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Der Ar­chi­tekt als Schirm­herr
Der Standard

Die heu­ri­ge Ar­chi­tek­tur-Bien­na­le in Ve­ne­dig steht un­ter dem Mot­to „Re­por­ting from the Front“. Der Ös­ter­reich-Bei­trag spielt sich tat­säch­lich di­rekt vor Ort ab, und zwar in drei Flücht­lings­hei­men und Not­quar­tie­ren in Wien. Ein Lo­ka­lau­gen­schein.

30. Juli 2016 - Wojciech Czaja
Wann kom­men die Com­pu­ter?“ Ei­ne Hor­de Kids um­zin­gelt den Lei­ter des Not­quar­tiers in der Pfeif­fer­gas­se und fragt ihm Lö­cher in den Bauch. „Und wann wer­den die Com­pu­ter ans WLAN an­ge­schlos­sen? Wann, wann, wann?“ Kur­ze Pau­se. „Was? Erst mor­gen? Wa­rum erst mor­gen?“ Kur­ze Pau­se. „Ah, mor­gen früh schon! Ju­huuu!“ Und weg sind sie, ver­schwun­den hin­ter me­ter­wei­se Stoff, um die fro­he Bot­schaft un­ter den rund 260 Be­wohn­er­in­nen und Be­wohn­ern im Haus zu ver­brei­ten.

Das Ca­ri­tas-Not­quar­tier für Flücht­lin­ge war einst ein ganz nor­ma­les Bü­ro­haus im 15. Wie­ner Ge­mein­de­be­zirk, ei­ne Trutz­burg mit Wasch­be­ton­fas­sa­de und nie­dri­ger Raum­hö­he, er­rich­tet zu Be­ginn der Neun­zi­ger­jah­re. Nun wird das Haus bis Jah­re­sen­de von Flücht­lin­gen aus Sy­rien, Af­gha­nis­tan, Iran und dem Irak be­wohnt. Ein Teil der nun­mehr un­ter dem Son­nen­schirm Schla­fen­den stammt auch aus Ne­pal, Tschet­sche­nien, Tad­schi­kis­tan.

Das Pro­jekt geht auf ei­ne Ini­tia­ti­ve der dies­jäh­ri­gen Bien­na­le-Kom­mis­sä­rin El­ke De­lu­gan-Meissl zu­rück. An­statt das Bud­get für den ös­ter­rei­chi­schen Bei­trag wie sonst üb­lich in Ve­ne­dig aus­zu­ge­ben, ent­schied sich die mit dem Ös­ter­rei­chi­schen Staats­preis aus­ge­zeich­ne­te Ar­chi­tek­tin, das Geld dies­mal in Wien zu be­las­sen und für drin­gend be­nö­tig­te Flücht­lings­pro­jek­te zu nut­zen.

Un­ter dem Ti­tel „Or­te für Men­schen“ sind rea­le, sinn­vol­le und voll funk­ti­ons­taug­li­che Le­bens­or­te für Men­schen ent­stan­den. Ge­mein­sam mit den Ar­chi­tek­ten Ca­ra­mel und The Next Ent­er­pri­se so­wie dem Wie­ner De­si­gnbü­ro Eoos wur­den drei leer ste­hen­de Bü­ro­bau­ten rund um die In­nens­tadt aus­fin­dig ge­macht und mit di­ver­sen Ein­bau­ten, Im­plan­ta­ten und bau­li­chen Adap­tie­run­gen ver­se­hen.

Zum Bei­spiel mit knall­grü­nen Son­nen­schir­men wie im Fall von Ca­ra­mel. Mit Stoff­bah­nen, die zu ki­lo­me­ter­lan­gen Vor­hän­gen zu­sam­men­ge­näht wur­den, mit bil­li­gen PVC-Ab­was­ser­roh­ren, die nun von der De­cke baum­eln und als Gar­di­nen­stan­ge die­nen, mit Stoff­ta­schen für Topf­blu­men, mit klei­nen Le­se­lam­pen, mit ei­ge­ner Steck­do­se zum Auf­la­den des iPho­nes so­wie mit tau­sen­den, ja aber­tau­sen­den Ka­bel­bin­dern.

Die­ses so ge­schaf­fe­ne ab­so­lu­te Mi­ni­mum an Wohn­kom­fort soll von den Grau­sam­kei­ten der po­li­ti­schen Si­tua­ti­on ab­len­ken und das War­ten auf den Asyl­be­scheid et­was schö­ner, et­was men­schen­wür­di­ger ma­chen.

„Ich fin­de die Son­nen­schir­me und Vor­hän­ge sehr lus­tig“, sagt Mar­zir Kho­we­ri. Die 20-jäh­ri­ge Fri­seu­rin ist aus Af­gha­nis­tan ge­flüch­tet und hat sich an der Nä­hak­ti­on tat­kräf­tig be­tei­ligt. „Zwei gan­ze Mo­na­te ha­ben wir da­ran ge­näht! Aber zu­min­dest kön­nen wir die gro­ßen Bü­ro­räu­me jetzt wie ei­ne klei­ne Woh­nung nut­zen. Mit Wohn­be­reich, mit Schlaf­zim­mer und mit ei­gens ab­ge­trenn­ten, un­ter­schied­li­chen Zo­nen für die Kin­der. So hat je­der von uns ein biss­chen Pri­vat­sphä­re.“ Nicht sel­ten wer­den die Roh­re und Schir­me zwe­ckent­frem­det und als Wä­sche­lei­ne, Wä­sche­spin­ne ge­nutzt. Al­les ist mög­lich.

Ein Hauch von Wohn­zim­mer

Ge­nau das sei der Plan ge­we­sen, meint Gün­ter Kat­herl von Ca­ra­mel. „Die Si­tua­ti­on in ei­nem Not­quar­tier ist bru­tal, weil es in der Re­gel da­rum geht, Grund­rech­te zur Ver­fü­gung zu stel­len und den Men­schen ei­nen Platz zum Es­sen und zum Schla­fen zu ge­ben. Für Schön­heit und Wohn­kom­fort ist meist kein Platz. Wir woll­ten ge­nau das nach­ho­len. Wir woll­ten den Men­schen ei­nen Hauch von Wohn­zim­mer­ge­fühl ver­mit­teln.“

Of­fen­bar mit Er­folg. Es wird ge­spielt, ge­le­sen, ge­ges­sen, ge­schla­fen und ge­schnarcht. Man hört al­les, was der bil­li­gen, text­ilen Bau­wei­se (50 Eu­ro Ma­te­ri­al­kos­ten pro Raum) ge­schul­det ist, doch man sieht nie mehr als sei­nen ei­ge­nen Pri­vat­be­reich.

„Wis­sen Sie, hier zu sein, mit­an­zu­pa­cken und die­se Zim­mer mit­ge­stal­ten zu kön­nen ist ein Ge­schenk“, sagt Amir Has­san Schah­ri­war. Der 48-jäh­ri­ge Ma­ler, Tisch­ler und In­stal­la­teur stammt aus Te­he­ran. Sei­ne Fa­mi­lie soll nach­kom­men, so­bald der po­si­ti­ve Asyl­be­scheid vor­liegt. „Mei­ne ak­tu­el­le Le­bens­si­tua­ti­on ist, wie sie ist. Aber jetzt ist das mein Zu­hau­se, zu­min­dest für die näch­sten Wo­chen und Mo­na­te. Und in ei­nem Zu­hau­se soll man es schön ha­ben.“

Orts­wech­sel. In Wien-Erd­berg ste­hen jun­ge Män­ner mit Koch­löf­fel in der Hand rund um ei­nen frei ste­hen­den Kü­chen­block aus knall­gel­ben Scha­lungs­ta­feln. Das Ma­te­ri­al­spon­so­ring des Markt­füh­rers Do­ka ist evi­dent. Der Do-it-your­self-Aspekt der durch­aus schön pro­por­tio­nier­ten Mö­bel eben­so.

„Die Idee war, kei­ne Stan­gen­wa­ren aus dem Ka­ta­log oder dem Mö­bel­markt zu kau­fen, son­dern die Be­wohn­er­in­nen und Be­woh­ner in den Fer­ti­gungs­pro­zess mit­ein­zu­be­zie­hen“, sagt Ha­rald Gründl von Eoos. „Da­her ha­ben wir di­rekt im Haus ei­ne Mö­bel­werks­tatt auf­ge­baut, in der die Be­woh­ner nun selbst ih­re Ho­cker, Stüh­le, Ti­sche und Kü­chen­mö­bel bau­en.“

Bis­her wur­den in Erd­berg drei Kü­chen so­wie ei­ni­ge Hun­dert Mö­bel­stü­cke für die pri­va­ten Wohn- und Schlaf­zim­mer her­ge­stellt. Bis Jah­re­sen­de soll das Port­fo­lio auf ins­ge­samt 30 Kü­chen auf­ge­stockt wer­den. Au­ßer­dem soll das 21.000 Qua­drat­me­ter gro­ße und für ins­ge­samt 600 Be­woh­ner di­men­sio­nier­te Flücht­lings­heim – die Miet­ver­trä­ge lau­fen bis 2030 – bis Jah­re­sen­de bau­lich adap­tiert wer­den.

Die Ent­de­ckung des So­zia­len

Der drit­te und letz­te Bien­na­le-Streich fin­det sich auf dem ehe­ma­li­gen Sie­mens-Are­al in Fa­vor­iten. Wäh­rend ein Teil des Ge­bäu­des be­reits vom AMS für Schu­lungs­zwe­cke ge­nutzt wird, ent­steht auf zwei Eta­gen ein Wohn­heim für Flücht­lin­ge und Stu­die­ren­de. Die Kom­bi­na­ti­on ist neu. The Next Ent­er­pri­se ent­warf mo­bi­le Raum­mo­du­le, die auf we­ni­gen Qua­drat­me­tern sämt­li­che Funk­tio­nen des pri­va­ten Woh­nens ver­ei­nen. Kom­men­de Wo­che star­tet die Be­sie­de­lung.

Der heu­ri­ge ös­ter­rei­chi­sche Bien­na­le-Bei­trag ist un­ge­wöhn­lich und setzt auf ei­nem ver­hält­nis­mä­ßig tie­fen Le­vel an. Mit Ver­laub, das ar­chi­tek­to­ni­sche Ni­veau war schon mal hö­her. Mit Schir­men, Scha­lungs­ta­feln und klapp­ba­ren Schrank­bet­ten wird man kei­nen Pritz­ker-Preis ge­win­nen kön­nen. Aber da­rum geht es nicht. Das ist nicht der Punkt. Es geht um ein Be­kennt­nis zur Soft­wa­re­qua­li­tät, zur Ent­de­ckung und Ent­wi­cklung der so­zia­len Kom­po­nen­te.

„Ge­ra­de in schwie­ri­gen Le­bens­la­gen wie et­wa in Zei­ten der Flucht und Neu­ori­ent­ie­rung ist es wich­tig, den Men­schen Hand­lungs­spiel­räu­me für kul­tu­rel­le Co­des und kol­lek­ti­ve Ri­tua­le zu er­öff­nen“, sagt die deut­sche So­zio­lo­gin Ya­na Mi­lev. „Da­zu zäh­len Re­li­gi­on, Mu­sik, Tausch­ge­schäf­te, Dienst­leis­tun­gen so­wie Zu­gang zu di­gi­ta­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­dien. Die Pfle­ge der Kul­tur, die Auf­recht­er­hal­tung ei­nes ge­wis­sen All­tags macht die Men­schen psy­chisch im­mun. Und sie sorgt da­für, dass die Men­schen nach ein paar Wo­chen nicht durch­dre­hen und sich nicht ge­gen­sei­tig um­brin­gen.“

Be­such aus al­ler Welt

Das Kon­zept scheint auf­zu­ge­hen. „Pri­vat­sphä­re ist wich­tig, für je­den Ein­zel­nen von uns, und um­so mehr in heik­len, pre­kä­ren Si­tua­tio­nen“, sagt Fay­ad Mul­la-Kha­lil, Lei­ter des Not­quar­tiers Pfeif­fer­gas­se, der Mann mit dem WLAN. „Die Bien­na­le war ein gu­tes und wich­ti­ges Zug­pferd, um ge­nau da­rauf auf ei­ner brei­ten me­dia­len Ebe­ne auf­merk­sam zu ma­chen. Es gibt ein rie­si­ges In­te­res­se. Wie oft kommt es schon vor, dass Jour­na­lis­ten aus al­ler Welt nach Wien kom­men, um sich ein al­tes Bü­ro­haus mit Son­nen­schir­men aus dem Bau­markt an­zu­se­hen?“

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