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anthos 2015/2
Zooarchitektur
anthos 2015/2
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Der neue Zoo von Sankt Petersburg

«Der Garten ist die kleinste Parzelle der Welt und darauf ist er die Totalität der Welt. Der Garten ist seit dem ältesten Altertum eine selige und universalisierende Heterotopie (daher unsere zoologischen Gärten).» Michel Foucault

24. Mai 2015 - Andras Jambor
Der 1865 gegründete Zoo von Sankt Petersburg ist der älteste zoologische Garten Russlands. Wie viele historische Zoos in der ganzen Welt, mangelt es ihm heute an Platz und seine Lage im wertvollen historischen Zentrum der Stadt macht die Vergrösserung der Anlage vor Ort unmöglich. Sankt Petersburg hat deswegen beschlossen, ausserhalb einen besonders grosszügigen, neuen Zoo auf 300 Hektaren zu errichten. Das Projekt lässt einen grossen Teil des bestehenden Feuchtwalds intakt, der als Pufferzone für das angrenzende Naturschutzgebiet dient. Nur ein Drittel des heute von den Bewohnern der benachbarten Stadtviertel für Spaziergänge genutzten Geländes wird zum eigentlichen Zoo.

In einem gesellschaftlich-wissenschaftlichen Kon­text, in dem der Wunsch des Publikums nach ökologischer Wahrhaftigkeit grösser wird, können Zoos zu wichtigen Orten der Ökobewegung werden. Das Konzept des Zoos von Sankt Petersburg geht von der Idee aus, dass ein effizienter Schutz der Biodiversität nur möglich ist, wenn ihre Geschichte richtig verstanden wird.

Vor Millionen Jahren gab es einen einzigen Superkontinent auf der Erde, die Pangäa. Den tektonischen Kräften ausgesetzt, verschoben sich die Teile der paläolithischen Pangäa zu einer neuen, sich immer weiter verändernden Konfiguration. Die Evolution der Arten gleichen Ursprungs schlug auf jedem getrennten Stück des Erdmantels eine andere Richtung ein. Die geologische Wandlung des Kontinents ist deswegen eng mit der Geschichte der Biodiversität und der Evolution verbunden.

Die Illusion einer vereinigten Pangäa

Die Grundidee des Projekts besteht in der vergleichenden «Wiedervereinigung» der Biotope, die heute Tausende von Kilometern getrennt sind. Unser Konzept schlägt eine symbolische Probensammlung quer durch alle Kontinente vor, um im Zoo von Sankt Petersburg die Pangäa scheinbar wieder zusammenzuführen. Der so konstituierte Archipel wird aus Inseln mit evozierten Landschaften des süd-östlichen Asiens, Afrikas, Australiens, Südamerikas, Nordamerikas und Eurasiens gebildet, die beiden letztgenannten durch das Packeis der Arktis verbunden. Die natürliche Landschaft der Umgebung ist wegen ihres vielen Wassers besonders für eine inselartige Organisation der Lebensräume geeignet.

Die Verbindung zur historischen Pangäa ist nicht nur räumlich. Durch die Präsenz paläolithischer Arten, welche seit Tausenden von Jahren ohne signifikante Veränderungen existieren, unterstreicht die Tiersammlung die historische Dimension der Evolu­tion. Die Liste der präsentierten Tierarten wurde gemeinsam von Landschaftsarchitekten, Zoologen und den bestehenden Teams des Zoos von Sankt Petersburg entwickelt.

Optimierte Rundwege und Transportmöglichkeiten

Öffentliche Transportmittel halten vor dem Haupteingang des Zoos, der auch mit dem eigenen Auto erreichbar ist. Von der Innenstadt aus können die Besucher auch per Boot anreisen. Die Grösse der Anlage macht es praktisch unmöglich, sie in einem Tag vollständig zu durchlaufen, deswegen werden den Besuchern unterschiedliche Beförderungsmittel zur Verfügung gestellt (Boote, Zubringerbusse). Um den Zoo auch in der kalten Jahreszeit für Besucher attraktiv zu machen, wird ein optimierter Winterrundgang angeboten, der die Gewächshäuser und gedeckten Zonen verbindet. Die von den Pflegern benutzten Rundwege sind dank des abgelegenen Eingangs und ihrer durch Topografie und Vegetation verdeckten Linienführung kaum wahrnehmbar.

Das Team TN plus ist überzeugt, dass ein zeitgenössisches Zooprojekt sich einerseits auf einen wissenschaftlich begründeten Diskurs abstützen sollte und andererseits auf die Immersion als Präsenta­tionsprinzip, welche die pädagogische Vermittlung der Informationen umso effizienter macht. Daher binden wir jedes Gehege in eine vom Ursprungsmilieu der Tierarten inspirierte Gesamtlandschaft ein. Topografie, Pflanzendecke und Wasserhaushalt vermitteln dem Besucher den Eindruck, sich zum Beispiel in der afrikanischen Savanne südlich der Sahara oder in der südamerikanischen Pampa zu befinden. Um die natürlichen Lebensräume zu simulieren, spielt die Bepflanzung eine wichtige Rolle. In den hiesigen Breitengraden ist es relativ einfach, den Lebensraum Taiga nachzubauen, aber ungleich schwieriger, den Eindruck eines Regenwalds zu vermitteln. Für den Regenwald haben wir eine weite Palette mimetischer, dem kalten Klima im Norden Russlands angepasster Arten verwendet, die durch ihre Blätter, ihre Struktur und ihre Blüten an tropische Arten erinnern.

Tausend andere Orte

Der französische Philosoph Michel Foucault betrachtet Gärten und besonders zoologische Gärten als perfektes Beispiel einer Heterotopie: Orte, die uns an tausend andere Orte erinnern. In unseren zoologischen Gärten sehen wir arktische und tropische Landschaften in engster Nachbarschaft, Berge und Meere, Wälder und Steppen, alles Fenster zum «grossen Unbekannten». Unsere Zoolandschaften regen die Fantasie an und schicken den Geist auf Reisen.

Die meisten zoologischen Gärten sind geschlossene Räume, vollständig introvertierte Mikrokosmen, die auf gewisse Weise eine Rückkehr zum «hortus conclusus» des Mittelalter darstellen oder gar zum persischen «paradeisos», dem Beginn der Zeiten. Hinter der anscheinend zeitlosen Oberfläche stecken zeitgenössische Wissenschaft und Technik, die aus dem Zoo einen Botschafter des Biodiversitätsschutzes machen, indem sie das Publikum auf ihre extreme Zerbrechlichkeit und auf den insgesamt angeschlagenen Gesamtzustand unseres Planeten aufmerksam machen.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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