Bauwerk

NS-Dokumentationszentrum München
Georg Scheel Wetzel Architekten - München (D) - 2014
NS-Dokumentationszentrum München © Jens Weber
NS-Dokumentationszentrum München, Foto: Felix Loechner / ARTUR IMAGES

Küh­le Dis­tanz zum kal­ten Grau­en

Nach jahr­zehn­te­lan­gem Zö­gern hat Mün­chen end­lich sein NS-Do­ku­men­ta­ti­ons­zen­trum, mit­ten im ehe­ma­li­gen Par­tei­vier­tel der NSDAP. Die Aus­stel­lung über­zeugt, die Ar­chi­tek­tur be­müht sich fast zu sehr um Zu­rück­hal­tung.

23. Mai 2015 - Maik Novotny
Kilo­me­ter­lan­ge Auf­marsch­ach­sen, gi­gan­ti­sche Kup­pel­hal­len: Die Aus­stel­lung „Wien. Die Per­le des Rei­ches“, zur Zeit im Ar­chi­tek­tur­zen­trum Wien (AzW) zu se­hen, zeigt, wie im Drit­ten Reich auch die Ar­chi­tek­tur ge­walt­sam ih­ren Stem­pel in die Städ­te drück­te. Auch die Haupt­stadt Ber­lin und „Füh­rers­täd­te“ wie Nürn­berg mit sei­nem Reichs­par­tei­tags­ge­län­de wur­den gi­gan­to­ma­nisch auf den ver­meint­lich tau­send­jäh­ri­gen Maß­stab auf­ge­pumpt.

Doch ei­ne Stadt war an­ders als die an­de­ren: Mün­chen, die „Haupt­stadt der Be­we­gung“, brach­te schon ein be­son­de­res Na­he­ver­hält­nis zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus mit. Hier ent­stan­den SA, SS und HJ, hier wur­de der un­ge­ho­bel­te Ge­frei­te Hit­ler nicht nur im Bier­kel­ler­dunst, son­dern auch von der fei­nen Ge­sell­schaft so­zia­li­siert, hier wur­de 1923 auf die Feld­herrn­hal­le mar­schiert. In ei­ne Stadt, die ih­nen ei­nen sol­chen Nähr­bo­den bot, muss­ten die Na­zis auch nach 1933 kei­ne neue Schnei­se schla­gen. Den idea­len Auf­marsch­platz gab es schon: Der klas­si­zis­ti­sche Kö­nigs­platz in der no­blen Max­vor­stadt muss­te nur ge­pflas­tert und er­wei­tert wer­den. Die bau­li­chen An­lei­hen an die An­ti­ke aus dem 19. Jahr­hun­dert nahm man ger­ne mit, und setz­te ih­nen trut­zi­ge Blö­cke in die Sym­me­trie­ach­se.

So ent­stand mit­ten in Mün­chen ein rie­si­ges Par­tei­vier­tel mit bis zu 6000 Be­schäf­tig­ten. Hier hat­te die „Be­we­gung“ ih­ren Ap­pa­rat. Mit­ten da­rin: Das „Brau­ne Haus“, ein Pa­lais aus dem 19. Jahr­hun­dert, das die NSDAP schon 1930 er­wor­ben hat­te. Da­ne­ben zwei Eh­ren­tem­pel zur myt­hisch-mär­ty­rer­haf­ten Über­hö­hung der beim Hit­ler-Putsch­ver­such 1923 um­ge­kom­me­nen Par­tei­ge­nos­sen.

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wuchs buch­stä­blich Gras über die Sa­che. Das Brau­ne Haus war zers­tört, die Eh­ren­tem­pel wur­den bis auf die Fun­da­men­te ge­sprengt, die in Fol­ge über­wu­chert wur­den. Die Gra­nit­plat­ten auf dem Kö­nigs­platz wur­den 1988 wie­der zur Wie­se. Mit der Auf­ar­bei­tung der Rol­le im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus tat sich Mün­chen noch schwe­rer als an­de­re „Füh­rers­täd­te“. Nürn­berg be­kam 2001 sein von Günt­her Do­me­nig als scharf­kan­ti­ger Keil in die wuch­ti­gen Mau­ern des Reichs­par­tei­tags­ge­län­des ge­schlag­enes Do­ku­men­ta­ti­ons­zen­trum, Ber­lin das Ho­lo­caust-Me­mo­ri­al und die „To­po­gra­phie des Ter­rors“ auf dem Ge­län­de der Ge­sta­po-Zen­tra­le. Hit­lers Lie­blings­stadt Linz traut sich, ne­ben­bei be­merkt, bis heu­te nicht ein­mal, Adolf Kri­scha­nitz’ ver­gleichs­wei­se de­zen­te Glas­auf­bau­ten auf den NS-Brü­cken­kopf­ge­bäu­den am Haupt­platz zu ge­neh­mi­gen.

Jetzt hat auch Mün­chen nach jahr­zehn­te­lan­gen De­bat­ten sein NS-Do­ku­men­ta­ti­ons­zen­trum – ge­nau an der Stel­le, an der das Brau­ne Haus einst stand. Ei­ner der Kämp­fer ge­gen die Ver­drän­gung, der Ar­chi­tek­tur­his­to­ri­ker Win­fried Ner­din­ger, ist der Di­rek­tor des Hau­ses. „Mün­chen hat die Ver­pflich­tung, sich die­ser Ge­schich­te zu stel­len, denn hier hat al­les be­gon­nen“, sagt er. „Zwar gibt es seit 1965 die Ge­denk­stät­te in Dach­au, aber dort geht es um die Op­fer, um das Ver­ste­hen des Lei­dens. Wir sind ein Do­ku­men­ta­ti­ons­zen­trum, hier geht es um ei­nen ra­tio­na­len Zu­gang, um In­for­ma­ti­on. Es geht um die Tä­ter, und um Er­klä­run­gen, wie es so weit kom­men konn­te.“ Der 28,2 Mil­lio­nen Eu­ro teu­re Bau (fi­nan­ziert von Bund, Land und Stadt) wur­de am 30. April er­öff­net.

Bal­lett zwi­schen Ta­bus

Ein Haus, das an die Tä­ter­his­to­rie ge­mahnt, in­mit­ten von Tä­ter­bau­ten, mit­ten in der Max­vor­stadt mit ih­rem pracht­vol­len kul­tu­rel­len Er­be, wel­ches wie­der­um kon­ta­mi­niert wur­de durch die NS-Bau­ten, die die­ses Er­be per­ver­tier­ten: Für Ar­chi­tek­ten wird ei­ne sol­che Auf­ga­be zum Dis­tan­zie­rungs­bal­lett zwi­schen lau­ter Ta­bus. Ein sol­cher Bau muss sich von sei­nen Na­zi-Nach­barn un­ter­schei­den, je­doch oh­ne den An­schein zu er­we­cken, man wol­le sich von Schuld rein­wa­schen. Mo­nu­men­ta­li­tät muss ver­mie­den wer­den, doch et­was zu Leich­tes wür­de die Dau­er­haf­tig­keit des Er­in­nerns kon­ter­ka­rie­ren, und et­was form­ver­liebt Mo­di­sches wä­re un­an­ge­mes­sen.

Das Ber­li­ner Ar­chi­tek­ten­te­am Georg Scheel Wet­zel, das 2009 den Wett­be­werb für das Do­ku­men­ta­ti­ons­zen­trum ge­wann, hat, das ist dem fer­ti­gen Bau an­zu­mer­ken, ver­sucht, bei die­sem Ta­bu-Bal­lett al­les rich­tig, oder zu­min­dest nichts falsch zu ma­chen. Sie setz­ten ei­nen ex­akt be­mess­enen Wür­fel aus ab­strakt wir­ken­dem Weiß­be­ton an die Stel­le des Brau­nen Hau­ses. Ein So­li­tär au­ßer­halb der Kö­nigs­platz-Sym­me­trie, hö­her als der be­nach­bar­te „Füh­rer­bau“, mit zu­ein­an­der ver­setz­ten, in die glat­te Fass­ade ein­ge­las­se­nen Fens­ter­öff­nun­gen. Ei­ne ru­hi­ge, sprö­de und bun­des­re­pu­bli­ka­nisch-sach­li­che Lö­sung. Ein Bau, der in sei­ner Zu­rück­hal­tung so neu­tral wirkt, dass er sich fast selbst auf­hebt. Das Äu­ße­re ver­rät nichts vom In­ne­ren — ei­ne wei­ße Black­box. Weiß als Zei­chen der Rein­heit? Das sei nicht die In­ten­ti­on, sagt Ar­chi­tek­tin Bet­ti­na Georg. „Un­se­re Ar­chi­tek­tur zielt we­ni­ger auf ei­nen Sym­bol­ge­halt ab, und sie ist auch nicht pri­mär als Be­deu­tungs­trä­ger zu ver­ste­hen. Die Re­duk­ti­on auf das We­sent­li­che schafft ei­ne über­zeit­li­che Ebe­ne der Wahr­neh­mung und er­mög­licht die Kon­zen­tra­ti­on auf die ei­gent­li­chen In­hal­te.“

Auch im In­ne­ren be­schei­det sich die Ar­chi­tek­tur da­rauf, ei­nen ru­hi­gen Rah­men für die sach­lich-in­for­ma­ti­ons­sat­te Aus­stel­lung zu bie­ten. Über vier Ge­scho­ße geht der Par­cours von oben nach un­ten und en­det chro­no­lo­gisch be­wusst nicht im Mai 1945, son­dern in der Ge­gen­wart. Denn auch die Mün­chner Tä­ter­bio­gra­fien reich­ten oft noch weit in die ho­hen Äm­ter der Bun­des­re­pu­blik, und der Ne­on­azis­mus ist auch heu­te noch ge­walt­sam ak­tu­ell, wie der Mün­chner NSU-Pro­zess be­weist. „Die Lei­ti­dee der Aus­stel­lung ist: Es geht uns auch heu­te noch et­was an“, sagt Win­fried Ner­din­ger. „Das soll man mit­neh­men in die Ge­gen­wart, wenn man das Haus wie­der ver­lässt.“

En­ges Kor­sett

Auch die Stadt selbst ist Teil der Aus­stel­lung. Zwei­ge­scho­ßi­ge Räu­me hin­ter den ho­hen La­mel­len­fens­tern ho­len je­weils den Teil Mün­chens ins Haus, der in der Chro­no­lo­gie the­ma­ti­siert wird, et­wa wenn man auf den „Füh­rer­bau“ (heu­te Mu­sik­hoch­schu­le) blickt, in dem 1938 das Mün­chner Ab­kom­men un­ter­zeich­net wur­de. Ein Aus­blick, der durch die schma­len Öff­nun­gen frag­men­ta­risch bleibt. Zu­sam­men mit den fens­ter­lo­sen Sicht­be­ton­gän­gen ent­steht so trotz ost­ent­ati­ver Zu­rück­hal­tung ein en­ges räum­li­ches Kor­sett, das den Be­su­cher erst ganz am Schluss frei­lässt.

Mög­li­cher­wei­se ist dies der asyn­chron ver­lau­fen­den Pla­nung ge­schul­det: Als Win­fried Ner­din­ger 2012 den Di­rekt­oren­pos­ten über­nahm (die Stadt hat­te sich im Streit von sei­ner Vor­gän­ge­rin Irm­trud Wo­jak ge­trennt), war das Ge­bäu­de längst im Bau. Man muss­te sich al­so an­pas­sen. Und ob­wohl die Ar­chi­tek­tur die gan­ze Ku­ba­tur aus­nutzt, die die Stadt ge­währt, wirkt sie im­mer noch zu klein für die Fül­le des In­halts. Kein Wun­der, dass sich das­sel­be Vo­lu­men noch­mals im Un­ter­grund fin­det, mit „Lern­fo­rum“, Au­di­to­ri­um, Se­mi­nar­räu­men und dem Ca­fé, für das im Ein­gangs­foy­er kein Platz war. Ein über­bor­den­des An­ge­bot an Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der Ver­gan­gen­heit, das in den er­sten Ta­gen reich­lich Zu­strom er­fuhr. Auch die Pro­gram­me für Kin­der und Ju­gend­li­che sind auf Mo­na­te aus­ge­bucht. Mün­chen geht in sich — und ei­ne re­ser­vier­te Ar­chi­tek­tur ist die­ser Kon­tem­pla­ti­on si­cher nicht hin­der­lich.

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