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Ein Haus fürs letz­te Stünd­lein
Der Standard

Auf der Pal­lia­tivs­ta­ti­on im Kli­ni­kum Kla­gen­furt ist ein Gar­ten­pa­vil­lon ent­stan­den. Hier sol­len die Pa­ti­en­ten noch ein­mal der Na­tur na­he sein kön­nen. Un­ge­wöhn­lich: Das ge­sam­te Pro­jekt wur­de von Stu­den­ten ab­ge­wi­ckelt.

2. Januar 2016 - Wojciech Czaja
Ein­mal noch die Son­nen­strah­len auf der Haut spü­ren. Ein­mal noch die Re­gen­trop­fen pras­seln hö­ren. Ein­mal noch den Schnee rie­chen. „So ein­fach kann ein letz­ter Wunsch sein“, sagt Bar­ba­ra Traar, Vor­stand des Ver­eins Pal­lia­tiv Kärn­ten. „Wir be­glei­ten die Men­schen auf ih­rem letz­ten Le­bens­weg, in ih­ren letz­ten Wo­chen und Mo­na­ten, und be­mü­hen uns, ih­nen ei­nen an­ge­neh­men, schmerz­frei­en Ab­schied zu er­mög­li­chen. Im be­sten Fall be­rei­ten wir die Pa­ti­en­ten da­rauf vor, nach Hau­se zu ge­hen und im Krei­se der Fa­mi­lie zu ster­ben.“

Aber manch­mal, da kommt der Tod auch frü­her. Und ja, er kommt ins Kran­ken­haus. Ins Kli­ni­kum Kla­gen­furt zum Bei­spiel. In den Sieb­zi­ger­jah­re-Bau in den drit­ten Stock, um ge­nau zu sein, dort, wo sich die Pal­lia­tivs­ta­ti­on be­fin­det, wo sich un­heil­bar kran­ke Men­schen da­rauf ein­stel­len, in Be­glei­tung von The­ra­peu­ten und Psy­cho­lo­gin­nen aus dem Le­ben zu schei­den. Mit Ne­on­licht, ab­ge­häng­ter De­cke und au­to­ma­ti­sier­ter Luft­um­wäl­zung. Es stinkt nach Des­in­fek­ti­ons­mit­tel. Im neu­en, klei­nen Holz­pa­vil­lon, ein paar Me­ter nur vom Ne­ben­ein­gang der Pal­lia­tivs­ta­ti­on ent­fernt, kann man dem ho­spi­ta­len All­tags­ap­pa­rat für ei­ne Wei­le ent­flie­hen.

An­fang De­zem­ber wur­de der Pa­vil­lon fer­tig­ge­stellt und in Be­trieb ge­nom­men. Ge­plant und er­rich­tet wur­de der 65 Qua­drat­me­ter gro­ße Bau von Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten der Fach­hoch­schu­le Kärn­ten in Spit­tal an der Drau. Zwölf Ent­wür­fe wur­den zu Be­ginn an­ge­fer­tigt. In ei­nem zweis­tu­fi­gen Ver­fah­ren wur­de das Spek­trum erst auf vier, dann auf ein ein­zi­ges Pro­jekt re­du­ziert. Der Ent­wurf von Da­ni­ela Pa­nos­ka und Mi­cha­el Pal­le schließ­lich wur­de in die Tat um­ge­setzt – vom er­sten Strich bis zur letz­ten fest­ge­zo­ge­nen Schrau­be.

Zu ver­dan­ken ist die­ser un­ge­wöhn­li­che Pla­nungs­pro­zess der Ini­tia­ti­ve der Kärnt­ner Lan­des­kran­ken­an­stal­ten-Be­triebs­ge­sell­schaft KA­BEG so­wie dem Ver­ein Pal­lia­tiv Kärn­ten. „Ich sa­ge ganz ehr­lich: Wir fi­nan­zie­ren uns über Spen­den­gel­der, und ei­nen fer­tig aus­ge­bil­de­ten Ar­chi­tek­ten hät­ten wir uns ein­fach nicht leis­ten könn­ten“, so Traar. „Das war zu Be­ginn der Haupt­be­weg­grund, mit un­se­rem Wunsch an die FH her­an­zu­tre­ten. Heu­te kann ich sa­gen, dass das ei­ne sehr gu­te Ent­schei­dung war, denn die Stu­die­ren­den wa­ren en­ga­giert, ha­ben die Bau­auf­ga­be sehr ernst ge­nom­men und wa­ren in der La­ge, sich in die Si­tua­ti­on der Pal­lia­tiv­pa­ti­en­ten hin­ein­zu­ver­set­zen.“

Ver­ti­ka­le Lat­ten aus frisch ge­schnitt­ener Lär­che. Sä­ge­rau. So rau, dass man sich ei­nen Schie­fer ein­zie­hen kann, wenn man zu schnell über die Ober­flä­che streicht. Na­tur halt. Es riecht wie auf dem Holz­platz, be­son­ders die­ser win­ter­li­chen Ta­ge, da die Luft feucht und ne­be­lig ist und die Har­ze und ät­her­ischen Öle leicht in die Na­se auf­stei­gen. Es ist, nach all den Ta­gen hoch oben im drit­ten Stock, ein Rausch der Sin­ne.

Die schräg ver­dreh­te La­ge der La­mel­len blen­det das häss­li­che Kran­ken­haus aus, da­für er­hascht man in den Zwi­schen­räu­men im­mer wie­der ein Stück­chen Na­tur, Schilf­gras oder ein Ge­strüpp, das sich im Früh­jahr wo­mög­lich als Stern­mag­no­lie her­aus­stel­len wird. In den bei­den Ni­schen, die je ei­nen Raum an der fri­schen Luft de­fi­nie­ren – der ei­ne ge­deckt, der an­de­re nach oben hin of­fen –, gibt es ei­ne Sitz­bank mit in­di­rek­ter Be­leuch­tung und ei­ner wett­er­fes­ten Out­door-Steck­do­se. Fürs Kran­ken­bett, für die Beat­mungs­ma­schi­ne, für was auch im­mer.

„Soll ich Ih­nen was sa­gen? Ich ha­be ge­se­hen, wie sehr die Stu­den­ten bei der Sa­che wa­ren, wie viel Be­geis­te­rung sie in die Er­rich­tung ge­steckt ha­ben. Ich fin­de es toll, was da pas­siert ist.“ Rein­hard Bahr ist 78 Jah­re alt. Er hat Krebs im End­sta­di­um, wie er selbst sagt. „Da drau­ßen in der Na­tur zu sein, das gibt mir et­was Be­ru­hi­gen­des. Für kur­ze Zeit schal­tet man von sei­nen Schmer­zen, von sei­nen Ängs­ten, von sei­nem Schi­cksal ab. Ich glau­be, man fin­det in die­sem Raum ein biss­chen Ru­he. Das ist ja auch Sinn und Zweck der Sa­che, oder?“

60.000 Eu­ro hat das Pro­jekt ge­kos­tet. Die Hälf­te da­von stammt von Spen­den­geld­ern von Pal­lia­tiv Kärn­ten, die an­de­re Hälf­te hat die KA­BEG zur Ver­fü­gung ge­stellt. Die Haupt­pro­fi­teu­re die­ses als Pa­vil­lon ge­tarn­ten Ge­schenks sind oh­ne Zwei­fel die Pa­ti­en­ten. Nicht zu­letzt aber ist die Ko­ope­ra­ti­on zwi­schen Uni­ver­si­tät und rea­ler Auf­trag­ge­ber­schaft auch ei­ne wich­ti­ge, un­be­zahl­ba­re Er­fah­rung für die Stu­die­ren­den.

„Wir ha­ben al­le De­tails vom Fun­da­ment bis zum Dach selbst ent­wi­ckeln müs­sen, und zwar so, dass es prak­tisch und wirt­schaft­lich ist“, sagt Da­ni­el Pe­rei­ra-Arn­stein, ei­ner der in der Aus­füh­rungs­pla­nung und Bau­pha­se be­tei­lig­ten FH-Stu­den­ten. „Und wir muss­ten den Pa­vil­lon so pla­nen, dass wir ihn – mit der Un­ter­stüt­zung ei­ni­ger we­ni­ger Fir­men – selbst bau­en kön­nen. Ich fin­de es gut, dass den Stu­den­ten pra­xis­na­he Er­fah­rung na­he­ge­bracht wird. Da­durch lernt man viel mehr als nur in der Theo­rie.“

Ge­nau das ist auch die Ab­sicht der FH, Stu­di­en­gang für Ar­chi­tek­tur und Bau­in­ge­ni­eur­we­sen. „In Ent­wi­cklungs­ge­bie­ten wie et­wa in Tei­len Süd­afri­kas ha­ben wir schon öf­ter rea­le Pro­jek­te rea­li­siert“, er­klärt Eli­as Mo­lit­schnig, wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter der FH und grü­ner Ge­mein­de­rat für den Be­reich Pla­nung und Bau­kul­tur in Kla­gen­furt. „In Ös­ter­reich je­doch sind sol­che Zu­sam­men­ar­bei­ten zwi­schen Stu­die­ren­den und rea­lem Auf­trag­ge­ber noch ei­ne Sel­ten­heit. Ei­gent­lich sehr scha­de, denn der Ler­nef­fekt – nicht nur der tech­ni­sche und wirt­schaft­li­che, son­dern vor al­lem auch der so­zia­le – ist enorm.“

Die Stu­den­ten muss­ten ih­ren Ent­wurf nicht nur pla­nen und de­tail­lie­ren und sich an­schlie­ßend ei­nem Hea­ring des Kli­ni­kums Kla­gen­furt und des Ver­eins Pal­lia­tiv Kärn­ten stel­len. Sie muss­ten auch die Bau­kos­ten be­rech­nen, den Sta­ti­ker be­auf­tra­gen und die Ver­hand­lungs­ge­sprä­che mit Baum­eis­ter und Zim­mer­mann füh­ren. Und sie muss­ten die Bau­stel­le bis zur letz­ten Schrau­be ko­or­di­nie­ren. „In Zu­kunft“, meint Stu­di­en­gangs­lei­ter Pe­ter Nigst, „möch­ten wir die­se Pra­xis­er­fah­rung zu ei­nem ver­pflich­ten­den Fach un­se­res Stu­di­ums und so­mit auch zu ei­nem Al­lein­stel­lungs­merk­mal in der ös­ter­rei­chi­schen Ar­chi­tek­tu­raus­bil­dung ma­chen.“

Es gibt in die­sem Land tau­sen­de Pla­nungs- und Bau­auf­ga­ben, für die ex­trem ho­her Be­darf be­steht, ob­wohl in der Pra­xis lei­der nur we­nig fi­nanz­iel­le Mit­tel da­für zur Ver­fü­gung ste­hen. Ar­chi­tek­tin­nen und Bau­in­ge­ni­eu­re in der Aus­bil­dung, die sich mit No­ten, ECTS-Punk­ten und prak­ti­scher Er­fah­rung be­reits zur Ge­nü­ge ho­no­riert füh­len, wä­ren da­für ei­ne sinn­vol­le Pla­nungs­dis­zi­plin.

„Es war ei­ne Zu­sam­men­ar­beit auf Au­gen­hö­he“, blickt Bar­ba­ra Traar, Ver­ein Pal­lia­tiv Kärn­ten, auf das Pro­jekt zu­rück. „Die Stu­die­ren­den ha­ben hoch­wer­tigs­te Ar­beit ge­leis­tet, und ich wür­de mir wün­schen, dass sol­che aka­de­mi­schen Po­ten­zia­le öf­ter aus­ge­schöpft wür­den.“ Rein­hard Bahr blickt vom Fens­ter im drit­ten Stock auf den Pa­vil­lon hi­nab. „So ein schö­nes Häus­chen ist das ge­wor­den. Da will man sich ein­fach nur rein­set­zen und Ru­he ha­ben.“

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