Artikel

Das schö­ne Fun­keln des Nutz­lo­sen
Der Standard

Die neu er­öff­ne­ten, mil­lio­nen­schwer er­wei­ter­ten Swa­rovs­ki-Kris­tall­wel­ten bo­ten drei Ar­chi­tek­ten­te­ams Ge­le­gen­heit für fa­cet­ten­rei­che As­so­zia­tio­nen. Das Re­sul­tat: no­ble Zu­rück­hal­tung und spie­le­ri­sche In­no­va­ti­on.

16. Mai 2015 - Maik Novotny
Es sind ja oft die klei­nen Din­ge im Le­ben, die wah­re Freu­de ma­chen. Das weiß je­der Glück­wunsch­post­kar­ten­ver­sen­der und Spruch-Tas­sen-Ver­schen­ker. Das ist in der Ar­chi­tek­tur nicht an­ders. Ein spe­ziel­les, schrul­li­ges Ka­pi­tel der Bau­ge­schich­te sind die Auf­trä­ge rei­cher Mä­ze­ne, et­was Klei­nes, Un­ter­halt­sa­mes auf ih­ren aus­ufern­den Län­der­ei­en zu er­rich­ten.

Die eng­li­sche Gar­ten­kunst kennt ih­re „Fol­lies“, ar­chi­tek­to­ni­sche Spie­le­rei­en, ex­zen­tri­sche Ku­lis­sen in ar­ka­di­schen Gär­ten, ger­ne als wil­der Ritt durch die an­ti­ke Bau­ge­schich­te nach Gus­to des Fi­nan­ziers. Auch ita­lie­ni­sche Re­si­den­zen ken­nen ih­re Türm­chen, und Schön­brunn hat sei­ne Rui­ne­nar­chi­tek­tur. Das ist mal harm­los, mal al­bern, mal di­let­tan­tisch, doch manch­mal tref­fen ge­ra­de die funk­ti­ons­lo­sen, ro­man­ti­schen Bau­ten ins emo­tio­na­le Herz der Bau­kunst. „All art is qui­te use­less“, wuss­te schon Oscar Wil­de.

Heu­te sind es die Pa­vil­lons, die Ar­chi­tek­ten sonst sel­ten ge­währ­te Frei­hei­ten bie­ten: Der jähr­lich neu er­rich­te­te Ser­pen­ti­ne Pa­vil­lon in Lon­don bie­tet ei­ne be­gehr­te Fin­ger­übung für Ar­chi­tek­ten, die noch nie in Groß­bri­tan­nien ge­baut ha­ben und so ei­ne Vi­si­ten­kar­te im Hy­de Park hin­ter­las­sen kön­nen. Schwer­ge­wich­te wie Za­ha Ha­did, Pe­ter Zum­thor und die Ja­pa­ner von SA­NAA be­ka­men so mit Leich­tig­keit ih­ren Fuß in die in­su­la­re Tür.

Mehr dem Schö­nen als dem Nut­zen ver­pflich­tet, ha­ben die­se klei­nen Ar­chi­tek­tu­ren, die sich nicht um Nor­men und jah­re- lan­ge Fach­in­ge­ni­eur­ver­hand­lun­gen küm­mern müs­sen, ar­chi­tek­tur­ge­schicht­lich oft wei­trei­chen­de­re Fol­gen als man­cher brav durch­ge­plan­te Bau. Mies van der Ro­hes Bar­ce­lo­na-Pa­vil­lon 1929 war kaum mehr als ei­ne Ku­lis­se aus Wän­den, Stüt­zen und De­cke, und wur­de ge­nau des­halb zu ei­ner Iko­ne der Mo­der­ne.

Auch die im Ti­ro­ler Wat­tens an­säs­si­ge Fir­ma Swa­rovs­ki ist dem Schö­nen und Ephe­me­ren zu­ge­neigt. Ei­ne Welt oh­ne Swa­rovs­ki-Kris­tal­le wür­de, ganz un­bos­haft ge­sagt, ver­mut­lich das All­tags­ge­schäft der meis­ten Men­schen nicht zu­sam­men­bre­chen las­sen – Ra­di­ka­läst­he­ten wie Oscar Wil­de aus­ge­nom­men. Und doch zie­hen die Swa­rovs­ki-Kris­tall­wel­ten Be­su­cher­mas­sen aus 60 Län­dern an, wie die Fir­ma stolz ver­merkt.

Wenn der mo­der­ne Mä­zen Swa­rovs­ki al­so da­zu ein­lädt, den As­so­zia­tio­nen zum The­ma Kris­tall frei­en Lauf zu las­sen, sa­gen die Künst­ler nicht Nein. 1995, zum 100. Fir­men­ju­bi­lä­um, war es And­ré Hel­ler, der mit der ihm ei­ge­nen Sub­ti­li­tät ei­nen Rie­sen mit auf­ge­ris­se­nen Au­gen in die Inn­tal­wie­se und zu­sam­men mit den da­hin­ter­lie­gen­den „Wun­der­kam­mern“ den schwe­ren Grund­stein für die Kris­tall­wel­ten setz­te. Mit mess­ba­rem Er­folg.

Mit Mil­lio­nen zum Mar­ken­kern

20 Jah­re spä­ter wer­den die Kris­tall­wel­ten für 34 Mil­lio­nen Eu­ro auf das Dop­pel­te ver­grö­ßert, und es er­geht die glei­che Ein­la­dung, dies­mal an Ar­chi­tek­ten. Wie man jetzt, nach der Er­öff­nung En­de April, sieht, in­ter­pre­tie­ren die­se das Kris­tal­li­ne auf weit ab­strak­te­re Wei­se. Durch­aus im Sin­ne des Auf­trag­ge­bers: „Die Ar­chi­tek­tur soll nicht ein­fach de­skrip­tiv sein, son­dern über den Un­ter­neh­mens­ge­gen­stand hin­aus­ge­hen. Nah am Mar­ken­kern, aber as­so­zia­tiv“, sagt Ste­fan Is­ser, Ge­schäfts­füh­rer der d.swa­rovs­ki Tou­rism Ser­vi­ces GmbH im Stan­dard -Ge­spräch. Ziel der Er­wei­te­rung auf über sie­ben Hek­tar Flä­che war, ganz funk­tio­nell-pro­sa­isch, die Er­hö­hung der Be­su­cher­fre­quenz auf 800.000 pro Jahr und der Be­suchs­dau­er auf vier Stun­den – un­ter an­de­rem durch An­ge­bo­te für Fa­mi­li­en mit Kin­dern.

Die Lö­sung soll­te dies­mal von kei­nem Ge­samt­künst­ler kom­men, son­dern ent­stand in ei­nem Works­hop aus drei Te­ams: Da­ni­el Süß und Han­no Schlögl, die schon meh­re­re Swa­rovs­ki-Shops ge­stal­tet hat­ten, ta­ten sich mit Jo­hann Ober­mo­ser zu s_o_s ar­chi­tek­ten zu­sam­men und wa­ren als Fix­star­ter für die Neu­ge­stal­tung des Ein­gangs­be­reichs und des Shops zu­stän­dig.

Das künst­le­ri­sche Kon­zept durf­ten sich die jun­gen Land­schafts­künst­ler An­dy Cao und Xa­vier Per­rot aus­den­ken, sie kon­zi­pier­ten ei­ne Wol­ke aus 800.000 Kris­tal­len über ei­ner Was­ser­flä­che, als luf­ti­gen Ge­gen­pol zum erd­schwe­ren Hel­ler-Rie­sen. Fehl­te noch ein Bü­ro von Welt­rang als Aus­hän­ge­schild. Die Ent­schei­dung der Aus­wahl­ju­ry fiel 2012 auf das nor­we­gi­sche Bü­ro Snøhet­ta, das mit dem Opern­haus in Os­lo und dem Sep­tem­ber 11 Me­mo­ri­al in New York in die welt­wei­te Top-Li­ga ges­hoo­tings­tart war. Noch da­zu sind sie nach ei­nem myt­hi­schen nor­we­gi­schen Berg be­nannt, al­so prä­de­sti­niert für al­pi­ne Bau­auf­ga­ben.

Das Re­sul­tat des Te­am­works: ei­ne Kol­lek­ti­on zu­rück­hal­ten­der Ar­chi­tek­tu­ren mit viel Platz da­zwi­schen. Die „Wol­ke“ von Cao Per­rot ist aus sta­ti­schen Grün­den zwar we­ni­ger leicht ge­wor­den als an­ge­kün­digt, aber sie er­füllt ih­re Wahr­zei­chen­funk­ti­on, ein­ge­bet­tet in ei­nen Park aus jun­gen Bir­ken. Der Ein­gangs­be­reich von s_o_s greift die­se Idee auf, der schlich­te, leicht wir­ken­de Flach­bau mit aus­kra­gen­dem Be­ton­dach be­nutzt ech­te Bir­ken­stäm­me als tra­gen­de Säu­len, ein „Whi­te Fo­rest“, wie es Ar­chi­tekt Han­no Schlögl nennt. „Der al­te Ein­gang war ei­ne Be­ton­bar­rie­re“, er­in­nert er sich. „Wir woll­ten hier auf­ma­chen, mit dem schwe­ben­den Dach als ein­la­den­der Ge­ste.“ Kris­tall-An­spie­lun­gen feh­len hier völ­lig – mit Ab­sicht.

Nicht zu platt

Auch beim von Snøhet­ta ent­wor­fe­nen Res­tau­rant muss man die Kris­tal­le mit der Lu­pe su­chen, sie ver­ste­cken sich als win­zi­ge In­tar­sien in ei­ner De­cken­ver­klei­dung aus Lo­den. Der Rest ist in küh­lem Weiß ge­hal­ten, nur die Vor­hän­ge vor den Pa­no­ra­ma­fens­tern fun­keln sil­bern-as­so­zia­tiv. „Swa­rovs­ki mit vie­len Bil­dern be­haf­tet“, sagt Pa­trick Lüth, Lei­ter des Inns­bru­cker Snøhet­ta-Bü­ros, „uns war es wich­tig, das The­ma Kris­tall nicht zu platt zu über­set­zen.“ Auch im zwei­ten Bei­trag der Nor­we­ger sieht man die An­spie­lun­gen erst auf den zwei­ten Blick: Ein schma­ler Turm aus 170 fa­cet­te­nar­tig ge­kipp­ten, be­druck­ten Glas­flä­chen, der aus der Wie­se ragt. Die­ser ist aus­schließ­lich für die jun­gen Be­su­cher re­ser­viert.

Phy­si­sches Er­le­ben

Die Auf­ga­be, „ir­gend­was für Kin­der“ vor­zu­se­hen, lös­ten Snø-het­ta mit ei­ner völ­lig neu­en Ty­po­lo­gie: dem In­door-Spiel­platz als Turm­haus. Hier darf mit Pa­no­ra­ma­blick her­um­ge­tobt wer­den, fern von brav-zer­ti­fi­zier­tem Stan­dard-Spiel­platz­mo­bi­li­ar. „Wir ha­ben ex­tra kei­ne Spiel­ge­rä­te­her­stel­ler ge­fragt, die sa­gen nur im­mer, was al­les nicht geht“, lacht Pa­trick Lüth, im ober­sten Turm­ge­schoß auf ei­nem weit­ge­spann­ten Netz wip­pend. „Es gibt hier auch nichts In­ter­ak­ti­ves und kei­ne Tech­no­lo­gie, es soll um das phy­si­sche Er­le­ben ge­hen.“

Die an ihm vor­bei­flie­gen­den, tram­po­lin­hüp­fen­den und in ei­nem zwei­ge­scho­ßi­gen Seil­ge­rüst han­geln­den Kin­der ge­ben ihm recht. „Die Spiel­räu­me dür­fen ru­hig ein biss­chen ge­fähr­lich wir­ken – das ist ein An­sporn für die Kin­der“, sagt der Ar­chi­tekt. Groß ge­dach­te klei­ne Ar­chi­tek­tu­ren für die Klei­nen: ein Bei­spiel, wie im schö­nen Fun­keln des Nutz­lo­sen et­was ganz Neu­es ent­ste­hen kann.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: