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Senkrechtstarter Südkorea
Senkrechtstarter Südkorea, Foto: Daniel Grünkranz
Senkrechtstarter Südkorea © SHIN architects
QUER-Magazin

Newcomer in Architektur

Die Architektur- und Raumproduktion Koreas findet gegenwärtig viel Beachtung. Der Goldene Löwe wurde von der Architekturbiennale Venedig für den besten nationalen Beitrag an den koreanischen Pavillon verliehen. Die Entwicklung der modernen Architektur des Landes ist eng mit seiner bewegten Geschichte verbunden. Vom japanischen Kaiserreich zwischen 1910 und 1945 kolonialisiert und stark geprägt, trennte der Koreakrieg (1950–1953) die Halbinsel in Nord und Süd. Während Südkorea ab Anfang der 1960er Jahre einen radikalen wirtschaftlichen Aufschwung erfuhr und heute dabei ist, den Veränderungen in der Gesellschaft architektonisch Rechnung zu tragen, ist der Norden unverändert stark von den Nachkriegsperioden geprägt. Ein Lokalaugenschein aus Südkorea.

19. April 2015 - Daniel Grünkranz
Nach der Kapitulation Japans am 2. September 1945 teilten die Siegermächte, die Sowjetunion und die USA, Korea in zwei Besatzungszonen. Nach dem Abzug der sowjetischen und US-Truppen eskalierte der schon lange schwelende Konflikt zwischen dem kommunistischen Norden und dem nationalistisch-autokratisch geführten Süden. Im Koreakrieg wurden von Juni 1950 bis Juli 1953 drei Millionen Zivilisten und knapp eine Million Soldaten getötet, und koreanische Städte, Siedlungen und die Infrastruktur nahezu vollständig zerstört. Der blutige Konflikt zementierte die Teilung des Landes in Nord- und Südkorea. Beide Staaten ließen dem Krieg nationale Wiederaufbau- und Modernisierungsprogramme folgen, wobei es Südkorea schon Ende der 1960er Jahre gelang, den Norden wirtschaftlich zu überholen.

Die Kolonialisierung Koreas

Architektur als eigenständige Disziplin erreichte Korea erst nach 1910 mit der Okkupation des Landes durch das Kaiserreich Japan. Ursprünglich beruhten traditionelle koreanische Bauweisen auf modularen Grundrisssystemen sowie auf geomantischen Prinzipien, die sowohl die Lage als auch die Ausrichtung der Gebäude in der Landschaft bestimmten. Variationen von Gebäudetypen, wie etwa das Hanok, das koreanische Wohnhaus, waren jeweils den regional unterschiedlichen klimatischen Bedingungen angepasst, während die Ausführung von Bauwerken mit Materialien wie Stein, Lehm, Holz, Papier und Keramik den Handwerkstechniken und der Kunsttätigkeit oblag.
Japan öffnete sich westlichen Einflüssen gezwungener Maßen schon in den 1850er Jahren, infolge brachten die japanischen Besatzer eine entsprechend geprägte Architekturauffassung nach Korea. Das erste Studienprogramm für Architektur wurde 1917 an der Keijo (Seoul) Higher Industrial School etabliert. Nur fünf Jahre später wurde die Architectural Association of Joseon gegründet, nach der japanischen Kolonie in Anlehnung an das alte koreanische Königreich benannt. Die neue koreanische Architektur orientierte sich an neohistorisierenden und mehr und mehr auch an funktionalistischen Tendenzen. Die Gouverneursresidenzen, Bank- und Postgebäude, Bahnhöfe und Unternehmenssitze, die im ganzen Land gebaut wurden, bildeten nunmehr die baulichen Symbole und Schaltzentralen der Verwaltungsherrschaft über Korea.

Wiederaufbau nach dem Koreakrieg

Nach dem Abzug der japanischen Besatzer und mit Ende des Koreakrieges im Jahre 1953 suchten indes einige wenige südkoreanische Architekten und Studenten die Begegnung mit der internationalen Moderne. Anlaufstationen waren unter anderem die Yale University, das Illinois Institute of Technology, an dem Mies van der Rohe wirkte, sowie die Büros von Philipp Johnson und Le Corbusier. Architekten wie Kim Jung-up oder Kim Swoo Geun bildeten nach ihrer Rückkehr in den frühen 1960er Jahren eine Elite an Architekturschaffenden in Südkorea, die einige markante Gebäude realisierten. So zeichnete Kim Jung-up für die französische Botschaft in Seoul und das damalige Hauptgebäude der Jeju National University verantwortlich, während Kim Swoo Geun mit der Walkerhill Hilltop Bar und dem Freedom Center in Seoul Visionen einer monumentalen Moderne umsetzte. Indes, die enorme Herausforderung, das Land wiederaufzubauen, dringend benötigten Wohnraum zu schaffen und die Infrastruktur gleichsam zu modernisieren, wurde anderen Architekten anvertraut.

Langzeitdiktator Park Chung-hee und der wirtschaftliche Aufschwung

Nachkriegsregierungen wurden autokratisch geführt. Lange lag die Wirtschaftsleistung Südkoreas hinter seinem nördlichen Nachbarn, wenngleich unter Langzeitdiktator Park Chung-hee (regierte Südkorea 1961–1979) fehlenden demokratischen Strukturen ein rasanter und anhaltender ökonomischer Aufschwung gegenüberstand. So gelang es dem ehemaligen Militäroffizier Park Chung-hee, zweifelsohne eine der meist umstrittenen politischen Figuren Südkoreas, in den 1960-er und 1970-er Jahren den Grundstein für den Aufstieg des Landes zu einer der weltweit führenden Industrienationen zu legen. Es waren die Ingenieurbüros in Konzernen wie Hyundai, die in enger wirtschaftlicher Verflechtung mit der Regierung von Park Chung-hee einen großen Teil der Projekte planten und umsetzten. Stadtteile und Nachbarschaften wurden so nach und nach neu gestaltet: Appartementkomplexe, Großkaufhäuser, Büro- und Hotelhochhäuser charakterisierten nun das Bild vieler Städte, während die kleinteiligen Strukturen zunehmend aus der urbanen Landschaft verschwanden. Ein anderer Faktor, der die Planungen wesentlich beeinflusste, war die Automobilisierung des Landes. Die vielspurigen Straßen und massiven Verkehrsinfrastrukturen in den südkoreanischen Städten, reflektieren die dominante Autokultur. Im Seouler Stadtteil Gangnam, der baulichen Kulmination des koreanischen Turbokapitalismus, verschmelzen heute die Auslagen der Luxusboutiquen plakativ mit dem Rest des Gebäudes zu baulichen Zeichen. Die Gebäude interagieren mit den Vorbeifahrenden weit mehr als mit Fußgängern. So werden beispielsweise die dreidimensional angeordneten Schaufenster des von den niederländischen Architekten MVRDV geplanten Chungha-Gebäudes zu Elementen einer plastischen Architektur.

Das moderne Leben in Korea

Ein Leben im modernen Appartementhochhaus und das private Auto sind die Statussymbole des konservativen koreanischen Bürgertums. Dem anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum folgte Mitte der 1990er Jahre die langsame Demokratisierung des Landes. Dieser Prozess legte gleichzeitig Brüche in der Gesellschaft offen, brachte aber ebenso neue Architektengenerationen hervor. Eines ihrer wesentlichen Merkmale bleibt der internationale Austausch mit der Ausbildung an renommierten westlichen Universitäten oder mit Arbeitsaufenthalten außerhalb Koreas. Manche Architekten bemühen sich nach ihrer Rückkehr um ein differenziertes Profil ihrer Profession. Sie pflegen weniger das elitäre Bild des Architekten, sondern gehen vielmehr auf die zunehmende Diversität in der koreanischen Gesellschaft ein. So wie beispielsweise die Architekten Shin Hosoub und Shin Kyungmi. Nach dem Studienabschluss und Arbeitserfahrungen in Paris gründeten die beiden im Jahr 2010 das Büro SHIN architects.

SHIN architects

Ihr Büro liegt am Rand des Seouler Stadtteils Bukchon, in dem sich historische Palastanlagen und Reste traditioneller städtischer Strukturen mit neuen, augenfälligen Museen und Kunstgalerien mischen. Die Shin Architekten betreuen eine jüngere Klientel, die nicht mehr eine meist konservative Haltung der Elterngeneration vertritt. Heute gibt es in Korea einen wachsenden Markt für individuelle Gebäudelösungen und Wohnformen, die vor allem die junge Generation in der koreanischen Gesellschaft widerspiegeln, die mehr und mehr persönliche Freiheiten suchen. Gleichzeitig müssen Architekten aber weiterhin auf eine Marktlogik reagieren, die Erfolg mit billigem und schnellem Bauen verbindet. Dennoch gelingt es den Shin Architekten besondere Maßstäbe zu setzen, wie beispielsweise das Projekt j.one vergegenwärtigt.
Das j.one befindet sich in Suji-gu, einem Wohnviertel in der rasant wachsenden Stadt Yongin. Vom Bauherren für eine multifunktionale und flexible kommerzielle Nutzung ausgelegt, beherbergt das Bauwerk nun eine Spiellandschaft für Kinder und ein sogenanntes Kinder-Café. Diese Einrichtungen entsprechen den besonderen Bedürfnissen der Bewohner nach zeitgemäßen Kinderaufenthaltsmöglichkeiten. Die Form des Gebäudes ist einfach gehalten, und hat durch seine großflächigen Ziegelfassaden eine augenfällig materielle Wirkung. Das obere Geschoß besteht aus zwei teilweise auskragenden Baukörpern, wobei der größere das Kinder-Café beherbergt. Diese sind durch einen Freiraum verbunden, der bis auf das Dach mit Pool führt. Die Spiellandschaft befindet sich als unterschiedlich zonierte Topografie im unteren Geschoß des Gebäudes. Für die Architekten war es entscheidend, die Vorstellungskraft der Kinder anzusprechen und ihnen Raum für selbstgewählte Aktivitäten zu geben. Die Eltern finden dagegen eine entspannte Atmosphäre vor, während sie so in engem Kontakt mit den Kindern bleiben können.

Neue urbane Landschaften

Gleichsam findet in Südkorea ein Umdenken in der Gestaltung urbaner Räume statt. Beim Spaziergang durch Seoul sticht vor allem das Implementieren landschaftlicher Elemente ins Auge. Die Revitalisierung des Cheonggyecheon, einem Wasserlauf mitten in Seoul, der zuvor überdeckt und durch eine Schnellstraße überbaut war, hat dabei Vorbildcharakter. Nach der Fertigstellung des Projekts vor rund zehn Jahren ist es heute möglich, entlang von abgesenkten Promenaden zwischen dem Stadtzentrum und den östlich gelegenen Stadtteilen zu flanieren. Westlich des Zentrums bildet der von Dominique Perrault Architecture gestaltete Campus der Ewha Womans University ein gebautes Tal. Seitlich des Geländeeinschnitts befinden sich zwei Gebäudeteile mit Studien- und Freizeiteinrichtungen, Hörsälen sowie Büro- und Serviceräumen. Diese verlaufen rampenartig in Richtung eines zentralen Platzes am Campus und sind über eine begrünte Landschaft begehbar.
Ein aktuell umgesetzter Entwurf, der Gebäude und Landschaft miteinander verbindet, ist das Buk Seoul Museum of Art von Samoo Architects & Engineers im Stadtteil Nowon-gu, einem Wohngebiet mit durchwegs monotoner Hochhausbebauung. Das Buk Seoul Museum of Art verbindet dabei dreidimensional verlaufende Freiflächen eines Parks mit einer Kultureinrichtung.

Diese gebauten Landschaften vermögen es, neue (Aufenthalts-)Qualitäten im urbanen Gefüge zu schaffen. Sie lassen sich darüberhinaus auch als Reminiszenz an die Struktur urbaner Territorien in Korea interpretieren; an die spektakulären Eindrücke von weiten, dicht verbauten Flächen, die immer wieder von markanten landschaftlichen Elementen durch- bzw. unterbrochen werden. Diese Strukturen spiegeln wiederum 50 Jahre Raumproduktion unter massiven gesellschaftlichen Veränderungen wider, wodurch die Architekturentwicklung Südkoreas als besonderes Ereignis erscheint.
In der Zukunft wäre der radikalste Umbruch freilich die Wiedervereinigung der beiden Koreas. Wenn auch entsprechende politische Bemühungen in der Bevölkerung des Südens immer mehr Rückhalt gewinnen, wird ein derartiges Szenario aber wohl noch länger auf sich warten lassen.

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Für den Beitrag verantwortlich: QUER-Magazin

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