Award

ZV-Bauherrenpreis 2015
Bauherrenpreis - ZV der ArchitektInnen Österreichs - Dornbirn (A)
Preisverleihung: 23. Oktober 2015

So muss Wohn­zim­mer

Ge­stern, Frei­tag, wur­de der Bau­her­ren­preis 2015 ver­ge­ben. Un­ter den sechs Preis­trä­gern fin­det sich auch ei­ne al­le Maß­stä­be spren­gen­de Wohn­haus­an­la­ge im Wie­ner Sonn­wend­vier­tel. Da kann man glatt vor Neid er­blas­sen

24. Oktober 2015 - Wojciech Czaja
Darf ich Ih­nen ein klei­nes Ge­heim­nis an­ver­trau­en? Aber schrei­ben Sie das dann auch so in die Zei­tung?“, fragt Ishrat Za­far. „Ach, ist doch egal.“ Sie bleibt in der Woh­nungs­tü­re ste­hen. Es riecht nach Cur­ry und in­di­schen Ge­wür­zen. „Ich bin jetzt 40 Jah­re alt, aber ich ha­be mein gan­zes Le­ben lang nie­mals schwim­men ge­lernt. Ich kom­me aus Dha­ka, der Haupt­stadt von Bang­la­desch, und da gibt es kaum Ba­de­mög­lich­kei­ten. Da muss ich erst nach Wien kom­men, um end­lich zu schwim­men an­zu­fan­gen!“

Die Ein­la­dung zur sport­li­chen Er­tüch­ti­gung im Schwe­be­zu­stand ist in der Tat mehr als ver­lo­ckend. Auf Stie­ge 1 gibt es ein Kel­ler­schwimm­bad mit Sau­na, Dampf­bad und Fit­ness­raum. Ein­tritt vier Eu­ro, na­tür­li­ches Ta­ges­licht von oben, zwei Au­to­ma­ten für Co­la und Kaf­fee, und so­gar ei­ne Süd­see­ku­lis­se mit Pal­mens­trand und azur­blau­em Was­ser ist da. Je­den Mon­tag ist Frau­en­tag. Vor al­lem von den mus­li­mi­schen Be­wohn­er­in­nen und An­rai­ne­rin­nen aus der Um­ge­bung wird das An­ge­bot re­ge ge­nutzt. An man­chen Ta­gen, sagt Fa­ti­ma, die zehn­jäh­ri­ge Toch­ter, die be­reits ins Gym­na­si­um geht, ste­hen die Frau­en Schlan­ge bis nach drau­ßen. „Manch­mal ge­he ich mit. Ich fin­de das Frau­en­schwim­men voll cool.“

Ge­stern, Frei­tag, wur­de das „Wohn­zim­mer Sonn­wend­vier­tel“, so der of­fi­ziel­le Na­me des Wohn­bau­pro­jekts im Hin­ter­land des neu­en Wie­ner Haupt­bahn­hofs, als ei­nes von ins­ge­samt sechs Ge­bäu­den (sie­he un­ten) mit dem Ös­ter­rei­chi­schen Bau­her­ren­preis 2015 aus­ge­zeich­net. Die Preis­ver­lei­hung fand im Werk­raum Bre­gen­zer­wald in An­dels­buch statt. Der Ort ist kein Zu­fall, schließ­lich ist Pe­ter Zum­thors Hand­werk­er­haus ei­ner der Preis­trä­ger des letz­ten Jah­res. „Üb­li­cher­wei­se ge­hen Ar­chi­tek­tur­prei­se an die Ar­chi­tek­tin­nen und Ar­chi­tek­ten“, sagt Mar­ta Schrei­eck, Prä­si­den­tin der Zen­tral­ver­ei­ni­gung der Ar­chi­tek­tIn­nen Ös­ter­reichs (ZV). „Mit die­sem Preis je­doch möch­ten wir all je­ne Men­schen vor den Vor­hang ho­len, die die­se Leis­tun­gen über­haupt erst er­mög­li­chen, ja so­gar ein­for­dern. Es ist ei­ne Wür­di­gung der of­fe­nen, qua­li­täts­be­wuss­ten Bau­her­ren und Auf­trag­ge­be­rin­nen. Oh­ne die­se wä­re die Ar­chi­tek­tur in Ös­ter­reich nicht da, wo sie heu­te ist.“

15 Me­ter lan­ge Ta­fel

Drei lan­ge Rie­gel, viel Be­ton, ver­zink­ter Stahl an der Fass­ade und je­de Men­ge durch­geo­me­tri­sier­te Ar­chi­tek­tur­kom­po­si­ti­on im Be­reich der Log­gien und Bal­ko­ne. Auf­ge­lo­ckert wird die stren­ge Er­schei­nung der Wohn­haus­an­la­ge von drei ro­ten, acht­ge­scho­ßi­gen Skulp­tu­ren im In­nen­hof. Mit­tels gum­mi­en­ten­gel­ber Brü­cken, die im drit­ten und vier­ten Stock durch die Luft pfei­fen, wer­den die ins­ge­samt 427 Woh­nun­gen zu ei­ner zu­sam­men­hän­gen­den Stadt in der Stadt ver­bun­den.

Zu so ei­ner Stadt ge­hö­ren aber nicht nur pri­va­te Wohn­räu­me, son­dern auch öf­fent­li­che und halb­öf­fent­li­che Ein­rich­tun­gen. Und da­von gibt es im Wohn­zim­mer Sonn­wend­vier­tel je­de Men­ge: Schwimm­bad, Well­ness-Cen­ter, Fit­ness­raum, Ju­gend- und Mu­sik­zim­mer, ei­ne Aus­stel­lungs­ga­le­rie, ein klei­nes Thea­ter mit Büh­ne und öf­fen­ba­rer Glas­fass­ade, ein Mäd­chen­zim­mer, ei­ne Klet­ter­hal­le, ei­nen drei­ge­scho­ßi­gen In­door-Spiel­platz mit Rut­schen­la­by­rinth (Selbst­ver­such, Tem­po, Hal­le­lu­ja), ei­ne Ge­mein­schafts­kü­che mit Spei­se­saal, ei­nen Grill­platz mit ei­ner 15 Me­ter lan­gen Ta­fel, ja so­gar ei­nen fix ein­ge­bau­ten Open-Air-Markt­stand, der sams­tags von 8 bis 15 Uhr mit Bio­pro­duk­ten aus den Bun­des­län­dern be­stückt wird, zäh­len zum Aus­stat­tungs­ka­ta­log die­ses viel­leicht un­ge­wöhn­lich­sten Wohn­hau­ses Wiens.

Das Highl­ight je­doch, das sa­gen vie­le, ist der Ki­no­saal, der wie ei­ne winds­chie­fe Box im Be­ton­wirr­warr des Stie­gen­hau­ses zu hän­gen scheint. Im On­li­ne-Ka­len­der ist un­schwer zu er­ken­nen, dass das Ho­me-Ci­ne­ma mit sei­nen zwölf Sitz­plät­zen die näch­sten drei Mo­na­te mehr oder we­ni­ger rest­los aus­re­ser­viert ist. Vor al­lem die UE­FA Cham­pi­ons Lea­gue hat es den Vä­tern und Ehe­män­nern an­ge­tan. Ins­ge­samt, heißt es, be­tra­gen die Ge­mein­schafts­flä­chen rund sie­ben Pro­zent der Ge­samt­wohn­flä­che. Kein Wun­der, dass das Pro­jekt in der ak­tu­el­len Aus­ga­be des Wirt­schafts­ma­ga­zins brand eins (Schwer­punkt Im­mo­bi­lien) als „Lu­xus­apart­ment-An­la­ge“ mit „Voll­kom­mu­ni­ka­ti­on“ be­zeich­net wird.

„Ich ha­be noch nie zu­vor so ei­ne Wohn­haus­an­la­ge be­treut“, sagt Ge­rhard Weiß­kir­cher. Der 48-Jäh­ri­ge ist Ge­schäfts­füh­rer von IFSM und Fa­ci­li­ty-Ma­na­ger vor Ort. Par­don, Con­cier­ge heißt es hier, wird man bei ei­ner Füh­rung durch die Räum­lich­kei­ten kor­ri­giert. „Je­den­falls war für mich von An­fang an klar, dass die­ses Pro­jekt ei­nen, wenn nicht gleich meh­re­re Prei­se ab­kas­sie­ren wird. Es ist ein­fach per­fekt.“

Auch Christ­oph Nimm­rich­ter, sei­nes Zei­chens Gar­ten­ge­stal­ter, der mit sei­ner Fa­mi­lie ei­ne 64 Qua­drat­me­ter gro­ße Woh­nung mit 60 Qua­drat­me­ter (!) gro­ßer Ter­ras­se be­wohnt, ist vom Wohn­zim­mer vor dem Wohn­zim­mer mehr als an­ge­tan. „Ich ha­be das Ge­fühl, dass man die Nach­barn in die­sem Pro­jekt ra­scher ken­nen­lernt als in an­de­ren Wohn­haus­an­la­gen. Es hat fast ei­ne Art Dorf­cha­rak­ter. Und das sa­ge aus­ge­rech­net ich, der im­mer in Alt­bau­ten ge­lebt hat und dem Neu­bau so skep­tisch ge­gen­über­stand!“ Die Ar­chi­tek­ten hin­ter dem vor ei­nem Jahr fer­tig­ge­stell­ten Wohn­zim­mer Sonn­wend­vier­tel sind die drei Bü­ros Klaus Ka­da, Stu­dio Vlay mit Le­na Stree­ru­witz und Riepl Kauf­mann Bam­mer Ar­chi­tek­tur. Der hier wohl­weis­lich aus­ge­zeich­ne­te Bau­trä­ger nennt sich win4wien, ein Zu­sam­men­schluss der vier Wohn­bau­trä­ger Neu­es Le­ben, Neue Hei­mat, EBG und Mi­schek.

„Ich freue mich über den Preis, und ich hof­fe, dass das Pro­jekt in Zu­kunft vie­le In­ves­to­ren und Bau­trä­ger in­spi­rie­ren wird“, sagt Mi­chae­la Mi­schek-Lai­ner von win4wien. „Es war ei­ne ziem­li­che Her­aus­for­de­rung, das al­les un­ter ei­nen Hut zu brin­gen, und wir muss­ten in­tel­li­gent und ef­fi­zient pla­nen, aber es ist sich aus­ge­gan­gen.“ Von den 55 Mil­lio­nen Eu­ro Ge­samt­bau­kos­ten wur­den von An­fang an 1,9 Mil­lio­nen Eu­ro fürs Schwimm­bad und wei­te­re 300.000 Eu­ro für die Aus­stat­tung der Ge­mein­schafts­flä­chen re­ser­viert. „Die­ses Bud­get war vom er­sten Tag an sa­kro­sankt“, so Mi­schek-Lai­ner. „In die­sem Be­reich durf­te kein ein­zi­ger Cent ein­ge­spart wer­den.“ So muss Woh­nen.

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