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Turm mit Hüftschwung
Der Standard

Am Mittwoch wird der neue Aussichtsturm auf dem Pyramidenkogel eröffnet. Endlich mal wieder ein Stück Architektur in Kärnten, das Rumba und Samba tanzt.

15. Juni 2013 - Wojciech Czaja
Rutschsack, Adrenalin, und los. 22 Sekunden dauert die Fahrt. Ein paar Stellen gibt's, da muss man sogar schreien. Wie aus der Waschmaschine geschleudert, wird man unten wieder ausgespuckt und torkelt von dannen. Und dann das Ganze nochmals.

„Es zischt nur so, und die Zentrifugalkräfte sind echt faszinierend“, sagt Dietmar Kaden. Ein leichter Drehwurm sei nicht zu vermeiden. Gemeinsam mit seinem Kollegen Markus Klaura entwarf der Klagenfurter Architekt den neuen Aussichtsturm auf dem Pyramidenkogel mit wunderbarem Blick auf Klagenfurt, Wörthersee und Velden. Die Rutsche, ein Kunstprojekt von Hanno Kautz, ist mit 51 Meter Fallhöhe und 160 Meter Länge aber bei weitem nicht der einzige Kick.

Die Eckdaten: Holztragwerk, 441 Stufen bis zur Aussichtsterrasse, 100 Meter bis zur Antennenspitze. Damit ist das neue Wahrzeichen am Wörthersee, das die Besucher schon von weitem mit einem heißen Hüftschwung begrüßt, der derzeit höchste Holzaussichtsturm der Welt. „Es ging nicht darum, einen neuen Rekord aufzustellen“, erklärt Kaden. „Es ging darum, der Welt zu zeigen, was man mit diesem nachwachsenden Rohstoff dank Vorfertigung und neuer Technologien alles machen kann. Holz ist ein absolut konkurrenzfähiges Produkt. Für mich persönlich ist Holz der Werkstoff des 21. Jahrhunderts.“

Das sieht der Keutschacher Bürgermeister Gerhard Oleschko (FPK) genauso. Er ist derjenige, der den Abbruch des alten Aussichtsturms (1968, Architekt Gustav Wetzlinger) forcierte und sich für einen Neubau aus Holz einsetzte. „Beim alten Betonturm gab es immense Wasserschäden in den Hohlkammern der Aussichtsplattform, es hatten sich bereits Risse gebildet, und wir hatten keine Betriebsgenehmigung mehr“, sagt Oleschko im Gespräch mit dem STANDARD. „Eine Sanierung wäre zwar technisch möglich gewesen, doch das Projekt hätte sich betriebswirtschaftlich niemals gerechnet.“

Der Grund: Der alte Turm hatte keine ausreichenden Fluchtmöglichkeiten, die der aktuellen Norm entsprechen, war nach heutigen Anforderungen we-der erdbebensicher noch barrierefrei, und die Aufzugs- und Funktechnik war auch nicht mehr die jüngste. Rund sechs Millionen Euro hätte die Sanierung gekostet. „Erstens hätte das Bauwerk viel von seiner Schlankheit und Eleganz eingebüßt, und zweitens ist ein wiederaufgewärmtes Projekt auch nicht das Gleiche wie ein attraktiver Neubau“, so Oleschko. Von der fehlenden Rutschpartie ganz zu schweigen.

Jahrelanges Polit-Hickhack

Obwohl der Wettbewerb schon 2007 ausgeschrieben worden war, lag das Projekt lange Zeit auf Eis. Hypo Alpe Adria, Landesverschuldung und ein politisches Hickhack zwischen FPK, SPÖ, ÖVP und Grünen hätten das Bauvorhaben fast zu Fall gebracht. Zudem war die Finanzierung nicht geklärt. Die Opposition befürchtete, die Gemeinde Keutschach könnte sich mit dem Bau des Turms in ein Schuldenloch stürzen.

Schließlich wurde das Budget für das Projekt „Pyramidenkogel neu“ von ursprünglich zehn auf nunmehr acht Millionen Euro eingedampft (und mit ihm der Turm, der mit der Budgetkürzung niedriger und schlanker wurde), wobei 51 Prozent von der Kärntner Tourismus-Holding (KTH), einer 100-prozentigen Landestochter, und 49 Prozent von der Gemeinde selbst getragen werden.

Im Oktober 2012 wurde der alte Turm mit 40 Kilogramm Sprengstoff ins Jenseits befördert und machte auf diese Weise Platz für seinen fast doppelt so hohen Nachfolger. Damit waren sämtliche Fraktionen einigermaßen happy. Bis jetzt. Wie die Kleine Zeitung kürzlich berichtete, wollen die SPÖ-Gemeinderäte und ihre grünen Kollegen bei der Gemeindeaufsicht nun Anzeige gegen den Bürgermeister einbringen. Sie kritisieren Nebenkosten in unbekannter Höhe.

„Ich finde es furchtbar, dass der neue Turm auf dem Pyramidenkogel blau verbrämt ist und auf dem Fundament eines jahrelangen politischen Streits errichtet werden musste“, meint Architekt Markus Klaura. „Denn lieber als auf die nicht ganz so glückliche Entstehungsgeschichte würde ich mich darauf konzentrieren, dass uns allen letztendlich ein wunderbares, innovatives Pilotprojekt gelungen ist, das den Holzbau nicht nur in Österreich, sondern europaweit vorantreiben könnte.“

Wir leisten diesem Wunsch Folge. Insgesamt wurden rund 500 Kubikmeter Lärchenholz verbaut. 16 Steher mit einem Querschnitt von 114 mal 32 Zentimetern scheinen den Turm zum Tanzen zu bringen. Die bis zu 27 Meter langen Holzleimbinder wurden zur Gänze im Werk vorgefertigt und mussten vor Ort nur noch mittels eines eigens entwickelten Epoxidharzes zusammengeklebt und zusammengeschraubt werden. Sie sind zur Gänze für die Lastabtragung verantwortlich. Die elliptischen Stahlringe, die den Turm zusammenhalten, und die Diagonalen dienen lediglich der Aussteifung.

Turm ohne Phallus-Symbolik

„Der Turm wirkt zwar organisch und amorph“, erklärt der zuständige Tragwerksplaner Markus Lackner, der mit der großen Tiroler Architekturlegende Josef Lackner nicht nur den Namen, sondern auch den Stammbaum teilt, „doch tatsächlich verbirgt sich dahinter ein sehr klares, geometrisches Konzept, das viele Wiederholungen aufweist und somit eine clevere und kostensparende Fertigung von immer gleichen Elementen ermöglichte.“

Für Freunde der Mathematik: Beim Grundriss des Turms handelt es sich um eine 18 mal 10 Meter große Ellipse, die sich alle sechs Höhenmeter um 22,5 Grad im Uhrzeigersinn dreht. Die Höhenmarken sind anhand der stählernen Ellipsenringe leicht erkennbar. Oben angelangt, hat der Turm eine Drehung von insgesamt 225 Grad vollzogen - etwas mehr als ein Halbkreis, fünf Achtel, um genau zu sein. Das Resultat ist eine sich in den Himmel schraubende Skulptur, die ihre stringente geometrische Logik hinter einem Schuss erotischer Emotion zu kaschieren weiß.

„Es gibt so viele phallische Türme auf der Welt, die allesamt Symbole männlicher Macht sind“, erklärt Dietmar Kaden, der sich bei der Planung des Pyramidenkogels nicht nur als Architekt, sondern auch als Bildhauer sieht. „Doch hier ist es gelungen, einem hundert Meter hohen Turm erstmals etwas Weiches, etwas Weibliches zu verleihen. Ein Aussichtsturm, der Rumba und Samba tanzt, wo hat man das schon?“

Von den fürwahr maskulinen Kraftanstrengungen während der Montage, von der sportlichen Bauzeit von nur vier Monaten, davon nur eine ganze Woche niederschlagsfrei, und vom 60-Tonnen-Autokran, der bei Schneegestöber in mulmiger Mission die Holzelemente an den dafür vorgesehenen Platz bugsierte, ist heute nichts mehr zu spüren. Mulmig ist einem dennoch zumute. Die Konstruktion ist luftig, und das Lochblech unter den zittrigen Füßen trägt zur Desensibilisierung der Höhenangst nur bedingt bei.

Aufschwung für Holzwirtschaft

Während der alte Pyramidenkogelturm zuletzt nur noch 90.000 Besucher pro Jahr hatte, gehen die Wirtschaftlichkeitsberechnungen nun von 100.000 bis 120.000 Besuchern aus. Bürgermeister Gerhard Oleschko spricht gar von 150.000 Pyramidenkogelfans. Die Zukunft wird weisen, ob der Groll der Opposition berechtigt ist oder nicht.

Doch die größte Freude gilt der Holzwirtschaft. Mit dem neuen Aussichtsturm, der unter Fachleuten schon jetzt für Aufsehen sorgt und das Büro Klaura und Kaden nebenbei in den Architektur-olymp katapultiert hat, könnte der Holzbau einen Aufschwung erleben. Laut Institut für Waldinventur beträgt der Waldanteil in Österreich rund 48 Prozent. Der Holzanteil in der Bauwirtschaft beträgt, bezogen auf das gesamte Neubauvolumen, 18 Prozent. Da gibt's noch viel Luft nach oben.
[ Am 19. Juni wird der Aussichtsturm auf dem Pyramidenkogel feierlich eröffnet. Der reguläre Eintritt beträgt € 10,50. ]

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