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Ironie im Hamsterrad
Ironie im Hamsterrad, Foto: Dietmar Tollerian
Ironie im Hamsterrad, Foto: Dietmar Tollerian
Spectrum

Ausgelobt war ein Ideenwettbewerb zum Thema „Wohnen“. Die 357 Einsendungen zu „Future Vision Housing“, die in Linz zu sehen sind, zeigen vor allem eines: Beim Haus der Zukunft kommt es nicht darauf an, wie es aussieht, sondern wie es sich verkauft.

14. Oktober 2000 - Christian Kühn
Die Architekten der klassischen Moderne verstanden sich als professionelle Visionäre. Ihre Hausentwürfe waren Lebensentwürfe, ihre Stadtplanungen Skizzen neuer Gesellschaftsformen. Le Corbusiers Schlachtruf „Baukunst oder Revolution!“ zeugt von der Hoffnung, die Gesellschaft verändern zu können, indem man ihr neue Häuser baut. Gegen diese Hoffnung lassen sich viele Argumente anführen. Der Philosoph Ernst Bloch, der architektonische Utopien als „Bauten, die eine bessere Welt abbilden“, durchaus zu würdigen wußte, diagnostizierte in ihr eine Verkehrung von Ursache und Wirkung: „Eben weil die Architektur weit mehr als die anderen bildenden Künste eine soziale Schöpfung ist und bleibt, kann sie im spätkapitalistischen Hohlraum überhaupt nicht blühen.“ Zuerst, bitte, eine andere Gesellschaft, die Architektur wird dann schon folgen.

So läßt sich freilich nur aus einer zähflüssigen Gegenwart heraus argumentieren. Wenn sich die gesellschaftliche Entwicklung beschleunigt, steigt auch in der Architektur der Bedarf nach visionären Entwürfen. Motiv dafür ist weniger der Wunsch nach einer Vorhersage der Zukunft als vielmehr jener nach einem besseren Verständnis der Gegenwart und ihrer Potentiale.

Das „Art & Tek Institute“ an der Universität für Gestaltung in Linz, dem Herbert Lachmayer vorsteht, hat sich vor zwei Jahren mit Visionen für die Arbeitswelt auseinandergesetzt: „Future Vision Work“ hieß eine Ausstellung, die von einem internationalen Ideenwettbewerb begleitet war. Zusammen mit dem Architekturforum Oberösterreich hat das „Art & Tek Institute“ diesen Wettbewerb zu einer Biennale weiterentwickelt, die der visionären Auseinandersetzung mit architektonischen Grundproblemen dienen soll. „Future Vision Housing“ hieß das diesjährige Thema. Erholung und Verkehr stehen für die nächsten beiden Wettbewerbe auf dem Programm. Die Auslober bedienen sich damit - wenn auch nur als „Orientierungsfolie in einer zunehmend orientierungslosen Gegenwart“ - einer Gliederung, die von den Hauptvertretern der klassischen Moderne als Lösung für die funktionellen Probleme der Stadt gesehen wurde.

Dieser implizite Rekurs auf den Funktionalismus ist geradezu eine Einladung, ironische Beiträge zu liefern. Die Jury, bestehend aus Olaf Gipser, Odile Decq, Hans Frei, Bettina Götz und Margit Ulama, hat Humor bewiesen, indem sie eine derartige Einreichung mit dem dritten Preis auszeichnete. Das Team TTT&T aus Berlin reichte eine „Future Vision Wohnpaste“ ein, komplett mit Verpackung und Warnung vor unerwünschten Nebenwirkungen. Neu ist diese ironische Abrechnung mit dem Funktionalismus freilich nicht: Schon Hans Hollein und Peter Noever haben Ende der sechziger Jahre den Raumspray „Svobodair“ konzipiert, der statt simplem Tannenduft eine ganze Büroumwelt hervorzaubern sollte.

Unter den Preisträgern, auf die das von Sponsoren aus der Industrie beigestellte Preisgeld von beachtlichen 17.500 Euro aufgeteilt wurde, finden sich noch andere, die in die sechziger Jahre zurückweisen. Der erste Preis tarnt sich als Werbebroschüre für ein „Haus der Zukunft“, allerdings unter dem paradoxen Slogan: „SOLID - we don't build houses“. Das Produkt selbst ist nur schemenhaft dargestellt, eine pneumatische Hülle mit abgerundeten Ecken, deren Oberfläche chamäleonartig jede beliebige Textur annehmen kann. Was in den sechziger Jahren ein Ausbruch aus den Konventionen war, ist hier, ganz im Gegenteil, die bedingungslose Kapitulation des Wohnens vor der Konsumgüterindustrie. Wie das SOLID-Haus aussieht, ist völlig gleichgültig: SOLID paßt in jede Lücke, übernimmt jedes Muster, das gerade gefällt, ermöglicht den Partnerlook mit dem eigenen Haus. Wichtig ist das Lebensgefühl, das mit ihm verkauft wird. Heimat wird zur Dienstleistung: Während SOLID übersiedelt wird, wohnt der Besitzer gratis in einem Fünf-Sterne-Hotel.

Direkt aus den sechziger Jahren importiert wirkt auch das „urban.sushi“ der Wiener Gruppe „awg-alleswirdgut“, eine Art Hamsterrad aus Kunststoff, in dem alle Wohnfunktionen auf kleinstem Raum bereitstehen. Als durchgedrehte Tonne des Diogenes hat das Objekt, dessen Prototyp kürzlich in der Ausstellung „Den Fuß in der Tür“ im Wiener Künstlerhaus zu sehen war, einen hohen Unterhaltungswert. Ob es tatsächlich „realistisch konzipiert“ ist, wie der Wettbewerbsbericht hervorhebt, darf jedoch - trotz aller Referenzen zur Autoindustrie und zu Produkten wie dem „smart“ - bezweifelt werden.

Aus den weiteren Projekten ragen zwei hervor, die weitgehend ohne Ironie auskommen. Im Beitrag „swap“ wird von den Autoren - Christoph Falkner, Thomas Grasl, Georg Unterhohenwartner und Rainer Fröhlich - ein Experiment über nomadisches Wohnen dokumentiert. Der Name „swap“ ist Programm: Zwölf Testpersonen wechselten in einem Rhythmus von zwei Tagen ihre Wohnungen, um die Notwendigkeit der „eigenen“ Wohnung zu hinterfragen. Sie übersiedelten dabei jeweils mit einem „Survival-Kit“, in den sie alles für sie Lebens- und Arbeitsnotwendige gepackt hatten. Im Unterschied zum SOLID-Projekt kommt „swap“ ohne Lifestyle-Vorgaben aus und zielt nicht allein auf gesteigerte Individualität ab, sondern auf ein offenes Netzwerk von Individuen. Auf die Chance, damit der massenhaften Individualität der Lifestyle-Inszenierungen eine Alternative entgegenzusetzen, hat schon Vilém Flusser hingewiesen: „Die offene Vernetzung ist eine Alternative zur inkompetent gewordenen Vermassung. Die Hände, die sich an keinen Ast mehr klammern können, woanders hin können sie langen als in Richtung der Hand des Anderen?“ Auf diesen Satz bezieht sich auch das poetischste der prämierten Projekte, das „sensible house“ von Frederike Putz aus Hamburg. Neuen Wohnraum zu schaffen bedeute, neue Beziehungen herzustellen. Ihr Beitrag dazu ist eine Maschine, die Wahrnehmungen verwandelt und in den Herstellungsprozeß von Kultur eingreift. Die Stadt, von Flusser einmal als Wellental in der Bilderflut bezeichnet, wird in dieser Maschine als Interferenz zwischen Gewohntem und Ungewohnten generiert.

Bis 29. Oktober sind alle 357 eingereichten Beiträge zu „Future Vision Housing“ im Offenen Kulturhaus Linz (Dametzstraße 30; täglich von 10 bis 18 Uhr, dienstags bis 20 Uhr) zu sehen. Wer nach der Architekturbiennale in Venedig noch mehr Verwirrung über den aktuellen Zustand der Architektur verträgt, wird an dieser Ausstellung seine Freude haben.

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