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Chilenischer Architekt Alejandro Aravena bekommt Pritzker-Preis
Der Standard
14. Januar 2016 - Wojciech Czaja
„Es sind die einfachsten Begriffe und Tätigkeiten wie schlafen, lernen, essen, sich ausruhen, die unser Leben prägen“, sagt der chilenische Architekt Alejandro Aravena. „Die Begriffe sind Teil des kulturellen Erbes. Die Architektur hat die Kraft, dieses Erbe in eine entsprechende bauliche Form zu bringen. Das ist meine Vision.“ Wie Mittwochnachmittag bekannt wurde, ist der 48-Jährige heuer Preisträger der jährlich vergebenen und mit 100.000 US-Dollar dotierten Pritzker-Auszeichnung. „Alejandro Aravena ist Ausdruck für eine neue Generation von Architekten, die ein holistisches, umfassendes Verständnis der gebauten Umwelt haben“, lautet die Erklärung der diesjährigen Pritzker-Jury. „Seine Fähigkeit, soziale Verantwortung, wirtschaftliche Anforderungen, menschliche Bedürfnisse und das Wesen Stadt zu vereinen, hat er bereits mehrfach unter Beweis gestellt.“ Nur wenigen sei es bisher gelungen, Architektur als kunstvolles Unterfangen und zugleich als Antwort auf heutige soziale Anforderungen zu praktizieren. Freude für Brutalisten Auf der einen Seite gibt es die „schönen“ Projekte, um die sich die internationalen Blogs und Medien reißen, die Schulen, Universitätsgebäude, Museen und Forschungseinrichtungen. Das vielleicht beeindruckendste Beispiel aus dieser Tätigkeitssparte der gespaltenen Architektenpersönlichkeit ist das archaisch anmutende, 2014 fertiggestellte UC Innovation Center Anacleto Angelini am Campus der Universidad Católica in Santiago de Chile (Foto). Der massive Betonbau ist ein räumliches Wechselspiel aus Öffnung und Verschlossenheit, das nicht nur die Herzen von Brutalismus-Liebhabern höher schlagen lässt, sondern auch auf die entsprechenden Tageslicht-Anforderungen in den Innenräumen reagiert. Auf der anderen Seite engagiert sich der 1967 in Santiago de Chile geborene Allrounder für hochwertige, aber sozial verträgliche Projekte im Bereich Infrastruktur, öffentlicher Freiraum und kostengünstiger Wohnbau. Die 2001 von ihm gegründete Institution Elemental, die Aravena selbst in Anlehnung an die sonst so häufig anzutreffenden „Think-Tanks“ als „Do-Tank“ bezeichnet (hier wird nicht nur gedacht, sondern auch gehandelt), realisierte bereits Bauten in Chile, Mexico, China, in den USA sowie in der Schweiz. Zu den häufigsten Low-Cost-Projekten von Elemental zählen Wohnbauten und Reihenhaussiedlungen für einkommensschwache Schichten, die wunderbar beweisen, dass man auch mit wenig Budget und einfachsten materiellen Ressourcen nicht nur publikations-, sondern auch lebenswerte Architektur schaffen kann. Die farben- und lebensfrohen Siedlungen wie etwa Quinta Monroy in Iquique, Chile (2004), Monterrey Housing in Monterrey, Mexiko (2010) und Villa Verde Housing in Constitución, Chile (2013) können es mit jedem schicken Kulturbau aufnehmen. Ersatz für Sessel Nicht nur im großen Maßstab, auch in tragbaren Größenordnungen engagierte sich Aravena bereits mit Erfolg. Für den Möbelhersteller Vitra entwarf er 2010 das Alltagsutensil „Chairless“. Der leichte, strapazierfähige Gurt, den man sich um Rücken und Knie schnallt, ist ein ergonomisch fast gleichwertiger Ersatz für Sessel, um auch am Boden sitzend bequem Mahlzeiten zu sich nehmen zu können. Der schlaksige Alltagsarchitekt mit seiner Rockröhrenfrisur ist nicht nur einer der jüngsten Pritzker-Preis-Träger aller Zeiten, sondern nach Lius Barragán (1980), Oscar Niemeyer (1988) und Paulo Mendes da Rocha (2006) der erst vierte Lateinamerikaner, der mit diesem Preis gewürdigt wird. Die Preisverleihung findet am 4. April im UNO-Hauptquartier in New York statt. Kurz darauf wird Alejandro Aravena seine vielleicht größte Probe in der Ambivalenz zwischen Hochkultur und sozialem Engagement bestehen müssen: Für die Architektur-Biennale in Venedig, die im Juni eröffnet wird, wurde er zum diesjährigen Direktor bestellt. Die internationale Nabelschau steht heuer unter dem Generalmotto „Reporting from the Front“ (Berichterstattung von der Front). Damit hat er Erfahrung.

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