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Betrachtungen zur kulturellen Konstruktion des Blickes (1)

1. April 2000 - Verena Winiwarter
Kaum ein Medium kann auf eine solche Erfolgsgeschichte verweisen wie die Ansichtskarte. Die Landschaftsbilder auf den Karten sind sorgfältige Konstruktionen, wenn auch die Prinzipien der Konstruktion weder bei den KäuferInneN wie bei den HerstellerInneN reflektiert werden. Die abgebildeten Landschaften dienen heute als Vermittler zwischen den touristischen Erwartungen und der Realität des Reisens. Dreck, Regen, Verkehrslawinen und Stau vor Sehenswürdigkeiten oder beim Schilift, Landschaftszerstörungen gleich neben der Piste, moderne Bauten in „malerischen“ Vierteln, all das lassen die Postkarten sorgfältig aus. Wenn der Tourist eine Karte nach Hause schickt, kann sie als Erfolgsmeldung über den realisierten Traum gelten, der sich dabei durchaus nach der jeweiligen Mode richtet. Inzwischen sind auch Ansichtskarten zielgruppenspezifisch, vom Enkerl, das der Oma schreiben will, bis zum DJ, der seiner Fangemeinde in die heimatliche Disco einen Gruß vom Schneesurfen zukommen lassen will, jeder wird adäquat bedient.

Touristische Wahrnehmung und die damit verbundene Anspruchshaltung ist vermutlich eine bislang eher unterschätzte Kraft im Prozeß der touristischen Umgestaltung von Landschaften in Touristenparks. Denn der Erfolg eines Gebietes hängt entscheidend davon ab, wie sehr es den ManagerInneN vor Ort gelingt, die Erfüllung der Träume ihrer Gäste zu gewährleisten, auch wenn sie diese, so gut es geht, lenken. Durch konstruierte Landschaftsbilder auf Postkarten wird touristische Wahrnehmung gesteuert, die touristische Erwartungen verstärkt, welche sich letztlich in Bulldozer und Pistenraupen verwandeln können.
Der wissenschaftliche Kontext

Landschaftswahrnehmung ist kulturell konstruiert. Mit der Konzentration auf eine einzige Form dieser Konstruktion, nämlich die (Ansichts-)Postkarte, gelingt es, die Mechanismen der Produktion und des Konsums von Landschaft tiefergehend zu analysieren. Ansichtskarten sind Medium in einem Kommunikationssystem, das aus FotografInnEn, VerlegerInneN, VerkäuferInneN, KäuferInneN (=SenderInneN) und AdressatInnEn besteht. In einem zweiten ökonomischen Kreislauf, der grundsätzlich anderen Prinzipien unterliegt, ist die Ansichtskarte als Sammelobjekt von dem abgebildeten Ort nahezu unabhängig noch einmal im Umlauf. Systematische Arbeiten zu diesem Thema wurden im Rahmen eines in den Zolltexten bereits referierten Projekts des Forschungsschwerpunkts „Kulturlandschaftsforschung“ unternommen (vgl. STROHMEIER, 1999), sie liegen in Form eines Endberichts (vgl. BÈKÈSI, WINIWARTER, 1998) und einiger kleinerer Beiträge aus dem Umfeld des Projekts vor (vgl. BÈKÈSI, 1998, WINIWARTER, 1997). Sandor Bekesi hat seine Ideen zu einer Wahrnehmungsgeschichte auch in seiner akademischen Abschlußarbeit weiterentwickelt (vgl. BÈKÈSI, 1998). Die hier in der Folge gemachten Bemerkungen sind meine Fortsetzung der gemeinsamen Projektarbeit.

Zur Erfolgsgeschichte der kleinen Bilder

Postkarten mit Bildern, wie wir sie heute kennen, haben sich in der Zeit nach 1890 entwickelt. In ihrer ersten Erfolgsgeschichte finden wir sie als das „Telefon des kleinen Mannes“. Zu einer Zeit, in der die Post mehrmals täglich ausgetragen wurde, dienten sie der lokalen Vereinbarung von Terminen und ähnlichem. Das Telefon hat die Postkarte zwar aus dem lokalen Benachrichtigungsbereich verdrängt, aber der Massentourismus hat die Postkarte als sein wesentliches Medium übernommen. Damit setzt die zweite Erfolgsgeschichte ein. Die Verbreitung der Heimfotografie macht die Karte nicht unnötig, verändert allerdings ihre Bildinhalte. Tendenziell wird die Abbildung von Sehenswürdigkeiten unwichtiger, der Bildwitz und die globale Karte, letztere durchaus auch wegen der zunehmenden Konzentration im Ansichtskartenverlagswesen, gewinnen an Boden (vgl. Abb. 1). Postkarten hatten in den 50er und 60er Jahren unseres Jahrhunderts in den sich neu touristisch definierenden Gegenden die Aufgabe, durch Abbildung und Vervielfältigung Sehenswürdigkeiten zu etablieren. Heute, wo die kollektive Organisation individueller Besonderheit im Reiseverkehr dominiert, wie Hennig (HENNIG, 1997: 21) ausführt, ist die zielgruppenspezifisch vielfältige Repräsentation von touristischer Landschaft eine institutionalisierte Möglichkeit der individuellen Handlung im Kollektiv. Alle schreiben Postkarten, aber jede/r kann sich seine/ihre eigene aussuchen.
Die Art der Mitteilungen hat sich geändert, die Funktion der Postkarte hat sich ebenso verändert wie das Herstellungsverfahren, die Struktur der Produktion und die Motive, doch der Erfolg der Postkarte kann getrost als ungebrochen gelten.

Touristische Wahrnehmung und die Rolle der Postkarte

Heute ist die Ansichtskarte nach wie vor „das“ Medium der Kommunikation zwischen den TouristInnEn und ihren sozialen Bezugsgruppen zu Hause. Die soziale Bezugsgruppe ist es auch, nach der die Karten ausgewählt werden. Großmütter bekommen andere Karten als die ArbeitskollegInnEn eines Schreibers/einer Schreiberin, dies kommt zu den individuellen Vorlieben oft noch dazu, sieht man von den Freizeit- und Schreibeprofis ab, die nur ein Motiv kaufen, weil die AdressatInnEn einander nicht kennen und die Karten sowieso nicht vergleichen könnten.

Die Karte vermittelt aber nicht nur zwischen dem Reisenden und daheim, sie vermittelt vor allem zwischen der örtlichen Realität und den durch Reiseprospekte, Reiseführer, Videos und Fernsehsendungen verbildlichten Träumen von einem Ort. Eine wesentliche Rolle für die touristische Wahrnehmung spielt das Wetter, dessen Launen erst in virtuellen Welten wie der geplanten „Stronach-Kugel“ wirklich beizukommen ist. Das sprichwörtliche „Postkartenblau“, die ewigliche Sonnenidylle, die das „Kaiserwetter“ unserer Großeltern abgelöst hat, ist eine Folge der Position der Postkarte am Rande des Traumes.
Diese Traum-Bilder zu analysieren, ist nicht ohne trainierten Blick auf den Forschungsgegenstand möglich. Im Rahmen des Projekts „Kulturlandschaft im Kopf“ hat Sandor Bèkèsi über 500 Ansichtskarten nach einem systematischen Raster beschrieben, der nicht nur Vergleichbarkeit, sondern auch eine Wahrung des Abstands zum Bild gewährleisten sollte. Die Ergebnisse der Auswertung der beiden untersuchten Orte Kitzbühel und Eisenerz liegen, wie erwähnt, als Projektbericht vor (vgl. BÈKÈSI, WINIWARTER, 1998). Vieles an einer Postkarte hängt nicht am eigentlichen Motiv, sondern am Ambiente, an der Stimmung des Himmels, an der grafischen Gestaltung der Karte, an eingefügten Symbolen und Beschriftungen, am Format und an der Beziehung der Karte zum „üblichen“ Bild eines Ortes (vgl. Abb. 2 und 3).

Einige wichtige grafische Formen, die auf Postkarten Verwendung finden, sollen in der Folge vorgestellt werden. Dabei sei ein Hinweis auf die Kartenrückseite gestattet. Postkarten sind zweiseitig, und die erklärenden Texte der Rückseiten gelegentlich erst Schlüssel zum Verständnis. Die Rückseitentexte sind daher in einigen Fällen als Bildunterschriften der Abbildungen wiedergegeben.

Der Rahmen: Rahmen sind mehrdeutige grafische Mittel: Sie machen Landschaft klein und signalisieren in der Umkehr der Größenverhältnisse auch eine Bedeutungsumkehr. Sie machen Landschaft aber auch austauschbar, ordnen sie den touristischen Bedürfnissen unter und stilisieren sie gleichzeitig zum Kunstprodukt (was diese Landschaften oft längst sind). Die Rahmen haben eine lange Geschichte, wir kennen Postkarten mit Rahmen schon seit dem Beginn dieses Jahrhunderts, und die Rahmensetzung boomt nach wie vor. Der Rahmen umschließt im gezeigten Fall, wie die Rückseite verrät, ein „Motiv“, auch dies eine signifikante Zuweisung (vgl. Abb. 4).

Das Landschaftsmosaik: Die Mosaikkarte zerstückelt die Fläche der Karte in mehrere, oft sogar viele Teile. Neben dem praktischen Verkaufseffekt, daß eine solche Karte an vielen Orten abgesetzt werden kann, ermöglichen diese Karten auch die Überwindung der natürlichen Grenzen visueller Wahrnehmung von Landschaft. Sie machen den synchronen Blick möglich und helfen auch so, die Menschen über die Landschaft zu (er-)heben (vgl. Abb. 5).

Die Schipisten – Langlaufloipen - Wanderwege Karte: Ob in rot, schwarz oder blau, ob mit Strichen, Ringen oder Pfeilen, aus einem Foto mit Ortsansicht und Berg wird mit Hilfe der Druckerpresse ein operationales Landschaftsbild, das seine Benutzungsanleitung gleich mitliefert (vgl. Abb. 6).

Die benannten Berge: Berge haben Namen und Seehöhen, erst das macht sie zu touristisch interessanten Objekten, und auch diese Form der Aneignung bietet für die Fremden eine Möglichkeit, es den Einheimischen nicht nur gleichzutun, sondern sie gar zu übertreffen. Daneben ist das Panorama von oben eine Fortsetzung des herrschaftlichen Blicks der fürstlichen und königlichen Vogelschau auf die eigenen Ländereien, und nicht umsonst sind Flugaufnahmen von ungebrochener Beliebtheit als Kartensujet, seit die ersten Flugzeuge überhaupt Kameras mitnehmen konnten.
Menschen vor Landschaft: Das Trachtenpärchen und die schöne Sennerin, der starke Bergfex oder der aus den Wellen entsteigende Adonis (zu allem gibt es Beispiele in der Sammlung der Autorin): Die intime Verbindung, die zwischen Landschaften und ihren BewohnerInneN hergestellt wird, macht diese zum Teil des touristischen Angebots. Kein Wunder, wenn Tourismus und Regionalkultur in einem Sammelband der Volkskunde (PÖTTLER, 1994) erst jüngst wieder in ihrer problematischen Verbindung analysiert wurden (vgl. Abb. 7).

Symbolische Aufladung: Nicht nur die Innsbrucker Nordkette, über der auf einer Karte aus dem Jahr 1938 das Hakenkreuz schwebt, sondern auch die Ausstattung von Karten mit der alpinen Blumentrikolore aus Edelweiß, Almrausch und Enzian ist als symbolische Aufladung zu bezeichnen. Die Anreicherung der Landschaft mit Symbolen macht sie zur Trägerin von Ideologie, aber auch austauschbarer, die durch Blumen als solche gekennzeichneten „Alpen“ müssen vor allem eines sein: typisch, nicht aber besonders. So arbeiten die Karten wie die Tourismusindus-trie auch an ihrer eigenen Konkurrenz: Wenn erst einmal kein Unterschied mehr erfahr- und wahrnehmbar ist, dann wird es zunehmend egal, wohin eine/r fährt.
Mit den oben kurz beschriebenen und anderen grafischen Veränderungen werden aus Fotos von Landschaften Postkarten, und es erübrigt sich fast festzustellen, daß die nachträgliche Veränderung des Bildes („die Retusche“) seit Beginn des Mediums dazugehört, ob es sich um Alpenglühen, drucktechnische Blauung des Himmels oder um die Veränderung signifikanter Teile der Landschaft handelt.

Landschaft, Tourismus und Postkarte – eine Dreiecksgeschichte

Bildpostkarten sind als kulturell geformte und überformte Blicke auf Landschaft Teil des kollektiven Bildinventars touristischer Wahrnehmung. Sie sind aber auch ein Werkzeug zur symbolischen Aneignung von Landschaft. Bildpostkarten sind operationale Bilder, die den Gebrauch der Landschaft als Kulisse oder wie Hennig meint (HENNIG, 1997) als Bühne für Urlaubsaktivitäten ermöglichen und fördern. Ihre Stellung an der Grenze zwischen Traum und Realität verleiht ihnen eine wichtige Funktion im Leben der TouristInnEn und auch landschaftsveränderndes Potential: Die Bildproduktion ist Teil der Tourismusindustrie, die kollektiv machbare individuelle Träume verspricht und dafür reale Landschaften touristisch zurichtet, sowohl durch Retusche und Reproduktionsprozesse in medialen Bildern als auch im konkreten Landschaftsbau, ob es nun pittoreske Ferienhäuser oder gleich ganze Themenparks sind, deren Abbildung dann die Realität wieder in den Status des Traumhaften erhebt. Die Wiederherstellung des so produzierten kollektiven Traumes in der individuellen touristischen Realität ist Teil erfolgreicher Freizeit- und Urlaubsgestaltung. Wolfgang Kos hat von „Moden“ der Landschaftsdarstellung gesprochen (vgl. KOS, 1995). So wie die Bekleidungsindustrie in einem Zyklus von Herstellung kollektivierbarer individueller Ausdrucksformen und ihrer Ablösung durch neue Formen von Saison zu Saison neue Menschenbilder erzeugt und fordert, so ist die Tourismusindustrie in einem Zyklus der Herstellung von Sehenswürdigkeit und Neuigkeit mit der Herstellung immer neuer Landschaftsbilder beschäftigt.

Die Ansichtskarte baut heute auf den Möglichkeiten der Fotografie auf, und was über diese zu sagen ist, gilt in verstärktem Maße für die daraus hergestellten Produkte. Dies hat insbesondere für die Frage des „Ansehens“ (im Sinne von „schauen“) von Postkarten Gültigkeit. Was Nancy Leys Stepan über die Fotografie sagt, trifft ebenso für Postkarten als Teil des Universums touristischer Repräsentation von Realität zu:
„Fotografien sind immer Repräsentationen der Welt, genauso wie sie Abbildungen sind. Die Auswahl von Objekten für die Fotografie, die Rahmung, das Licht, die Konventionen wie etwa „pittoresk“, die zur Repräsentation benutzt werden; das Verhältnis des Fotos zu anderen Fotos sowie zu anderen Zeichensystemen in der Vergangenheit und in der Gegenwart, alles hat Anteil daran, wie Fotografien angesehen werden.“ (von der Autorin übers. aus: STEPAN, 1994).

Die Erschaffung von Sehenswürdigkeiten hat die „Sehensunwürdigkeit“ als Nebenwirkung. Das Verhältnis des Abgebildeten zum Nicht-Abgebildeten schafft Landschaftsabfall zwischen den einer Besichtigung würdigen Teilen. Damit wird ein Netz von durch Betonpisten miteinander verbundener und durch Parkplätze „erschlossener“ Orte gefördert, das immer konzentrierter und vom realen Umfeld immer abgehobener die Traumbedürfnisse der TouristInnEn erfüllt. Dazu kommt noch, daß der Themenpark – in den USA und etwa auch in Dänemark längst klassisches Urlaubsziel – touristische Bedürfnisse zunehmend virtuell befriedigt. Damit werden ästhetische Kriterien für den Schutz der jeweiligen Einmaligkeit real existierender Landschaften langsam, aber sicher untergraben. Die Botschaft der Ansichtskarten läßt sich in polemischer Überspitzung lesen als eine Botschaft über Landschaften als transportabel, als verformbar, anpaßbar, nutzbar und letztlich auch wegwerfbar. Die symbolische Herrschaft über die Landschaft, wie sie in Mosaikkarten und Luftaufnahmen zum Ausdruck kommt, ist Abbild, Sinnbild und Folge des industriegesellschaftlichen „anything goes“. Landschaften sind für den Tourismus eine unverzichtbare Ressource, wie der Chef einer der größten Reiseveranstalter in einem Interview mit „Die Zeit“ auch formulierte, ohne allerdings auf die visuelle Ressource „Landschaft“ einzugehen:

Zeit: „Der Ferienboom bringt mehr Verkehr, mehr Flächenverbrauch, mehr Abfall und einen großen Druck auf sensible Landschaften mit sich. Bleibt die Umwelt auf der Strecke?“

Natur: „Eine heile Natur ist die Basis für einen funktionierenden Tourismus. Die TUI hat als erster Großveranstalter ein professionelles Umweltmanagement eingeführt. Auch konzernübergreifend haben wir uns das Thema Umwelt auf die Fahnen geschrieben“ (CORSTEN, 1999).
In der „heilen Natur“ ist die Ästhetik nur implizit. Wenn Landschaften in marktgängige Ressourcen verwandelt werden, so geschieht das im Bild wie im Realen. Die „heile Natur“ ist dann womöglich „Natur aus zweiter Hand“, in der die Geschichte der kulturellen Präferenzen, Moden und Aneignungen eingeschrieben ist, wie jene des Bergbaues oder der Schwerindustrie.

Zum Schluß

Diese Analyse setzt ProduzentInnen wie KonsumentInnen von Postkarten leicht in die „böse Ecke“; damit ist niemandem gedient. Touristisches Reisen erfüllt eine gesellschaftliche Funktion, wie sie Christoph Hennig in seiner unter dem Titel „Reiselust“ verfaßten Analyse der modernen Urlaubskultur exzellent herausgearbeitet hat (vgl. HENNIG, 1997). Die zentrale Rolle, die Postkarten dabei spielen und die in seinem Buch keine entsprechende Würdigung erfährt, sollte hier dargestellt werden. Mehr als zu einem bewußteren Umgang mit den allgegenwärtigen Karten anzuregen, kann ein solcher Beitrag nicht anstreben. Allen Reisenden (und wer ist das heute nicht) seien schlußendlich noch einige Anbote zum Weiterdenken gemacht, die an Hennig anschließen.

Postkarten sind moderne Märchen. Sie erzählen Bildgeschichten darüber, wie es einmal war und ist, darin sind sie zeitlos. Sie spielen in einer uns bekannten Welt, deren Teile sie als Versatzstücke ihrer Erzählung brauchen, mit diesen Ausrüstungs- und Einrichtungsgegenständen erzählen sie aber ihre ganz eigene, ganz besondere Geschichte. Ebenso wie der Tourismus das Ventil für die überschüssigen Symbole geworden ist und darin das Fest und auch den Karneval in seiner ursprünglichen Bedeutung einer verkehrten Welt abgelöst hat, so sind die Ikonen des Tourismus, die Ansichtskarten, Ventile für den gesellschaftlichen Überschuß an Träumen und Symbolen, moderne Bildmärchen, deren Erfolgsgeschichte deshalb noch lange weitergehen wird.

Die Märchen der Brüder Grimm und ihrer Zeitgenossen haben die Kinderzimmer des Bürgertums vor hundert Jahren mit Phantasie aufgeladen. Sie haben Kinder wie Erwachsene dazu eingeladen, ihre jeweilige Realität mit individuellen Ausformungen der kollektiven Phantasie anzureichern. Märchen dienten nicht der Auflehnung, sie konnten und sollten transformiert werden in individuelle Entwürfe des kollektiv Akzeptierten. In gleicher Weise setzen uns Ansichtskarten auf die touristische Schiene. Auch die modernen Märchen des Tourismus wirken im Sinne der Konformität. Ausbruchsversuche sind in der Vielfalt der Angebote für alle Zielgruppen immer schon einkalkuliert.

Dr.phil. Verena Winiwarter geboren 1961 in Wien, ist Umwelthistorikerin und arbeitete in den letzten Jahren an interdisziplinären Projekten im Forschungsschwerpunkt „Kulturlandschaftsforschung“ des bm:wv mit. Ab 1.2.2000 beschäftigt sie sich als Inhaberin einer Hertha-Firnberg-Nachwuchsstelle des FWF am Institut für Anthropologie der Universität Wien mit interdisziplinärer Wissenschaftstheorie im Grenzbereich Biologie/Geschichtswissenschaft.

1 Die ersten Forschungsarbeiten zu Ansichtskarten als Medium touristischer Aneignung von Landschaft wurden von der Autorin gemeinsam mit Wolfgang Tobisch im Auftrag des bm:wv, Abteilung für gesellschaftsbezogene Forschung durchgeführt. Die weiteren Forschungsarbeiten, aus denen der Beitrag schöpft, wurden im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Kulturlandschaftsforschung ebenfalls im Auftrag des bm:wv geleistet. Dafür ein Danke an Sandor Bèkèsi für die Zusammenarbeit. Alle abgebildeten Ansichtskarten stammen aus der Sammlung der Autorin.

Literatur:
BÈKÈSI, S. (1998) Die Aneignung von Landschaft im Bild: wahrnehmungsgeschichtliche Untersuchung zum Popularmedium Ansichtskarte am Beispiel von Neusiedler See - Seewinkel. Ungedr. Dipl.Arb. Wien.
BÈKÈSI, S. (1998): Der Seeblick. Historische und aktuelle Landschaftsbilder vom Neusiedler See. In: Zolltexte Nr. 1/1998, S. 38-42.
BÈKÈSI, S., WINIWARTER, V. (1998): IFF Raum und Ökonomie, Forschungsschwerpunkt Kulturlandschaft: Kulturlandschaft im Kopf. Forschungsbericht an das BMWV zum Forschungsprojekt „Kulturlandschaft im Kopf“. Dieser Projektbericht kann gegen Ersatz der Vervielfältigungskosten am IFF, Abteilung Raum und Ökonomie bezogen werden. Da das IFF derzeit in Übersiedlung begriffen ist, hier die e-mail Adresse roswitha.pogner@univie.ac.at als konstanteste Möglichkeit der Erreichbarkeit für etwaige Bestellungen.
CORSTEN, R.,(1999): (Chef der HTU -Reisegruppe) In: Die Zeit Nr. 30/22.Juli S. 48. Interview.
HENNIG, C. (1997): Reiselust. Touristen, Tourismus und Urlaubskultur. Frankfurt a. M.
KOS, W. (1995): Imagereservoir Landschaft. Landschaftsmoden und ideologische Gemütslagen seit 1945. In: SIEDER, R., STEINERT, H., TALOS, E. (1995) Österreich 1945-1995. Gesellschaft Politik Kultur. Wien.
PÖTTLER, B. (Hg.) (1994): Tourismus und Regionalkultur. Referate der österreichischen Volkskundetagung 1992 in Salzburg. Wien.
STEPAN, N.L. (1994): Photographing Medicine in Brazil, Bull.Hist.Med. 68 S. 141.
STROHMEIER, G. (1999): Kulturlandschaft im Kopf. Wahrnehmung und Bild österreichischer Landschaften. In: Zolltexte Nr. 1/1999, S. 37-40. Wien.
WINIWARTER, V. (1997): Alpenblumengrüße. In: Oberösterreichische Umweltakademie beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung (Hg.) (1997): Wo i leb ... Kulturlandschaften in Österreich. Katalog zur Ausstellung. Linz.


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