbei an zwei holzbekleideten Sitzpodesten, die zugleich als Fahrradständer dienen.

Auf der anderen Seite des Zugangs befindet sich eine Open-Air-Ausstellung mit Grabsteinen, Grabeinfassungen, Blumenvasen und Laternen. Hier wird man wieder in die Realität des europäischen Sterbens und Trauerns zurückgeholt. Totenkult und Architektur passen nicht zusammen, werden auch niemals eine Einheit bilden. »Wir haben dem Bauherrn sogar vorgeschlagen, uns mit dem Thema Sarg oder Grabstein entwerferisch auseinanderzusetzen«, erzählt Martin Josst. »Doch das wurde abgelehnt.« Das Bedürfnis nach einer klassischen, altmodischen Formensprache, hieß es seitens Bestattung & Friedhöfe Wien, sei in dieser Branche nun mal sehr groß.

Hinter der Glasfassade – das gesamte EG ist transparent und ermöglicht Einblicke ins Innere – sieht man bereits das großzügige helle »Nichts« hinausleuchten. Es ist ausgerechnet der Empfangsbereich, der einen etwas unfertigen Eindruck hinterlässt. Die beiden von DMAA entworfenen Sitzbänke im gläsernen Eck des Hauses wirken nicht besonders einladend. Man starrt auf eine große weiße Wand und fühlt sich bald exponiert. Eine etwas »heimeligere« Gestaltung, ja vielleicht Kunst an der Wand würde dem Wartebereich gut tun. Hinter dem großen Kundenraum, in dem behördliche Angelegenheiten wie etwa Grabstättenpflege und Mietverlängerungen abgewickelt werden, befinden sich die Einzelbüros, in die sich die Kunden mit aktuellen Sterbefällen und Bestattungsplanungen zurückziehen können. Holz und weiße Vorhänge verleihen diesem Bereich des Hauses Diskretion und Zurückhaltung. Daneben gibt es einen kleinen Ausstellungsbereich, in dem ein paar Sargmodelle und Urnen ausgestellt sind. Wieder einmal drängt sich die Disharmonie zwischen Diesseits- und Jenseits-Design auf. Auf der anderen Seite der Kundenhalle schließlich befinden sich die verglasten Büros der Gärtner und Steinmetze. Ein wenig, so scheint es, leiden sie unter der zurückhaltenden Farbgestaltung ihres Arbeitsplatzes. Im Gärtnerbüro soll die vorherrschende Schwarz-Weiß-Holz-Ästhetik mit einer knallroten Lavalampe aufgebrochen werden. Eine einläufige Treppe führt hinauf ins 1. OG. Der hölzerne Handlauf und die indirekte Beleuchtung, die in die Treppenwangen integriert sind, sprechen unmissverständlich die Sprache von Delugan und Meissl. Nach 22 erklommenen Stufen ist man bereits unmittelbar vor der Kantine angelangt. Der hölzerne Fußboden zieht sich weiter in den Speisesaal hinein, hinter einer folierten Glasscheibe wird gegessen und getrunken. Räumliche Anordnung und Materialwahl haben einen guten Grund: »Ursprünglich war geplant, diesen Bereich des Hauses auch für Kundenveranstaltungen zu nutzen«, sagt Keusch. »Doch davon sind wir wieder abgekommen. Die logistische und organisatorische Abwicklung hat sich im Alltag als zu kompliziert erwiesen.«

Neben dem Speisesaal liegen zwei Terrassen. Hier spielt das Haus seinen größten Trumpf aus. Als würde man einen Zwischenraum zwischen innen und außen betreten, beginnt man plötzlich, die innere Logik der architektonischen Konzeption zu verstehen. Strichcode-Fassade und schwarzer Bürotrakt sind zwei völlig unabhängige Gebilde, deren Konturen zufälligerweise mal deckungsgleich sind und mal nicht. Dort, wo sich die äußere Schale wie eine Haut von der Architektur löst, ergeben sich spannende Freiräume für einen Aufenthalt an der frischen Luft. Geböschte Sichtbetoneinfassungen trennen den Aufenthaltsbereich von den Hochbeeten. Eine schlichte, elegant detaillierte Holzbank »zischt« durchs Raumkontinuum.

Banalität in den Büros

Gleichzeitig ist dieser Bereich auch die Schnittstelle, an der die Qualität des Projekts bricht – weg vom öffentlichen Vorzeigebau hin zu einem klassischen Bürogebäude mit langen, schmalen Fluren, Zellenbüros, Fensterbandfassade, Doppelboden und gläsernen Türen mit Milchglasstreifen. Die Arbeitsräume sind homogen und uninspiriert. Interessant ist lediglich die haustechnische Komponente: Gekühlt wird das Gebäude mit einer Rückkühlanlage auf dem Dach, geheizt wird mit der Abwärme aus dem benachbarten Krematorium.

Einige Mitarbeiter, die anonym bleiben wollen, vertrauen ihre Meinung dem Mikrofon an: Man arbeite gerne hier, die Architektur sei modern, die Aufgabe sei durch und durch innovativ gelöst. Doch ein Problem macht der sonst so angenehmen Arbeitssituation einen Strich durch die Rechnung: Sonneneinstrahlung und Überhitzung. Die gesamte hofseitige Südfassade des schwarz verputzten Bürotrakts weist keine Doppelglasfassade, keine Hinterlüftung, kein Vordach und keinen außenliegenden Sonnenschutz auf. Das ist nicht nur ein, das ist gleich eine ganze Summe von »No-Gos«. Zeitgemäße Office-Architektur sieht anders aus. Letzten Sommer, so hört man, sei die Überhitzung so hoch gewesen, dass man sich in einigen Büros bereits mit einer stark reflektierenden Sonnenschutzfolie beholfen habe. Ein Trauerspiel. Von dem unvorhergesehenen Gebäude-Tuning wusste man bei DMAA nichts.

Die neue Unternehmenszentrale ist ein inhaltlich und formal überzeugender Zugang zu den Themen Tod und Trauer. Wäre das Thema ethisch nicht schon längst determiniert, könnte man von einem erfreulich spielerischen Ansatz sprechen. Allein, die hohe architektonische Qualität beschränkt sich auf den öffentlichen Bereich, in dem sich das städtische Unternehmen als Mitbewerber auf einem längst liberalisierten, immer stärker umkämpften Markt präsentiert. Hinter den Kulissen regiert die Normalität mit all ihren Sympathien und Problemen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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