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Das Ei in den Wol­ken
Der Standard

Vor kur­zem wur­de in Shenz­hen, Chi­na, das Mu­se­um für zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Stadt­pla­nung er­öff­net. Coop Him­melb(l)au hat sei­ne Kür er­füllt. Nun man­gelt es an der Pflicht des Hau­ses – den Ex­po­na­ten.

8. Oktober 2016 - Wojciech Czaja
Und plötz­lich steht man vor ei­nem rie­sen­gro­ßen Ei. Nein, das ist kein Ei, das ist ein Del­fin­kopf, sa­gen die Chi­ne­sen. Das ist kein Del­fin­kopf, das ist ei­ne zwei­ach­sig ge­krümm­te Skulp­tur, sagt der Pro­jekt­lei­ter. Das ist nicht ein­fach nur ei­ne Skulp­tur, das ist die Wie­der­ge­burt von Cons­tan­tin Brân­cuși, sagt der Ar­chi­tekt. Oder, noch bes­ser, das ar­chi­tek­to­ni­sche Eben­bild des Sa­turn­mon­des Phoe­be, der sei­nen Zen­tral­kör­per ent­ge­gen al­len as­tro­no­mi­schen Be­rech­nun­gen über­ra­schen­der­wei­se ge­gen­läu­fig um­kreist.

„Ich möch­te nie­man­dem vor­schrei­ben, was er in die­sem Ob­jekt zu se­hen hat“, sagt Ar­chi­tekt Wolf Prix vom Wie­ner Bü­ro Coop Him­melb(l)au. „Denn un­se­re Auf­ga­be ist es, die Form neu zu er­fin­den. Un­se­re Auf­ga­be ist es, die Ar­chi­tek­tur bis an ih­re Gren­zen aus­zu­rei­zen und das Un­mög­li­che mög­lich zu ma­chen.“ Der Herr mit der wie im­mer prot­zig in­sze­nier­ten Zi­gar­re in der Brust­ta­sche sei­nes Sak­kos blickt um sich und deu­tet mit dem Fin­ger auf das Ei, das kein Ei ist: „Ich has­se die Schwer­kraft, und ich lie­be die Wol­ken. Und die­ses Haus ist ei­ne be­son­ders freund­li­che Wol­ke.“

Das Mo­ca­pe – die Ab­kür­zung steht für Mu­se­um of Con­tem­po­ra­ry Art and Plan­ning Ex­hi­bi­ti­on – ist nicht nur Coop Him­melb(l)aus jüngs­ter Wurf, son­dern auch ei­nes der größ­ten Kunst­mu­se­en der Welt. Un­über­seh­bar prangt das me­tal­lisch ver­klei­de­te Rie­sen­ding im Stadt­zen­trum von Shenz­hen und bil­det – ge­mein­sam mit dem Ci­vic Cen­ter, der Book Ci­ty, dem Kul­tur­zen­trum und dem Kon­zert­haus des ja­pan­is­chen Ar­chi­tek­ten Ara­ta Iso­za­ki – so et­was wie das kul­tu­rel­le Herz der süd­chi­ne­si­schen Me­ga­me­trop­ole. Vor we­ni­gen Ta­gen wur­de das Haus fei­er­lich er­öff­net.

„Bis in die Acht­zi­ger­jah­re war Shenz­hen ei­ne klei­ne Markt­stadt, die auf Fi­sche­rei und Land­wirt­schaft spe­zi­a­li­siert war“, er­zählt Xu Chong Gu­ang. Der stell­ver­tre­ten­de Ge­ne­ral­se­kre­tär der Stadt­re­gie­rung war ei­ner der Fans und Fä­den­zie­her der al­ler­er­sten Stun­de. Ihm ist zu ver­dan­ken, dass das 2007 aus ei­nem Wett­be­werb re­sul­tie­ren­de Pro­jekt die Fi­nanz­kri­se über­stan­den hat und mit ei­ni­gen Jah­ren Ver­zö­ge­rung doch noch rea­li­siert wer­den konn­te.

„Wis­sen Sie, wir hat­ten da­mals 30.000 Ein­woh­ner“, sagt Gu­ang. „Doch durch die Nä­he zu Hong­kong und die 1979 ein­ge­führ­te Son­der­wirt­schafts­zo­ne ist Shenz­hen in all den Jah­ren auf weit mehr als zehn Mil­lio­nen Men­schen her­an­ge­wach­sen. In so ei­ner gro­ßen Stadt braucht es eben auch Kunst und Kul­tur. Das Mo­ca­pe ist der wun­der­schö­ne Schluss­stein in un­se­rem Kul­tur-Mas­ter­plan für Shenz­hen.“

Ab durch die Schirm­kap­pe

Auf den er­sten Blick wirkt das 160 Me­ter lan­ge und 140 Me­ter brei­te Ge­bäu­de ab­wei­send und her­me­tisch. Erst bei nä­he­rem Hin­se­hen er­kennt man hin­ter dem Ket­ten­hemd aus dreie­ckig ge­form­ten Edel­stahl-Git­ter­kas­set­ten ei­ne gläs­er­ne Haut, die das In­nen­le­ben um­schmiegt und zwi­schen den bei­den Mu­se­ums­hälf­ten für Stadt­pla­nung und zeit­ge­nös­si­sche Kunst so et­was wie ei­nen über­dach­ten Markt­platz de­fi­niert. Mit Ein­bruch der Dun­kel­heit wer­den die Me­tall­kas­set­ten be­leuch­tet, und das Mu­se­um ver­wan­delt sich auf Knopf­druck in ei­nen glit­zern­den Kris­tall von gi­gan­ti­schen Aus­ma­ßen.

So lan­ge will man an die­sem 33 Grad hei­ßen, schwü­len Er­öff­nungs­tag frei­lich nicht war­ten. Um 15 Uhr schon be­stei­gen Hun­der­te von Men­schen die Roll­trep­pen, die un­ter ei­nem ge­schwun­ge­nen, schirm­kap­pe­nar­ti­gen Vor­dach di­rekt ins In­ne­re ge­lei­ten. Kaum hat man das Foy­er be­tre­ten, bäumt sich vor ei­nem schon das rie­sen­gro­ße Ei auf. Nicht von un­ge­fähr er­in­nert das hoch­glanz­po­lier­te Edel­stahl­ob­jekt, das sich über drei Stock­wer­ke bis un­ters Dach er­streckt, an An­ish Ka­poors Cloud Ga­te im Chi­ca­go­er Mil­len­ni­um Park. Und auch die Re­ak­ti­on der Fest­gäs­te ist die glei­che: Wäh­rend im Hin­ter­grund auf ei­ner Knöp­ferl­har­mo­ni­ka Wal­zer und Pol­ka er­klin­gen, wer­den schon eif­rig die er­sten spiegel­glat­ten Selbst­por­träts ge­schos­sen.

„Na­tür­lich ha­ben wir da­mit spe­ku­liert, dass die Men­schen das Ob­jekt als Ein­la­dung und als Fo­to­mo­tiv ver­ste­hen“, er­klärt Mar­kus Pross­nigg, Pro­jekt­lei­ter bei Coop Him­melb(l)au. „In ge­wis­ser Wei­se aber soll die Skulp­tur auch den Geist des Mu­se­ums wi­der­spiegeln. Die Räu­me und Aus­stel­lungs­flä­chen sind so groß und so frei, dass sie Platz für al­les Mög­li­che bie­ten.“ Al­lein die Whi­te Box für zeit­ge­nös­si­sche Kunst ist mehr als 100 Me­ter lang und zwölf Me­ter hoch. Hier – so der Plan – sol­len ei­nes Ta­ges Skulp­tu­ren und aus­la­den­de Raum­in­stal­la­tio­nen aus­ge­stellt wer­den.

Und da­mit ist der mit Ab­stand sen­si­bel­ste Punkt des Mo­ca­pe an­ge­spro­chen. Denn wäh­rend die über­aus be­ein­drucken­de Kür der Ar­chi­tek­tur be­reits ab­ge­schlos­sen ist, man­gelt es aus­ge­rech­net an der Pflicht des Hau­ses – an den Ex­po­na­ten. „Es gibt noch kein Pro­gramm für die Aus­stel­lung“, sagt Xu Chong Gu­ang. „Wir sind ge­ra­de auf der Su­che nach ei­nem Ku­ra­tor und nach ei­ner für uns pas­sen­den Samm­lung. Aber das braucht noch Zeit.“ An­ge­dacht ist ei­ne Mi­schung aus lo­ka­ler, na­tio­na­ler und in­ter­na­tio­na­ler Kunst. An­fang näch­sten Jah­res soll das 1,6 Mil­li­ar­den Yu­an teu­re Mu­se­um (rund 214 Mil­lio­nen Eu­ro) in Be­trieb ge­hen – frü­hes­tens.

Hül­le hui, drin­nen leer

„Pe­king, Schang­hai und Hong­kong sind be­reits mit al­ler­lei kul­tu­rel­ler In­fras­truk­tur aus­ge­stat­tet und ha­ben ei­nen In­vest­ment- Ze­nit er­reicht“, er­klärt Franz Röss­ler. Der ös­ter­rei­chi­sche Wirt­schafts­de­le­gier­te in Hong­kong ist ei­ner der Fest­gäs­te an die­sem Tag. „Nun macht man sich an die gro­ßen Se­kun­därs­täd­te wie et­wa Chong­qing, Cheng­du, Gu­ang­zhou, Xi’an und Shenz­hen he­ran. Es wer­den Kul­tur­bau­ten von gi­gan­ti­schen Aus­ma­ßen ge­baut. Nur lei­der wird oft da­rauf ver­ges­sen, dass sol­che Bau­ten auch ein Pro­gramm und ei­ne ent­spre­chen­de Pfle­ge brau­chen.“

Ein ir­gend­wie chi­ne­si­sches Pro­blem. Wolf Prix sieht die Sa­che ent­spann­ter. „Es gibt ei­ne tol­le Kunst-, Kul­tur- und De­signs­ze­ne in Shenz­hen. Und die wird man sich hier hof­fent­lich zu ei­gen ma­chen. Au­ßer­dem wird in Hong­kong und Shenz­hen die Bi-Ci­ty Bien­na­le of Ur­ba­nism and Ar­chi­tec­tu­re aus­ge­tra­gen. Was die Nut­zung be­trifft, ma­che ich mir al­so kei­ne Sor­gen.“ Bis es so weit ist, so Prix, wer­de sich das Haus eben selbst aus­stel­len. Zu se­hen gibt es wahr­lich ge­nug. Denn das Mo­ca­pe ist nicht nur ein Mu­se­um, son­dern auch so et­was wie der bis­he­ri­ge Hö­he­punkt in der von Coop Him­melb(l)au so ex­zes­siv be­trieb­enen Neu­er­fin­dung der Form.

„Re­li­giö­se Bau­ten und Sig­na­tu­re-Build­ings wird es im­mer ge­ben“, sagt der Mann mit Zi­gar­re. „Denn die Ge­sell­schaft braucht drei­di­men­sio­na­le Sym­bo­le. Das liegt in un­se­rer Na­tur. Wir ha­ben un­se­ren Part er­füllt. Jetzt ist Shenz­hen an der Rei­he.“ An der Zu­kunft des Mo­ca­pe wird sich wei­sen, ob die Stadt­re­gie­rung das Kon­zept Kunst­mu­se­um ver­stan­den hat – oder ob das For­mat bloß den gro­ßen Kul­tur­me­trop­olen ab­ge­kup­fert wur­de.

Die Rei­se er­folg­te auf Ein­la­dung des Stadt­pla­nungs­in­sti­tuts Shenz­hen.

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