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Baustelle in progress
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„Ich bekenne mich zum Starsystem, weil die Architektur in den letzten 20 Jahren Teil der Kulturindustrie geworden ist.“ Dietmar Steiner, Leiter des „Architektur Zentrums Wien“, über architektonische Hard- und Software, das Museumsquartier und warum er nicht daran denkt, Hans Hollein ans Bein zu pinkeln. Ein Gespräch.

22. September 2001 - Wojciech Czaja
Eine jahrzehntelange Diskussion hat ein Ende gefunden, auch ohne Leseturm läßt sich ein Museumsquartier eröffnen. Dichter, vielfältiger und größer entspringt aus dem roten MQ-Knopf unter dem Spittelberg auch das neue „Architektur Zentrum Wien“. In neuen Räumen, mit neuem Logo und unter seinem alten Leiter, Dietmar Steiner, beginnt hier am 11. Oktober der „Sturm der Ruhe“: Mit Projekten von Adolf Loos, Herzog & de Meuron, Adolf Krischanitz, Riegler & Riewe und vielen weiteren begibt man sich auf die Suche nach der emotionalen Komponente in der Architektur.

Dietmar Steiner, seit 1992, als das „Architektur Zentrum Wien“ auf Initiative von Minister Scholten und Planungsstadtrat Hannes Swoboda gegründet wurde, sind Sie nun Direktor. Wo hat Architektur in Wien vor 1992 stattgefunden?

Es hatte eben nie einen Ausstellungsraum für Architektur gegeben, was mit den aufkommenden Wanderausstellungen zu einem Problem geworden ist. Fallweise haben entweder das Zwanz'gerhaus oder das Museum für angewandte Kunst ausgeholfen. Diese Umstände waren eigentlich der Anlaß, von seiten der Politik eine professionelle Vermittlungsinstitution für Architektur vorzuschlagen.

Das Niederländische Architekturinstitut in Rotterdam (NAI) ist ein schreiendes Gebäude in einer Parklandschaft und macht sich selbst nach außen sichtbar. Der Baustellencharakter des AZW ist natürlich weitaus ungefährlicher als eine implizierte Stellungnahme zum aktuellen Baugeschehen.

Die Frage kommt immer wieder: Warum hat das „Architektur Zentrum Wien“ keinen Neubau? Erstens sind wir über unseren Standort glücklich, und diese Lage ist uns allemal wichtiger als ein neues Gebäude. Im Museumsquartier mitten in der Stadt an einer U-Bahn-Kreuzung - einen hochwertigeren Standort kann man sich nicht vorstellen. Und was das Gebäude betrifft: Die alten Räume, die uns zur Verfügung stehen, sind für die wechselnden Ausstellungen ein neutraler Hintergrund. Wir wollen bewußt keine architektonische Stellungnahme in unserer Hardware, da wir ja ohnehin wechselnde Architekturen präsentieren. Wir haben uns in zehn Jahren vom Provisorium bis zum heutigen Status quo gut entwickelt und sind sicherlich noch nicht am Ende: Ortner & Ortner hatten im Wettbewerbsentwurf für das Museumsquartier ein zusätzliches neues Gebäude für das AZW vorgesehen. Wer weiß, welchen Bedarf die Zukunft bringt.

Der In-progress-Ansatz einer Baustelle ist einerseits „cool“, andererseits macht Sie diese Tarnung nur für eine bestimmte Zielgruppe interessant, obwohl das AZW im Kulturcluster MQ weitaus größere Potentiale hat. Noch geht der Unwissende ahnungslos vorbei.

Da haben wir wirklich ein Problem, und wir werden das in nächster Zeit auch angehen. Für uns sind historische Fassaden nicht heilig, wir müssen mit zusätzlichen Maßnahmen auf uns aufmerksam machen. Leider haben wir nicht einen Ein- und Ausgang, sondern fünf Verbindungen in den öffentlichen Raum, daher müßte man alles extra kennzeichnen. Ich möchte mich vor allem vor der Fassade des Fischer-von-Erlach-Traktes bemerkbar machen. Und das wird sicherlich die Diskussion der nächsten Monate prägen.

Wiens zweitstolzeste Baustelle ist beendet - das AZW ist mitgewachsen. Ich nehme an, nicht nur räumlich.

Was wir bisher machten, wird sich im Grunde nicht ändern, nur können wir das ab sofort professioneller und effektiver realisieren. Es gibt nun zwei Ausstellungsräume, die man parallel bespielen kann. Wir haben auch das Podium für Diskussionen und Veranstaltungen dazubekommen. Neu ist auch die Bibliothek im Oktogon, die nun endlich auch öffentlich zugänglich ist. Es ist unser großer Wunsch, mit verschiedenen Aktivitäten der Idee der Zentrums näherzukommen. Es gibt bei uns keine Eintrittskarten, sondern nur Tagesmitgliedschaften, es ist also dem Besucher überlassen, wie und wohin er sich bewegt, was er sich ansieht und ob er sich nach der Ausstellung in die Bibliothek setzt, um noch etwas nachzulesen.

Vergangenes Jahr zeigte das „Architektur Zentrum“ eine Ausstellung unter dem Titel „Emerging Architecture“. Sie bemühen sich offensichtlich, neue österreichische Architektur zu forcieren.

Wir haben zwei Hauptaufgaben: internationale Entwicklungen nach Österreich zu bringen und nationale Entwicklungen ins Ausland zu bringen. Unsere selbstauferlegte Schamgrenze lautet, keine Einzelausstellung über einen lebenden österreichischen Architekten zu machen. Wir verstehen uns aber im wirtschaftspolitischen Sinne als Unterstützer österreichischer Architektur, und unser Konzept „Emerging Architecture“ ist daraufhin aufgebaut, jedes Jahr zehn junge Büros auszuwählen und diese Ausstellung inklusive Katalog dann auch auf Reisen zu schicken. Damit können wir jungen Büros, die sich noch nicht etabliert haben, einen Startschuß geben. Die letztjährige Ausstellung etwa war in Kopenhagen und Frankfurt und geht jetzt nach Budapest weiter. Für die heurige Ausstellung, die im Dezember stattfinden wird, sind wir noch in Verhandlungen mit Rom und Bordeaux. Diesen Export österreichischer Architektur verstehen wir mit aller Radikalität.

„Emerging Architecture“ und neue Architektur sind das eine. Andererseits schrecken Sie als Leiter eines unabhängigen „Architektur Zentrums Wien“ nicht vor regelrechten Kniefällen zurück, wie der superlative Artikel über „Unseren Mann von Welt“, Hans Hollein, im „profil“ bewiesen hat.

Das ist kein Kniefall! Ich erlaube mir auf Grund meines Alters, meiner Erfahrungen und meiner internationalen Kontakte eine gewisse Bewertung von Architekten. Über Hans Hollein kann ich das genausogut wie über jeden anderen machen. Hollein hat einfach internationale Bedeutung erlangt - da kann man ihm ans Bein pinkeln, soviel man will, das bleibt ein Faktum. Ich werde von vielen Architekten heftig dafür kritisiert, andererseits aber war eine viel größere Anzahl von Laien dankbar für so einen lockeren und unverkrampften Text. Ein Porträt über einen Architekten in einem Nachrichtenmagazin ist kein Diskurs im innerarchitektonischen Sinn, sondern es geht um Verständlichmachung, warum wer wichtig und berühmt ist und wer nicht.

Das Problem liegt nicht in der Berühmtheit eines Menschen, sondern darin, daß jemand zu Österreichs „wichtigstem Architekten der letzten 50 Jahre“ hochgelobt wird. Sie fügen sich diesem Starsystem?

Ich bekenne mich zum Starsystem, weil die Architektur in den letzten 20 Jahren Teil der Kulturindustrie geworden ist. Und das Starsystem ist Teil dieser Kulturindustrie. Wenn man eine Zeitschrift in die Hand nimmt, ist die Kritik unwesentlich. Die wichtigste Frage lautet: Ist das Projekt drin oder nicht? Natürlich gilt auf Grund der Gesetze der Kulturindustrie auch die Protegierung. Und wenn man Österreich im internationalen Zusammenhang betrachtet, so gibt es keinen österreichischen Architekten, der über dieses Land hinaus soviel Wichtigkeit erlangt hat wie Hollein.
Das AZW ist Teil der Kulturindustrie, wir müssen daher auch einem gewissen populären Starkult entgegenkommen. Wir versuchen aber trotzdem, uns eines Overkills von Starnamen zu enthalten. Das beste Beispiel wird im Oktober unsere Ausstellung „Sturm der Ruhe“ sein, in der kein Architektenname vorkommen wird. Es ist ein sehr riskantes Unterfangen, und ich kann mir auch vorstellen, daß wir schrecklich abstürzen werden.

Anläßlich der Eröffnung der Ausstellung „Detonation Deutschland“ haben Sie in einem Interview Adolf Loos zitiert: Es gebe keine Architektur ohne Zerstörung. Was ist im MQ zerstört worden?

Ein gewachsenes historisches Biotop. Der Charme des Vergessenen ist nun verschwunden, was mit der politischen Entdeckung aber natürlich Hand in Hand geht. Egal welches Projekt hier realisiert worden wäre - Shopping City oder Revitalisierung ohne Neubauten: alles hätte diese alten Spuren getilgt. Insofern war die Kombination Neubau/Altbau immer noch die beste Lösung, um in eine neue Zeit vorzurücken. Ich bin mit dem fertigen Ding dennoch nicht sehr glücklich, da das gesamte Areal homogenisiert wurde. Was das „Architektur Zentrum“ betrifft, haben wir uns - so gut es ging - dagegen gewehrt und hätten uns gewünscht, mehrere alte Spuren offensichtlich zu machen. Ich bin glücklich über das Lob des Bauleiters, der in unserem Hof gemeint hat: „Nur bei euch im AZW wird man in Zukunft merken, wie es einmal war.“ Das spricht für keine Nostalgie, sondern nur gegen das Suggerieren neuer Bausubstanz auf dem Niveau eines Gemeindebaus aus den fünfziger Jahren.

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