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Nix wie rein ins Grätzl!
Spectrum

Wer will schon kühle, gesichtslose Zimmer in Hotelketten? Dann lieber auf in die Quartiere, die teilnehmen lassen am wahren Leben der Stadt. Über die Stadtlofts der Wiener „Grätzlhotels“ – und die „Wiener Gäste Zimmer“ in einer Favoritner Essigfabrik.

20. Februar 2016 - Iris Meder
Es gibt eine Welt zwischen Fünf-Sterne-Plus, Backpacker-Hostel und Airbnb. Auch und gerade in Wien, wo steigende Tourismuszahlen ein Publikum mit neuen Bedürfnissen mit sich bringen. So viel Berlin war lange nicht. Flohmarktmöbel, Oma-Lampen und Glühfäden-Birnen vor rohen Ziegelwänden, Vollbärte, Nerd-Brillen und Duttfrisuren über kreativer Arbeit zwischen Laptop, Chai und veganem Dinkelkuchen allüberall. Die neue Prenzlberg-Gemütlichkeit ist im anspruchsvollen Mainstream angekommen und bereits Anlass satirischen Spotts.

Auch das Wiener Café „Zur Rezeption“ beim Karmelitermarkt spielt mit dem Repertoire des Anti-Stylings mit selbstironischer, preisgünstiger Second-Hand-Möblierung in entkernten Räumlichkeiten, wie man es zuletzt bei Magdas Hotel gesehen hat. Der Birnenkuchen ist großartig, Publikum und Personal im entspannten Bereich zwischen lokal und weltläufig und die Hipster-Dichte weit weniger hoch als in vergleichbaren Lokalitäten. Eben diese Nestwärme eines zwanglosen Insidertums mit individualistischem Gesicht ist die Intention der Hotellerie-Idee, deren Wiener Zentrale die „Rezeption“ ist.

Seinen österreichischen Anfang nahm das Konzept 2006 mit der Gründung des Kulturvereins „Pixel Hotel“ in der damaligen designierten europäischen Kulturhauptstadt Linz: Über die Stadt verteilte einzelne Zimmer mit dislozierter Infrastruktur ergänzten temporär die überforderte lokale Hotellerie und sprachen damit ein Publikum an, das am üblichen ubiquitären Hotelkettenstil mit gemustertem Spannteppich und undefinierbaren Stilmöbeln ebenso wenig Interesse hatte wie an überteuerten Designer-Boutiquehotels.

Wie beim Projekt Pixel Hotel waren auch beim Wiener Grätzlhotel engagierte junge Architekten entscheidende Initiatoren des Unternehmens. Das Konzept: Leer stehende Geschäftslokale werden zu einzelnen Hotelsuiten umgewandelt. Sie sind mit Spiegelglas und dicken Vorhängen verlässlich blickdicht zu machen und mit Schlafbereich, Küchenzeile, großem (Ess-)Tisch und Sitzecke zu temporären Kleinwohnungen umgebaut, die Gastlichkeit nicht nur vonseiten der Hoteliers gegenüber den Gästen, sondern auch für diese selbst vermitteln sollen – Gäste der Gäste sind während deren Aufenthalts im Grätzlhotel willkommen. Die Versorgung übernehmen benachbarte Lokalitäten – den Schlüssel holt man, je nach Hotelzimmer-Cluster, in einem Café um die Ecke, wo etwa auch gefrühstückt werden kann.

Die „Rezeption“ bildet die Ausnahme – sie ist als Café mit Rezeption tatsächlich Teil des Hotels. Der Plan ist, dass sich Grätzlbewohner hier mit den Grätzlhotelbewohnern mischen und denen so ein Gefühl des Privatgast-Seins mit allen zuschaltbaren Annehmlichkeiten eines regulären Hotelbetriebs gegeben werden soll. Übernachtungsgästen wird in diesem Sinne der Status von „Wienern auf Zeit“ zugesagt, die sich in den hippen Grätzlhotel-Grätzln dank Tipps der Beherberger wie Einheimische fühlen und bewegen sollen. Ein nicht zu unterschätzender positiver Effekt des Konzepts, für das sich eine Betreibergesellschaft aus Architekten, Unternehmensberatern, Marketing- und Hotelleriefachleuten gebildet hat, ist die intendierte Belebung verwaister Erdgeschoßzonen.

Die Ausstattung der zwischen 25 und 45 Quadratmeter großen „Stadtlofts“ für zwei bis vier Personen in den drei Grätzln Karmelitermarkt, Meidlinger Markt und Belvedere kommt von den auch als Betreiber involvierten Architekturbüros BWM und Kohlmayr Lutter Knapp. Dabei wird jeweils in irgendeiner Form Bezug auf die vorherige Nutzung genommen – etwa mit den in ihrer installativen Ballung als cool kontextualisierten uncoolen Lampen aus einem zugesperrten Lampengeschäft.

Ein alternatives Übernachtungskonzept fährt seit Kurzem auch die Favoritner Essig- und Bierbrauerei Gegenbauer. Der 1929 gegründete Familienbetrieb gelangte durch den Bau von Hauptbahnhof und Sonnwendviertel vom Randlagen-Niemandsland unverhofft in den Dunstkreis eines aufstrebenden Stadtquartiers. Anlass genug für Erwin Gegenbauer, zusätzlich zum erdgeschoßigen Verkaufsraum fünf Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnungen im ersten Stock seines Elternhauses zu Gästezimmern zu machen. Abgeschält bis zur rohen Substanz mit Ziegeln, Dippelbaumdecken, Stahlträgern, Holzdielen und offen verlaufenden Leitungen, wird der raue Industrieschick der Zimmer aufgefangen durch raumgreifende Bett-Anlagen – so muss man das wohl nennen: Die aus Kanthölzern ohne Nägel konstruierten modularenSchlafmöbel sind allseitig um Infrastruktur-Zubauten erweitert, die die Funktionen von Schreibtisch, Kasten, Regal und Sitzecke aufnehmen.

Entwickelt wurde das Bettsystem vom Wiener Architekturbüro heri&salli (Heribert Wolfmayr und Josef Saller), dessen Aufgeschlossenheit dem freien Experimentieren mit strukturellen Konzepten gegenüber Prinzip ist. „Wir befinden uns auf einem zur Verfügung stehenden räumlichen Feld. Mögliche darin befindliche Einbauten und Funktionen sind eher temporäre Markierungen“, so die Architekten über die Gegenbauer'schen „Bed & Breakfast“-Zimmer. Der Ansatz traf sich mit dem des Bauherrn, dessen Hauptanliegen im bislang eher nicht durch hochqualitative Nachhaltigkeit aufgefallenenGrätzl hinter der Südbahn die Vermittlung erstklassiger Handwerksarbeit ist. Lowtech auf höchstem Handwerksniveau liefern in den Zimmern auch heimische Bett- und Badtextilien und von der Braumeisterin handgesottene Seife.

Ganz billig sind die Zimmer freilich nicht, ebenso wenig übrigens wie die des Grätzlhotels. Dafür kann man sich bei Gegenbauers am großen Holztisch der „Kuchl“ selbst ein Frühstück mit Kräutern und Eiern aus dem Terrassengarten im Hof des Hauses, hausgeröstetem Kaffee, Brot aus Eigenproduktion und Honig von den Bienen der Balsamico-Terrasse fabrizieren. Für noch mehr Hedonismus sorgt ein Schwimmbad mit Sauna im zweiten Stock.

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