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Der Ma­ril­len­mar­me­la­de­krap­fen-Ef­fekt
Der Standard

Vor­ge­stern, Don­ners­tag, wur­de in Wien der Bau­kul­tur­ge­mein­de-Preis 2016 ver­ge­ben. Die drei Preis­trä­ger Lus­te­nau, Krum­bach und Ybb­sitz zei­gen vor, wie man Ar­chi­tek­tur lebt und die Aus­höh­lung des länd­li­chen Raums stoppt.

30. Januar 2016 - Wojciech Czaja
Ikea muss war­ten. Ikea, das kann nicht ei­ne Ge­mein­de im Al­lein­gang ent­schei­den. Ikea, das muss ei­ne in­ter­kom­mu­na­le Dis­kuss­ion sein, an der sich die ge­sam­te Re­gi­on be­tei­ligt. Wäh­rend sich an­de­re Bürg­er­meis­ter bei so ei­ner lu­kra­ti­ven An­fra­ge wohl al­le zehn Fin­ger ab­schle­cken und so­fort mit dem Bag­ger an­rü­cken wür­den, schickt der Lus­te­nau­er Ge­mein­de­chef Kurt Fi­scher den schwe­di­schen Mö­bel­gi­gan­ten erst ein­mal auf die War­te­bank. Man möch­te nach­den­ken und die Kon­se­quen­zen stu­die­ren.

Die Stra­te­gie der Vor­arl­ber­ger Rhein­tal­ge­mein­de, die in den letz­ten Jah­ren mit tem­po­rä­ren Bau­ten im öf­fent­li­chen Frei­raum, mit zahl­rei­chen Bürg­er­be­tei­li­gungs­pro­jek­ten und mit ei­nem erst­klas­si­gen Ge­wer­be­kon­zept auf sich auf­merk­sam mach­te, ist bei Wei­tem kein Ein­zel­fall. Die Lis­te an vi­sio­nä­ren und über­aus selbst­kri­ti­schen Ge­mein­den, die sich ernst­haft mit Ar­chi­tek­tur, Raum­pla­nung, Ver­kehrs­po­li­tik und nach­hal­ti­ger Bo­den­be­wirt­schaf­tung be­schäf­ti­gen und da­mit ge­gen die Aus­höh­lung und kul­tu­rel­le Zers­tö­rung des länd­li­chen Raums an­kämp­fen, wird im­mer län­ger.

Vor­ge­stern, Don­ners­tag, wur­den die in­no­va­tivs­ten Or­te Ös­ter­reichs im Pa­lais Eschen­bach in der Wie­ner In­nens­tadt mit dem Bau­kul­tur­ge­mein­de-Preis 2016 aus­ge­zeich­net. Nach 2009 und 2012 wur­de die vom Ver­ein Land­Luft ini­ti­ier­te Aus­zeich­nung da­mit be­reits zum drit­ten Mal über­ge­ben. Aus ins­ge­samt 23 Be­wer­bun­gen wähl­te ei­ne 17-köp­fi­ge Ju­ry in ei­nem mehrs­tu­fi­gen Ver­fah­ren mit­samt Vor­ort­be­su­chen drei Preis­trä­ger. Kurt Fi­scher, Lus­te­nau, ist ei­ner da­von. Eben­falls freu­en dür­fen sich Krum­bach (Vor­arl­berg) und Ybb­sitz (Nie­de­rös­ter­reich).

„In den letz­ten Jah­ren ha­ben wir in Lus­te­nau ei­ni­ge ziem­lich am­bi­tio­nier­te Bau­ten rea­li­siert und auf Schie­ne ge­bracht“, sagt Ma­ri­na Häm­mer­le, ih­res Zei­chens ex­ter­ne Zen­trums­ko­or­di­na­to­rin. Und zählt auf: Re­vi­ta­li­sie­rung des Na­her­ho­lungs­ge­biets Al­ter Rhein, Er­öff­nung des So­zi­al­zen­trums mit be­treu­ten Woh­nun­gen und Se­nio­ren­ca­fé, Mas­ter­plan-Er­stel­lung und Er­wei­te­rung des Ge­wer­be­ge­biets Mil­len­ni­um Park, Er­rich­tung ei­nes neu­en Leicht­ath­le­tik- und Fuß­ball-Sta­di­ons, und dann gibt es noch den Ska­ter-Platz Ha­be­de­re und das so­ge­nann­te Feld­ho­tel. Der tem­po­rä­re Re­cyc­ling­bau des Ar­chi­tek­tur­kol­lek­tivs Kom­pott bot et­li­chen kul­tu­rel­len Events ei­ne Büh­ne und mach­te den Som­mer 2014 auf die­se Wei­se zum Ur­laub in der Stadt.

Die Rück­er­obe­rung des Raums

„Der wich­tigs­te Schritt wird jetzt sein, den Orts­kern zu stär­ken und den von Au­tos be­setz­ten Raum zu­rück­zu­er­obern. Wie bis­her wol­len wir auch hier sehr stark auf Bürg­er­be­tei­li­gung set­zen“, so Häm­mer­le. „Ge­mein­sam mit den Bürg­er­in­nen und Bürg­ern wer­den wir ei­nen Teil der In­nens­tadt zur Be­geg­nungs­zo­ne aus­bau­en. Aber das ist nur der An­fang, denn lang­fri­stig wird es da­rum ge­hen, die Alt­las­ten der vor­an­ge­gan­ge­nen Jah­re und Jahr­zehn­te zu be­rei­ni­gen und wie­der mehr Woh­nen, Han­del und Frei­zeit ins Zen­trum zu brin­gen.“

Ma­ri­na Häm­mer­le wird kurz still, denkt nach. Das In­ne­hal­ten und Ref­lek­tie­ren scheint in Lus­te­nau Tra­di­ti­on zu ha­ben. Nach ei­ner Wei­le schließ­lich: „Der Bau­kul­tur-Preis 2016 ist ei­ne Be­stä­ti­gung da­für, dass wir am rich­ti­gen Weg sind, und nimmt uns in die Pflicht dran­zu­blei­ben und wei­ter­zu­tun.“

Ge­nau das ist auch die Mo­ti­va­ti­on des Ver­eins Land­Luft. „Es tut sich be­reits wahn­sin­nig viel, und ich spü­re ein ver­stärk­tes Be­wusst­sein im Um­gang mit Bau­en, mit Raum­pla­nung, mit Orts­ent­wi­cklung, mit En­er­giet­he­men, mit al­len mög­li­chen Fa­cet­ten von Nach­hal­tig­keit“, meint der Ver­eins­vor­sit­zen­de Ro­land Gru­ber. „Un­se­re Auf­ga­be ist es, all die­se Im­pul­se vor den Vor­hang zu ho­len und da­für zu sor­gen, dass sich auch an­de­re Ge­mein­den in Ös­ter­reich da­ran ein Bei­spiel neh­men.“

Seit der Nach­kriegs­zeit ha­be man al­les da­ran ge­setzt, den länd­li­chen Raum zu mo­bi­li­sie­ren und das Au­to­mo­bil zum Gott zu er­he­ben. Die Kon­se­quen­zen wer­de man noch vie­le Jahr­zehn­te lang aus­ba­den müs­sen. „Der Do­nut-Ef­fekt macht die Ge­mein­den ka­putt. Er zieht den Or­ten ih­ren Bo­den und ih­re Iden­ti­tät weg, und er macht sie für kom­men­de Ge­ne­ra­tio­nen fad und un­at­trak­tiv. Es ist drin­gend an der Zeit, aus den Do­nuts wie­der Krap­fen zu ma­chen. So rich­tig fet­te Oma­krap­fen mit saug­uter Ma­ril­len­mar­me­la­de im Zen­trum.“

Je­ne hoch­wer­ti­ge Kon­fi­tü­re ist es auch, die die bei­den Preis­trä­ger-Ge­mein­den Krum­bach und Ybb­sitz ins Ram­pen­licht stel­len. Be­reits in den Neun­zi­ger­jah­ren er­ar­beit­ete die Vor­arl­ber­ger Ge­mein­de Krum­bach ein ba­sis­de­mo­kra­ti­sches Leit­bild für Neu­bau, Sa­nie­rung, Bau­land­wid­mung und Orts­ent­wi­cklung. „Fakt ist, dass wir in den letz­ten 60 bis 70 Jah­ren – wie über­all in Ös­ter­reich – viel zu viel Bau­land ge­wid­met ha­ben“, er­klärt Bürg­er­meis­ter Ar­nold Hirsch­brühl im Ge­spräch mit dem STAN­DARD . „Jetzt ru­dern wir wie­der zu­rück und kon­zen­trie­ren uns auf mo­der­ne, in­no­va­ti­ve, zum Teil kol­lek­ti­ve Wohn­mo­del­le im Orts­kern.“

Schmie­de der Sen­si­bi­li­tät

Dass es die 1000-See­len-Ge­mein­de im Bre­gen­zer­wald mit sei­ner Orts­kern­stär­kung ernst meint, be­weist das Pro­jekt Bus:Stop, das 2014 rea­li­siert wur­de. Sie­ben a­tem­be­rau­ben­de Bus­war­te­häus­chen von Ar­chi­tek­ten aus al­ler Welt wur­den da­bei quer über den Ort ver­streut. Das War­ten auf den Land­bus mu­tiert seit­dem zu ei­nem bis zu 30-mi­nü­ti­gen Stu­di­um zeit­ge­nös­si­scher Ar­chi­tek­tur. „Als Bürg­er­meis­ter se­he ich es als mei­ne Auf­ga­be, mit gu­tem Bei­spiel vor­an­zu­ge­hen und die Sen­si­bi­li­tät für Bau­kul­tur zu stär­ken. Und wenn es nur ei­ne Bus­hal­tes­tel­le ist.“

Des­sen ist man sich auch in Ybb­sitz be­wusst. Von je­her zählt die Me­tall­ver­ar­bei­tungs­ge­mein­de mit ih­rer Jahr­hun­der­te al­ten Schmie­de­tra­di­ti­on, die die Un­esco als na­tio­na­les, im­ma­te­riel­les Kul­tur­er­be ver­zeich­net, zu den wohl­ha­ben­de­ren Or­ten Nie­de­rös­ter­reichs. „Wer, wenn nicht wir! Wir ha­ben das gro­ße Glück, auf wert­vol­le kul­tu­rel­le Res­sour­cen zu­rück­grei­fen zu kön­nen, und die­sen Wert müs­sen wir un­be­dingt wei­ter­ent­wi­ckeln“, er­klärt Bürg­er­meis­ter Jo­sef Hof­mar­cher. „Und ja, Bau­kul­tur ist ein Be­kennt­nis zu Qua­li­tät, die Zeit, Geld und En­ga­ge­ment kos­tet. Aber wenn wir im­mer nur al­les da­ran ge­mes­sen hät­ten, was die bil­ligs­te Va­ri­an­te ist, dann wä­ren wir heu­te nicht da, wo wir sind.“

Die dra­ma­ti­schen Wor­te des Chefs ha­ben ei­ne Ent­spre­chung im Bau­li­chen und Or­ga­ni­sa­to­ri­schen, die mehr als be­ein­druckend ist. Fast über­all im Ort drän­gen sich mo­der­ne, bis­wei­len so­gar ra­di­ka­le Stahl­bau­ten ins Orts­bild – ob das nun ein Car­port, ein Wohn­haus, ein Ho­tel mit tem­po­rä­ren Apart­ments, ein Fuß­gän­gers­teg über den Prol­ling­bach oder ei­ne Klär­schlam­man­la­ge ist, die auf den er­sten Blick so­gar als Mu­se­um für zeit­ge­nös­si­sche Kunst durch­ge­hen wür­de.

Vor we­ni­gen Mo­na­ten erst wur­de die Re­vi­ta­li­sie­rung des al­ten Schmie­de­hau­ses fer­tig­ge­stellt. Das denk­mal­ge­schütz­te Haus wur­de mit Zim­mern, Schlaf­sä­len und öf­fent­li­chen Werks­tät­ten aus­ge­stat­tet und dient nun als Lo­gis für Gäs­te aus al­ler Welt, die in Ybb­sitz ei­ne Leh­re oder auch nur ei­nen Frei­zeit-Schmie­de­kurs ab­sol­vie­ren. „Ja, ich bin stolz da­rauf, dass wir un­se­re Tra­di­ti­on wei­ter­pfle­gen. Der Bau­kul­tur­ge­mein­de-Preis ist ein wert­vol­les Prä­di­kat, das uns stärkt, um mo­ti­viert wei­ter­zu­ma­chen.“

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