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Oma­ma mit Chip und PIN
Der Standard

Vom Se­nio­ren­wohn­haus Ko­ti­sa­ta­ma in Hel­sin­ki kann man was ler­nen. Die 85 Be­woh­ner ent­sor­gen ih­ren Müll mit Chip­kar­te und or­ga­ni­sie­ren ih­re Sau­na-Auf­güs­se und Rad­tou­ren über ein di­gi­ta­les In­ter­fa­ce.

7. Mai 2016 - Wojciech Czaja
Und tippt. Und schiebt. Und zoomt. „Man wür­de ja an­neh­men, dass sol­che Pro­gram­me ir­gend­wann ein­mal lü­cken­los funk­tio­nie­ren“, är­gert sich Tert­tu Fält. „Aber nein! Im­mer dann, wenn man et­was vor­füh­ren will, gibt es wie­der ei­nen Hän­ger.“ Loggt sich aus. Und noch ein­mal ein. „Jetzt ge­be ich mei­nen Be­nut­zer­na­men und den PIN-Co­de ein. Jetzt müs­sen Sie bit­te kurz weg­schau­en. Na end­lich! Jetzt geht’s.“

Tert­tu Fält ist ei­ne von ins­ge­samt 85 Be­wohn­er­in­nen des Se­nio­ren­hau­ses Ko­ti­sa­ta­ma im neu­en Stadt­teil Ka­la­sa­ta­ma, nur vier U-Bahn-Sta­tio­nen vom Haupt­bahn­hof Hel­sin­ki ent­fernt. Mit ih­ren Nach­barn ist sie in re­gem Kon­takt. Ent­we­der man trifft ein­an­der so­wie­so um 17 Uhr zum Abend­es­sen im Spei­se­saal. Oder aber man kom­mu­ni­ziert über ein ei­gens ent­wi­ckel­tes In­ter­fa­ce, das nicht nur über E-Mail-Pro­gram­me und ge­mein­sa­me Ser­ver­ord­ner ver­fügt, son­dern auch Ar­beits-zeit­plä­ne, Ver­an­stal­tungs­ka­len­der und so­gar ein Bu­chungs­pro­gramm für die Gäs­te­zim­mer be­in­hal­tet. Falls ein­mal die Schwie­ger­söh­ne und En­ke­lin­nen auf Be­such kom­men.

„Ich ha­be oft er­lebt, wie Men­schen alt wer­den und ein­sam und al­lein ster­ben. Das ist nicht mei­ne Vor­stel­lung für die näch­sten Jah­re. Ich will mei­ne Zeit als Rent­ne­rin ak­tiv ge­stal­ten.“ Frü­her war Fält Im­mo­bi­lien­mak­le­rin, hat zu­letzt so­gar ei­ne ei­ge­ne Mak­ler­kanz­lei ge­lei­tet. Mit die­ser Er­fah­rung hat sie mit meh­re­ren Gleich­ge­sinn­ten vor ei­ni­gen Jah­ren den Ver­ein „Ak­tii­vi­set se­nio­rit“ ins Le­ben ge­ru­fen.

„Wir ha­ben on­li­ne nach In­te­res­sen­ten ge­sucht und uns ge­mein­sam zwei Se­nio­ren­wohn­hei­me in Ber­lin und auch ein ver­gleich­ba­res Pro­jekt hier in Hel­sin­ki an­ge­se­hen. Das wa­ren sehr schö­ne Er­fah­run­gen. Und so ha­ben wir dann be­schlos­sen, die Sa­che selbst in die Hand zu neh­men und ein ähn­li­ches Haus zu bau­en. Ja, es ist ei­ni­ges an Ar­beit. Aber es geht.“

Ge­mein­sam mit ih­ren da­mals mitt­ler­wei­le 85 Kol­le­gen und Kol­le­gin­nen hat Fält ei­ne Ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft ge­bil­det, ein Grund­stück im neu­en Smart-Ci­ty-Quar­tier Ka­la­sa­ta­ma ge­pach­tet und das fin­ni­sche Ar­chi­tek­tur­bü­ro Kirs­ti Si­vén & As­ko Ta­ka­la mit an Bord ge­zo­gen. „Kirs­ti Si­vén hat in Hel­sin­ki schon ei­ni­ge Se­nio­ren­wohn­hei­me ge­baut“, er­zählt Fält mit ei­nem brei­ten Lä­cheln. „Aber das hier ist ein­deu­tig ihr bis­lang be­stes Pro­jekt.“

Auf den er­sten Blick ist dem neuns­tö­cki­gen Haus nichts Un­ge­wöhn­li­ches an­zu­se­hen. Ganz nor­ma­le Back­stein­fass­ade, ganz nor­ma­le Bal­ko­ne, ganz nor­ma­le Fens­ter. Dass sich da­hin­ter ein bar­rie­ref­rei­es Nie­dri­ge­ner­gie­haus mit Fern­wär­me­an­schluss und al­ler­lei smar­ten Fea­tu­res ver­birgt, merkt man erst im Foy­er. Ne­ben dem Lift hängt der rie­si­ge Touch­screen, der eben noch ge­streikt hat­te. Zu Show­zwe­cken wur­de nun für ei­ne Nacht ei­nes der bei­den Gäs­te­zim­mer ge­bucht. Dies­mal mit Er­folg.

Im Spei­se­saal ne­ben­an sit­zen ei­ni­ge äl­te­re Da­men und Her­ren mit ih­ren iPads und tip­pen ir­gend­was ins Glas. Dem­nächst, hört man, wer­de es ei­nen Vor­trag im Haus ge­ben, bei dem ei­ne Ver­suchs­rei­he, ein Ko­ope­ra­ti­ons­pro­jekt der Aal­to-Uni­ver­si­tät und der Uni­ver­si­tät Tam­pe­re, vor­ge­stellt wird. Es geht um Ro­bo­tik. Man ist auf der Su­che nach Se­nio­ren, die ei­nen ro­bo­te­run­ters­tütz­ten Wohn­all­tag er­pro­ben sol­len.

„Na­tür­lich hö­re ich mir das an. Und viel­leicht wer­de ich mich auch be­wer­ben, um da mit­zu­ma­chen“, sagt Lee­na Vah­te­ra. Den smar­ten Tech­no­lo­gien ist die 69-Jäh­ri­ge ja nicht ge­ra­de ab­ge­neigt. Ne­ben dem Licht­schal­ter zu ih­rem Bad, wird man spä­ter se­hen, hängt ein klei­nes Dis­play, das den wö­chent­li­chen Was­ser­ver­brauch an­zeigt. 179 Li­ter sind’s bis zu die­sem Mitt­woch. „Ich bin ein­fach neu­gie­rig, wel­che Res­sour­cen ich ver­brau­che.“

Vah­te­ra wohnt in ei­ner 47 Qua­drat­me­ter gro­ßen Woh­nung im drit­ten Stock. Der durch­schnitt­li­che Kauf­preis der Woh­nun­gen im Haus liegt bei 4370 Eu­ro pro Qua­drat­me­ter. Die Ein­rich­tung ist ei­ne Mi­schung aus Fif­ties und An­ti­qui­tä­ten, das Bett ist le­dig­lich über ein kur- zes Wand­stück vom Wohn­be­reich ge­trennt, ein­zig der blaue Schau­kel­stuhl in der Raum­mit­te ver­rät ein biss­chen was über den schwung­vol­len Le­bens­ab­schnitt der hier Woh­nen­den.

„Mein Mann ist vor ei­ni­gen Jah­ren ver­stor­ben. Ir­gend­wann ein­mal war für mich klar, dass ich nicht al­lei­ne wei­ter­le­ben will. Die­ses Pro­jekt kam mir wie ge­ru­fen.“ Es sind vor al­lem die Ge­mein­schafts­flä­chen, die sie schätzt: den ho­hen Spei­se­saal im Erd­ge­schoß, die of­fe­ne Bi­blio­thek mit Blick in die Kü­che, die Werks­tatt, die Dach­ter­ras­se und na­tür­lich die bei­den Sau­nas im letz­ten Stock. „Das Dach­ge­schoß ist su­per, weil die meis­ten hier ih­re Blu­men und Kräu­ter an­pflan­zen. Aber das ist nicht so mei­nes. Ich hab’s mehr mit Rad­fah­ren und Ski­fah­ren.“

Rohr­post, aber smart

Ei­nes der Highl­ights im Haus ist die Müll­ent­sor­gungs­an­la­ge un­ten auf der Stra­ße. In der Leon­ka­tu an der Süd­sei­te des Hau­ses steht ei­ne der Be­wohn­er­in­nen und hält ih­ren Chip an den Sen­sor. Es öff­net sich ei­ne Art Wasch­ma­schi­nen­bul­lau­ge oh­ne Glas, in die der Müll­sack hin­ein­fällt. Beim Schlie­ßen der Tür wird im In­ne­ren der An­la­ge ein Un­ter­druck er­zeugt, der den Müll wie in ei­nem Rohr­post­sys­tem ins Müll­zen­trum des neu­en Stadt­teils Ka­la­sa­ta­ma saugt.

„Für Pa­pier, Kar­ton­pro­duk­te, Bio­ab­fäl­le und Rest­müll gibt es un­ter­schied­li­che Tü­ren und so­mit auch un­ter­schied­li­che Ka­nal­sys­te­me“, er­klärt Kai­sa Spil­ling, De­ve­lop­ment Ma­na­ge­rin beim Pro­jekt­dienst­leis­ter Fo­rum Vi­ri­um Hel­sin­ki, der das Pi­pe­li­ne-Sys­tem in der Smart Ci­ty Ka­la­sa­ta­ma mit­ent­wi­ckelt hat. „Die Elek­tro­nik­chips an den Müll­tü­ren hel­fen uns auch da­bei ab­zu­schät­zen, wo zu wel­chem Zeit­punkt wel­che Art von Müll an­fällt.“ Auf die­se Wei­se wol­le man die Pi­pe­li­ne-Sys­te­me in Zu­kunft noch bes­ser kon­zi­pie­ren und di­men­sio­nie­ren.

„Al­so, von sol­chen groß­ar­ti­gen Fea­tu­res kön­nen mei­ne Kin­der nur träu­men“, sagt ein Be­woh­ner im Haus. „Die Tech­no­lo­gien sind nicht nur ei­ne wich­ti­ge öko­lo­gi­sche Maß­nah­me wie et­wa bei der Müll­ent­sor­gung, son­dern auch ein gu­tes Werk­zeug, um mit an­de­ren Men­schen in Kon­takt zu tre­ten und sich im Le­bens­all­tag zu or­ga­ni­sie­ren.“ Ge­nau das ist die ur­sprüng­li­che Idee des Smart-Ho­me-Kon­zepts, das mit der Di­gi­ta­li­sie­rung und Com­pu­te­ri­sie­rung der Haus­tech­nik vor et­wa zehn Jah­ren den Markt flu­te­te.

„Ich weiß nicht, ob un­ser Ko­ti­sa­ta­ma ein smar­tes Haus ist“, sagt Tert­tu Fält. In ih­rer Bril­le spiegelt sich der Touch­screen im Foy­er. Die Gäs­te­zim­mer-Bu­chung hat sie mit ei­nem Klick so­eben wie­der stor­niert. „Je­den­falls war ich sehr smart, weil ich hier ein­ge­zo­gen bin.“
[ Die Rei­se er­folg­te auf Ein­la­dung der Stadt Hel­sin­ki. ]

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