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Architekt Dolf Schnebli siebzigjährig
Neue Zürcher Zeitung
24. Dezember 1998 - Roger Diener
Am 27. Dezember wird Dolf Schnebli 70 Jahre alt. 1928 in Baden geboren, hat er nach der Matura sein Architekturstudium an der ETH in Zürich aufgenommen. Seine Laufbahn führte ihn von Zürich nach Paris, Zürich, Mülhausen, Venedig, New York, Boston, Zürich, Agno, St. Louis, Boston und wieder nach Zürich. 1952 hat er die Sommerschule CIAM in Venedig absolviert. Ernesto Rogers, Franco Albini, Ignazio Gardella, Carlo Scarpa und Bruno Zevi begleiteten seine städtebauliche Entwurfsarbeit. In Boston hat er 1954 an der Harvard Graduate School of Design Josep Lluis Serts Meisterklasse besucht, mit Naum Gabo und Serge Chermayeff unterrichtet, bei Walter Gropius gearbeitet und sich dort mit Sigfried Giedion und Werner M. Moser befreundet, beide damals Professoren in Harvard. 1956 erhielt er das Wheelwright Fellowship, ein Reisestipendium der Harvard University, um die Stadtgründungen des Altertums zu besuchen, seine Voyage d'Orient. Die Reise führte ihn auf dem Landweg von Venedig nach Indien. 1958 gründet er ein eigenes Büro in Agno. Bereits 1960 entsteht das Gymnasium in Locarno, erstes Werk einer Reihe von Schul- und Universitätsbauten nach seinen Plänen. Zehn Jahre später, 1965, ist er als Gastdozent über St. Louis nach Harvard zurückgekehrt und hat bis 1969 in Boston und Berkeley unterrichtet. 1969 kommt er als Gastdozent nach Zürich, 1971 wird Dolf Schnebli zum ordentlichen Professor an die ETH gewählt.

Städtebau und Architektur unterscheiden sich nicht so sehr in dem unterschiedlichen Massstab ihres Forschungsgegenstandes als in ihrer Methode. Städtebau ordnet und beschreibt die Beziehungen, die zwischen den verschiedenen Teilen einer urbanen Architektur gelten. Architektur dagegen beschreibt die Teile selbst und bestimmt das einzelne Objekt. Dolf Schnebli hat in seinem Unterricht die Methoden der beiden Disziplinen vertauscht. Er unterrichtet Architektur wie Städtebau. Er diskutiert nicht das architektonische Objekt für sich, sondern er erläutert den Zusammenhang zwischen den gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen und der architektonischen Figur, die Beziehung zwischen Form und Material. Mit Paul Hofer, dem Ordinarius für Stadtbaugeschichte, erforscht er Stadtgrundrisse. Diese Arbeit wird für die Studenten zu einer inspirierenden Grundlage für das Entwerfen. Sie strömen in Überzahl in sein Atelier. Dolf Schnebli wird an der wichtigsten Architekturschule im deutschen Sprachraum zu einem überragenden Lehrer. Hans Poelzig in Berlin oder Karl Moser in Zürich müssen einen ähnlichen Einfluss auf die Studenten ausgeübt haben. Sein Auftreten ist unbürgerlich, nicht professoral, aber er besteht auf dem Wort. Man kann sich Dolf Schnebli vielleicht am besten vorstellen, wenn man zugleich an Jeannot Tinguely und Hans Küng denkt.

Kaum ist Dolf Schnebli als Professor an die ETH berufen worden, holt er 1972 den italienischen Architekten Aldo Rossi als Lehrer an die Schule. Er führt seinen prominenten Kollegen an der Fakultät ein, noch bevor er sein eigenes Wirken ganz entfaltet hat. Wissend, dass eine einzelne Spur bestenfalls zu einem Zeilendorf führen wird, hat er mit Aldo Rossi eine zweite Achse gelegt, die sich nach römischem Vorbild wie Cardo und Decumanus gekreuzt hat, und hat so, bildhaft gesprochen, eine ganze Stadt gegründet. Wichtig ist fortan nicht nur die Entwicklung entlang der Achsen von Schnebli und Rossi, sondern auch in jenen Feldern, die sich dazwischen aufspannen. Die Wirkung ist gross, Architektur konstituiert sich neu; zu Dolf Schneblis Assistenten gehören Arthur Rüegg, Jacques Herzog, Fabio Reinhard, Silvia Gmür und Ruggero Tropeano. Seine Präsenz ist enorm, Dolf Schnebli wird auch als Preisrichter zum Tutor jener Erneuerung der Architektur, die er selbst eingeleitet hat.

Dolf Schneblis Praxis als Architekt ist nicht weniger beeindruckend. Seit fast 50 Jahren sind Bauten von grosser Intensität entstanden, alle fest gefügt und doch mühelos gesetzt. Die Räume, das Licht und das Material bilden ein dichtes Ganzes. Die Häuser wirken nie erstarrt, sondern von einem inneren Dialog leise bewegt. In der Architektur von Dolf Schnebli sind die Menschen seltsam gegenwärtig. Die Bauwerke sind nie spektakulär und dennoch unvergesslich. Das Gartenbad in Wohlen mit seinen aufgesetzten Wasserbecken aus dem Jahr 1965 ist eine solche stille und poetische Ikone, die im Umgang mit der Landschaft ebenso aktuell ist wie das bekanntere Bad in Bellinzona, das zur gleichen Zeit von seinen Tessiner Kollegen entworfen wurde. Zu ihnen gehört Flora Ruchat-Roncati, die von 1991 bis 97 Partnerin in seiner Bürogemeinschaft war. Dolf Schnebli emeritiert 1994, mitten in einer intensiven Schaffensphase. Wenig später entsteht der Entwurf für die Erweiterung der ETH Lausanne, ein bedeutendes Projekt, das zurzeit ausgeführt wird. Heute firmiert Dolf Schnebli als Architekt unter dem Namen «sam», zusammen mit seinem langjährigen Partner Tobias Ammann und Sacha Menz.

Dolf Schnebli kann auf ein grosses Werk zurückblicken. Kaum zu glauben, wenn man ihm mit Jamileh Weber begegnet, die ihm die grosse amerikanische Kunst wiedergebracht hat, die er schon damals in den USA erlebte. Dolf Schnebli hat auch ein grosses Werk vor sich.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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