Artikel

„Eine urtypisch wienerische Geschichte“
Der Standard

Nach der „Nachdenkpause“ ist das Projekt auf dem Areal Intercont und Eislaufverein in Wien geschrumpft. Reicht das, um die Unesco milde zu stimmen? Ein Gespräch mit dem Schweizer Städtebauer Christoph Luchsinger, der das monatelange Vermittlungsverfahren zwischen Stadt und Investor leitete.

7. Januar 2017 - Wojciech Czaja
Standard: Durch Ihre Leitung im Vermittlungsverfahren wurde der Turm auf dem Areal Intercont-Hotel und Eislaufverein um zehn Meter gestutzt. Ist das Projekt dadurch wirklich besser geworden?

Luchsinger: Deutlich besser sogar. Der Turm ist mit 66 Metern nun niedriger und hat auch eine maßvolle Verschlankung erlebt. Die übrigen Baukörper wurden neu arrangiert. Dadurch wirkt das gesamte Ensemble rund um Intercont, Heumarkttrakt, Eislaufverein und Konzerthaus stadträumlich kompakter.

Standard: Das Projekt des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld hat unter anderem deshalb gewonnen, weil es das Intercont-Hotel erhalten und sanieren wollte. Nach der Überarbeitung soll das Gebäude abgerissen werden.

Luchsinger: Die vertieften Studien der Gebäudestruktur haben ergeben, dass vom Originalbestand lediglich zehn bis 15 Prozent erhalten werden könnten, nämlich Teile des Rohbaus. Diese wären auch bei der von ihm geplanten Sanierung nicht sichtbar gewesen. Entscheidend ist nicht der Erhalt der Originalsubstanz, sondern des städtebaulichen Arrangements. Diese Qualität war auch für Weinfeld ausschlaggebend.

Standard: Wird sich die Umplanung auf die Realisierbarkeit des Bauvorhabens auswirken?

Luchsinger: Ich denke ja. Erstens: Auf der Ebene der Flächenwidmung und der behördlichen Einreichung spricht nun nichts mehr gegen das Projekt. Die allermeisten Bedenken wurden aus dem Weg geräumt. Zweitens: Die Stadt Wien wollte eine Pause, um nachzudenken, und diese wurde auch effizient genutzt. Daher sehe ich auch hier keinen Einwand.

Standard: Und drittens?

Luchsinger: Und drittens gibt es noch die Unesco und ihr Weltkulturerbe. In diesem Punkt ist die Realisierbarkeit des Projekts am schwierigsten einzuschätzen. Das hängt davon ab, wie die Unesco die Umplanungen beurteilen wird und wie Wien die Stellungnahme der Unesco aufgreifen wird.

Standard: Eva Nowotny, Präsidentin der Österreichischen Unesco-Kommission, hat sich in einer Presseaussendung gegen das Resultat der Umplanung ausgesprochen. Sie meinte, das Höhenlimit liege nach wie vor bei 43 Metern.

Luchsinger: Und das ist auch meine größte Kritik. Sowohl Unesco als auch Icomos haben sich in dieser Position eingebunkert und sich in den letzten viereinhalb Jahren keinen Deut bewegt. Beide Institutionen arbeiten nach einem Prinzip: No centimeter more! 43 Meter sind ein quantitatives und kein qualitatives Kriterium. Das ist keine Diskussionsgrundlage. Auf dieser Basis kann man nicht verhandeln.

Standard: Was wünschen Sie sich stattdessen?

Luchsinger: Ich wünsche mir, dass auch einmal über die konkrete Aufwertung der gesamten Anlage diskutiert wird. Weder Unesco noch Icomos haben je auch nur mit einem Wort erwähnt, dass durch das geplante Bauvorhaben mitsamt Sport- und Kongresszentrum das gesamte Areal funktional und gesellschaftlich enorm aufgewertet wird.

Standard: Wie wird es weitergehen?

Luchsinger: Aufgrund unterschiedlicher Mängel wird die Unesco in ihrer nächsten Sitzung im Sommer, die in Krakau stattfinden wird, Wien auf die Rote Liste setzen. Das hat sie schon bei ihrer letzten Sitzung in Istanbul angekündigt.

Standard: Wien ist kein Einzelfall. Auch im Umgang mit anderen Orten ist die Unesco unzufrieden.

Luchsinger: Weltweit gibt es ein gutes Dutzend Städte und Denkmale, die bereits verwarnt wurden und die demnächst auf die Rote Liste gesetzt werden könnten – darunter auch Liverpool und Venedig. In Liverpool hegt man Bedenken ob eines geplanten Hochhauses, denn dieses soll in jenem Uferbereich errichtet werden, von dem aus früher Sklaven nach Amerika verschifft wurden. Das sei mit der Geschichte der Stadt nicht vereinbar. Und Venedig soll auf die Rote Liste gesetzt werden, weil es dort mittlerweile zu viele Touristen gibt, die die Stadt nach und nach zerstören.

Standard: Es war die Unesco, die Venedig 1987 zum Weltkulturerbe ernannt und den touristischen Zustrom damit verstärkt hat.

Luchsinger: Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Da merkt man, wie technokratisch und unreflektiert die Unesco agiert.

Standard: Wie meinen Sie das?

Luchsinger: Ich vergleiche die Unesco gerne mit der Fifa. Da wie dort sprechen wir von einem Machtinstrument einer nicht wirklich demokratisch legitimierten Compagnie, die mit einer derartigen Präzision an offenen Diskussionen vorbeientscheidet, dass es einfach absurd ist. Es lohnt sich übrigens, die Rote Liste des gefährdeten Welterbes zu studieren. Ohne zynisch sein zu wollen: Das liest sich wie ein alternativer Reiseführer.

Standard: Was tun? Haben Sie einen Ratschlag für die Stadt Wien?

Luchsinger: Im Jänner wird es einen Bericht darüber geben, ob das Projekt Intercont und Heumarkt das Weltkulturerbe gefährdet oder nicht. Unabhängig davon würde ich Wien empfehlen, die Wartezeit bis Sommer zu nutzen, um einen Managementplan aufzusetzen, in dem ganz genau festgehalten ist, wie Wien in Zukunft mit dem städtebaulichen und kulturellen Erbe umzugehen gedenkt. Ein solches – aktives – Bekenntnis vermisse ich. Bislang hat Wien immer nur passiv und defensiv auf das reagiert, was Unesco und Icomos so von sich geben.

Standard: Gesetzt den Fall, Wien landet auf der Roten Liste, was dann?

Luchsinger: Dann wird man der Stadt spätestens mit Baubeginn des Intercont-Projekts den Titel Weltkulturerbe aberkennen. Das ist das, was die Unesco angekündigt hat.

Standard: Und wäre das schlimm?

Luchsinger: Nein.

Standard: Was wäre dann anders?

Luchsinger: Nichts. Es gibt viele andere, auch dynamischere Methoden, mit dem kulturellen Erbe einer Stadt umzugehen. Schauen Sie sich nur einmal das Beispiel Innsbruck an! Innsbruck hat sich immer schon gegen eine Unterschutzstellung ausgesprochen, weil es der Meinung ist, selbst entscheiden zu können, was möglich ist und was nicht. Das Resultat dieser jahrzehntelangen Eigenverantwortung ist eine historisch wunderbar bewahrte Altstadt mit ein paar sehr guten zeitgenössischen Impulsen.

Standard: Eine gute Stadtplanung braucht also keine Unesco?

Luchsinger: Genau das heißt es. Eine Stadtplanung, die keinerlei Kompromisse eingeht und die mit Investoren, Projektentwicklern und Architekten in erster Linie nicht über Quantität, sondern über Qualität diskutiert, kann selbst gestalten und braucht dazu keine Unesco.

Standard: Auf Expertenseite hört man immer wieder, die Stadtplanung in Wien sei zu wenig präzise.

Luchsinger: Ganz generell muss ich sagen, dass in Wien die Dinge mit extrem großem Aufwand seriös abgewickelt werden. Die Wiener Stadtplanung nimmt ihre Aufgabe sehr ernst. Das Problem liegt nicht in einer fehlenden Präzision, sondern schlicht und einfach darin, dass in Wien zu viele Instanzen mitmischen.

Standard: Mit Instanzen meinen Sie die Magistratsabteilungen?

Luchsinger: Ja. Und mittlerweile gibt es nicht nur die MA 21, die Stadtentwicklung betreibt, sondern auch die MA 18, MA 19, MA 20, MA 22, MA 25, MA 28, MA 37 und MA 50 – und vielleicht noch ein paar andere. Und oft weiß die eine Magistratsabteilung nicht, was die andere macht. Diese Zerstückelung von Zuständigkeit ist ein Problem. Ich würde der Stadt empfehlen, ihre Kompetenzen zu bündeln und den Apparat zu verschlanken.

Standard: Ist das realistisch?

Luchsinger: Kaum. Wien ist historisch eine Stadt der Stände, und ich fürchte, der Stadtplanungsapparat wird noch viel komplexer werden. Wien hat immer schon gesudert und eine Art produktiven Durchwurstelns praktiziert. Sudern und Durchwursteln ist eigentlich ein zutiefst produktiver Prozess. So – und zwar nur genau so – ist Wien zu dem geworden, was es heute ist.

Standard: Auch dem Wiener Hochhauskonzept, das im Rahmen des Stadtentwicklungsplans 2025 erstellt wurde und an dem Sie maßgeblich mitgewirkt haben, wird von Experten nachgesagt, es wirke durchgewurstelt. Manche Passagen darin wirken schwammig.

Luchsinger: Eine aggressiv proaktive Stadtplanung in einer jahrhundertelang gewachsenen Stadt ist ein Ding der Unmöglichkeit. In einer Stadt wie Wien darf man nicht nur offensiv sein. Man muss an die Sache auch reaktiv herangehen.

Standard: Genau das ist auch das Problem beim Intercont-Projekt. Die fehlende Schärfe und Präzision haben dazu geführt, dass die Wogen hochgegangen sind.

Luchsinger: Das kann man so nicht sagen. Die Emotionen kommen, weil sich das Projekt in einer prominenten, sensiblen Lage befindet. Der Turm steht genau in der Achse zwischen Belvedere und Innenstadt und nimmt im sogenannten Caneletto-Blick eine zentrale Position ein. Nicht zuletzt sind die meisten von uns im Eislaufverein schon einmal eisgelaufen. Das macht natürlich nostalgisch und sentimental.

Standard: Sind die Emotionen angemessen?

Luchsinger: Nein, das sind sie nicht. Es gibt in Österreich viele Projekte, bei denen weniger transparent gearbeitet wird. Die Emotionen, die hier sichtbar wurden, sind Stellvertreteremotionen.

Standard: Denken Sie, dass das Projekt Intercont und Eislaufverein realisiert wird?

Luchsinger: Wenn dieses Bauvorhaben realisiert wird, dann so, wie es jetzt geplant ist.

Standard: Und wenn nicht?

Luchsinger: Plan B ist, dass alles so bleibt, wie es ist. Das wäre dann eine urtypisch wienerische Geschichte.
Christoph Luchsinger (62) ist Architekt und Städtebauer und leitet Büros in Wien und Luzern. Seit 2009 ist er Professor für Städtebau und Entwerfen an der TU Wien und leitete das Vermittlungsverfahren bezüglich des Areals Intercont und Eislaufverein .

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: